Lang lebe der Pharao!
Das autoritäre Mubarak-Regime gilt als verlässlicher Partner des Westens in einer instabilen Weltregion. Doch dieses Bild hat durch die offensichtlichen Wahlmanipulationen, die ein Ausdruck von Schwäche sind, tiefe Risse bekommen. Daher müssen Europa und die USA ihre Politik gegenüber dem Mubarak-Regime kritisch überprüfen, meint der Ägypten-Experte Thomas Demmelhuber.
In Ägypten wurde in den vergangenen Wochen in zwei Etappen ein neues Parlament gewählt. Bei genauerer Betrachtung kann allerdings kaum von einer Wahl gesprochen werden. Die Zusammensetzung des neuen Parlaments war bereits im Vorfeld durch massive Eingriffe in den Nominierungsprozess und Wahlkampf festgelegt worden.
So waren Kandidaten der Oppositionsparteien am Wahlkampf gehindert worden oder wurden als Kandidaten nicht zugelassen, freie Medien wurden mundtot gemacht und insbesondere Anhänger der oppositionellen islamistischen Muslimbruderschaft wurden willkürlich inhaftiert.
Um jeden Preis sollte eine Entwicklung wie noch bei den Parlamentswahlen vor fünf Jahren vermieden werden: Damals errang die oppositionelle Muslimbruderschaft in der ersten Wahletappe mehr Stimmen als die Nationaldemokratische Partei (NDP) von Husni Mubarak und wurde letztlich mit 88 Mandaten trotz massiver Unregelmäßigkeiten in der zweiten und dritten Runde der Wahlen zum stärksten Oppositionsblock im Parlament.
Seit 2005 wurden daher unter dem Deckmantel 'demokratischer Reformen' unter anderem die Verfassung geändert und die Freiräume kritischer Medien und zivilgesellschaftlicher Akteure verringert. Das ägyptische Regime unter dem 82-jährigen, kränkelnden Staatspräsidenten Husni Mubarak zeigte in aller Deutlichkeit, dass es nicht an einer politischen Öffnung des autoritären Systems interessiert ist.
Reformen ja, Demokratie nein!
Der Verlauf der Wahlen ist für das Land am Nil kein neues Phänomen: Auch bei vergangenen Wahlen hatten Husni Mubarak und seine NDP stets einen Urnengang mit demokratischen Mindeststandards zu verhindern gewusst. Das Ergebnis dieser Parlamentswahlen und das Ausmaß der Dominanz der Regierungspartei mit faktisch über 95 Prozent der Sitze im neuen Parlament sind dennoch überraschend.
Das schlechte Abschneiden der Opposition bei der Wahl am 28. November und der spätere Wahlboykott der meisten oppositionellen Kandidaten, die es in die Stichwahl am 5. Dezember schafften, erinnern an die Parlamentsperioden und die Einparteienherrschaft der Arabisch Sozialistischen Union unter Nasser in den 1950er und 60er Jahren. Diese ausgeprägte Form der Wahlmanipulation darf dabei keineswegs als Stärke des Regimes oder Zeichen effizienten Regierungshandelns verstanden werden. Vielmehr ist dies Ausdruck von Schwäche, denn stabile autoritäre Regime der Gegenwart können sich eine zahlenmäßig starke Opposition leisten.
Diese Form des 'kontrollierten Pluralismus' ist Mittel zum Zweck, sich selbst nach innen und nach außen zu legitimieren. Mit dem vorliegenden Wahlergebnis dürften dem ägyptischen Regime nun aber enge Grenzen gesetzt sein, dieser Wahl einen demokratischen Anstrich zu geben.
Minimum an Einheit
Für die politische Führung unter Husni Mubarak scheint dieses Motiv für das Jahr 2010 allerdings nur von untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein. Das Hauptinteresse galt vielmehr der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr, bei denen oppositionelle Stimmen im Parlament nur stören würden.
