Alles nur schöner Schein

Islamistische Bewegungen unterschiedlichster Couleur treten gerne für eine stärke Beteiligung von Frauen in Beruf und Politik ein. Doch Frauen bleiben marginalisiert. Ahmad Chehab mit einem Essay über das Frauenbild heutiger Islamisten.

Islamistische Bewegungen unterschiedlichster Couleur treten gerne für eine stärke Beteiligung von Frauen in Beruf und Politik ein. Doch Frauen bleiben marginalisiert. Ahmad Chehab mit einem Essay über das Frauenbild heutiger Islamisten

Hamas-Frau mit Kopftuch bei Wahlen in Palästina 2006; Foto: AP
Die Palästinenserin nimmt an einer Wahlveranstaltung der Hamas teil. Doch nach wie vor spielten Frauen in der Politik keine zentrale Rolle, kritisiert Ahmad Chehab.

​​Untersuchungen zu Demokratisierung und politischer Entwicklung haben es gezeigt: Die Stellung der Frau ist einer der wichtigsten Indikatoren für Entwicklung und Innovation von Staat und Gesellschaft.

Internationale Organisationen legen daher großen Wert auf politische Programme, die eine Aufwertung der Rolle der Frau zum Ziel haben. Frauen sollen in die Lage versetzt werden, in den verschiedensten Institutionen in Staat und Gesellschaft mitzuwirken und dabei gleichzeitig ihre Rolle innerhalb der Familie erfolgreich ausfüllen zu können.

In der Vergangenheit wurden Frauen oft genug von Männern aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt. Doch neue Medien, die gesellschaftliche und politische Öffnung sowie der zunehmende Zugang zu Bildung für Frauen haben in den letzten Jahren zweierlei bewirkt: Einerseits hat sich bei den Frauen selbst die Vorstellung davon gewandelt, was ihre Rolle zu sein hat. Frauen weigern sich mittlerweile, die uneingeschränkte Dominanz der Männer klaglos hinzunehmen. Andererseits bewertet heutzutage die Gesellschaft die Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben deutlich positiver.

Islamistische Denker haben eine Chance vertan

Wer die Entwicklung der Frauenbewegung in den islamischen Ländern in den letzten Jahrzehnten mitverfolgt hat, wird festgestellt haben, dass sich islamische Intellektuelle erst sehr spät Frauenfragen gewidmet haben. Lange haben sie es versäumt, innovative Ansätze, beispielsweise aus islamrechtlicher Sicht, beizusteuern.

Hauptsächlich liegt dies wohl daran, dass der Diskurs innerhalb der islamischen Welt im Wesentlichen damit beschäftigt war, seine Standpunkte gegenüber dem westlicher und westlich-assimilierter Strömungen zu verteidigen. Meist verlor man dabei den Blick dafür, dass religiöse Texte und reformerisches Gedankengut nicht zwangsläufig Gegenpole darstellen müssen, sondern sich gegenseitig ideal ergänzen können.

Gerade dies hätte aber die Aufwertung der Rolle der Frau wesentlich vorantreiben können. Je vehementer laizistische Strömungen die Abschaffung des Kopftuches forderten, desto eifriger verteidigten es die Islamisten; und je mehr die Laizisten auf der Emanzipation der Frauen von ihrer traditionellen Rolle an Heim und Herd bestanden, umso mehr versteiften sich die Islamisten auf diese Rollenvorstellung.

Frauen der Partei Jamat-e-Islami beim Gebet 2001 in Islamabad, Pakistan; Foto: AP
Die islamistischen Bewegungen werden von Männern dominiert. Obwohl die Bewegungen viele Anhängerinnen zählen, wie diese Frauen, die der pakistanischen Partei der Jamat-e-Islami angehören.

​​Das verspätete Interesse der Islamisten für Frauenfragen bedeutet nun keineswegs, dass sich selbstbewusste Frauen in islamistischen Bewegungen gar nicht hätten einbringen können. Im Laufe der letzten Jahre ist auch unter Islamisten das Bewusstsein dafür gewachsen, dass man nicht um die aktive Beteiligung von Frauen herumkommt.