Dabei ist zunächst unwichtig, ob der altersschwache Husni Mubarak für eine sechste Amtsperiode kandidiert oder den Weg für seinen Sohn Gamal als Nachfolger im Präsidentenamt zu bereiten versucht. Für eine geregelte Abwicklung dieser Wahlen im nächsten Jahr will man die vollständige Unterstützung des Parlaments. Lebhafte Debatten mit der Opposition haben hier keinen Platz.
Zudem dient das Parlament auch als wichtiges Patronagenetzwerk, um verdiente Parteigenossen für ihre Loyalität zu belohnen. So brauchte die Führung der NDP unter Husni Mubarak bei diesen Wahlen offensichtlich fast alle Parlamentssitze, um die Konflikte innerhalb der NDP, die es zuhauf gibt, über eine gezielte Vergabe von Parlamentssitzen zu befrieden und ein Minimum an Einheit herzustellen. Für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr soll demnach nichts dem Zufall überlassen werden. Aber was bedeutet das für Europa?
Stabilität und Sicherheit
Normative Werte wie Demokratie und Menschenrechte haben in den 1990er Jahren in der außenpolitischen Politikformulierung Europas eine zentrale Rolle gespielt. Eine Öffnung der verkrusteten, autoritären Strukturen in der nahöstlichen Region schien einhergehend mit weltpolitischen Umwälzungen (v.a. das Ende des Kalten Krieges) Teil einer globalen Demokratisierungswelle zu sein.
Doch die politische Entwicklung in der Region mitsamt der Anpassungsfähigkeit autoritärer Herrschaft widerlegte diese universalistische Grundannahme. Dementsprechend orientierte sich auch europäische Politik zunehmend am politisch Machbaren und weniger am politisch Wünschenswerten.
So stehen heute eindeutig Stabilität und Sicherheit im südlichen Mittelmeerraum an erster Stelle. Insbesondere nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 und nach dem kurzen Intermezzo einer von der Bush-Regierung forcierten Liberalisierungs- und Demokratisierungsagenda sind nun Stabilität und Sicherheit wieder die alles dominierenden außenpolitischen Kerninteressen gegenüber nahöstlichen Staaten wie Ägypten.
Ägyptens Rolle als verlässlicher Vermittler im Nahostkonflikt und die für den internationalen Schifffahrtsverkehr wichtige Kontrolle des Suezkanals schien durch die offenkundige Stabilität des autoritären Mubarak-Regimes sichergestellt zu sein. Doch dieses Bild eines stabilen Regimes, das gerade mehr mit sich und der Nachfolgefrage beschäftigt ist, hat Risse bekommen. Europa sollte das kritisch zur Kenntnis nehmen und daran anknüpfend eine Überprüfung seiner Politik gegenüber Ägypten vornehmen.
Demokratisierungsrhetorik hilft nicht weiter
Dabei geht es hier nicht um eine umfassende Demokratisierungspolitik. Vielmehr geht es um eine Stärkung der Einflusskanäle oppositioneller Akteure, um mehr Transparenz und den Aufbau rechtsstaatlicher Mechanismen und Institutionen. Entsprechende Politikansätze wurden in der Vergangenheit von der ägyptischen Regierung mit dem Verweis auf die eigene Souveränität zurückgewiesen. Indirekt schwang dabei auch immer eine Drohung mit, dass das derzeitige Regime der einzige verlässliche Partner und Garant für Stabilität in einer instabilen Weltregion sei.
Seitens Europas und der USA sollten dennoch Forderungen nach mehr Transparenz und Stärkung der Einbindung oppositioneller Akteure mit mehr Nachdruck gestellt werden. Eine Konditionierung der umfangreichen Transferzahlungen, die das ägyptische Regime jährlich erhält, gäbe den Forderungen auch das nötige politische Gewicht.
Denn eines haben die Parlamentswahlen einmal mehr gezeigt: Das ständige Zurückschrecken vor Konflikten mit dem ägyptischen Regime ist nicht nur hinderlich in Bezug auf eine politische Öffnung des autoritären Systems in Ägypten – auch Stabilität kann auf diese Weise am Nil nicht dauerhaft sichergestellt werden.
Thomas Demmelhuber
© Qantara.de 2010
Dr. Thomas Demmelhuber ist wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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