Nichtsdestotrotz: Bisher sind Frauen noch längst nicht so weit, wie sie eigentlich sein sollten. Auch die Frauenrechtlerin Dr. Mona Jakin fordert daher ein lange überfälliges Eingeständnis: "Frauen in der islamistischen Bewegung haben bei weitem nicht das erreicht, was sie eigentlich erreichen könnten und müssten, obwohl mittlerweile viele Frauen der Bewegung angehören. Doch Führungspositionen bleiben weiterhin ausschließlich in Männerhand."

Im Islam sind Männer und Frauen gleichberechtigt

So ist es bisher auch nur wenigen Akademikerinnen gelungen, sich in hochrangige Positionen in der islamistischen Bewegung vorzukämpfen. Es fällt Frauen schwer, sich gegenüber geringer qualifizierten Männern durchzusetzen, denn immer noch gilt das Gebot der männlichen Dominanz.

"Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen gemacht haben", heißt es in einem Koranvers. Doch diese Dominanz ist lediglich als Dominanz des Mannes innerhalb der Familie zu verstehen. Nach einem anderen Koranvers sind Männer und Frauen außerhalb der Familie gleichberechtigt: "Und die gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde. Sie gebieten, was recht ist, und verbieten, was verwerflich ist."

Verschleierte Frauen nehmen an der Parlamentswahl 2006 in Kuwait teil; Foto: AP
Frauen in Kuwait haben seit 2005 das aktive und passive Wahlrecht. Bei den Parlamentswahlen 2006 machten sie davon Gebrauch. Doch solche Reformen seien oft nur Kosmetik und kein tiefgreifender Wandel, meint Ahmad Chehab.

​​Islamistische Bewegungen jeglicher Couleur haben sich zwar die Eingliederung der Frau ins Berufsleben auf ihre Fahnen geschrieben, doch tun sie meist konkret herzlich wenig dafür, Frauen zur Übernahme von Schlüsselstellungen in der Bewegung zu befähigen. Eine pro-aktive Rolle der Frauen in Politik, Kultur und Sozialwesen wird nicht ernsthaft angestrebt. Frauen waren bisher konsequent von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Das Gerede von Frauenförderung dient lediglich der optischen Aufbesserung der Außenwahrnehmung der Islamisten.

Deutlichstes Beispiel hierfür: Gerade in den islamistischen Bewegungen des Nahen Ostens wird die Rolle von Frauen darauf reduziert, die religiöse, gesellschaftliche und politische Karriere der Männer zu unterstützen. Viele Frauen akzeptieren diese Rolle auch aus freien Stücken, weil sie es aus der Umgebungskultur ihrer jeweiligen Gesellschaften gar nicht anders kennen.

Raus aus dem Korsett der Traditionen

Und selbst den Frauen, die sich in islamistischen Gruppierungen regelrecht hoch gekämpft haben, ist ein Gefühl der Ohnmacht nicht fremd: Sie können ihre Ideen nur dann umsetzen, wenn tonangebende Männer sich ihrer Sache annehmen –auch wenn diese Männer deutlich weniger gebildet sind als sie selbst.

Eine aktivere Rolle für Frauen in islamistischen Bewegungen würde voraussetzen, dass man sich einmal ernsthaft und mutig darüber Gedanken macht, wie sich frauenfeindliche Traditionen entstauben lassen. Islamische Vorstellungen und Ziele müssten eine Rollenvorstellung integrieren, in der Frauen gleichberechtigt neben Männern stehen. Eine solche Aufwertung der Rolle der Frau würde das allerorten zu verzeichnende Ungleichgewicht wieder ins Lot rücken und somit Energien freisetzen, die sowohl der Bewegung als auch der Gesamtgesellschaft zu Gute kämen.

Statistiken zufolge haben Frauen in den arabischen Ländern bei der Bildung einen großen Vorsprung. Es macht also Sinn, Frauen als Mitstreiterinnen zu gewinnen und aktiv an der Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen. Dem kosmetisch geschönten Gerede der Islamisten von einem neuen Frauenbild müssen nun endlich Taten folgen.

Ahmad Chehab

© Qantara 2008

Ahmad Chehab ist kuwaitischer Autor und Journalist.

Aus dem Arabischen von Nicola Ben Said

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