Abschied vom Harem?

Wie sehen sich Musliminnen selbst? Wie bewerten sie die Stellung der Frau in einer islamischen Gesellschaft? Antworten gibt eine Anthologie, in der ausschließlich Musliminnen zu Wort kommen.

Von Fahimeh Farsaie

​​"Warum musste auch ich beim Themenvorschlag "Muslimische Frauen und Sexualität" sofort an Schleier, Polygamie, Klitorisbeschneidung - und an Bauchtanz denken? schreibt die ägyptische Islamwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Goethe-Instituts Kairo, Houda Youssef, im Vorwort ihrer Anthologie "Abschied vom Harem? Selbstbilder - Fremdbilder muslimischer Frauen".

In ihrem Buch geht es dennoch nicht um Vielehe, Verschleierung, Steinigung und ähnliche Themen, durch die muslimische Frauen gemeinhin in den Medien präsentiert werden. Youssefs Anthologie stellt vielmehr das Welt- und Selbstbild der Frauen aus dem Orient als Betroffene dar. Denn fast alle Beiträge dieses Buches wurden von Autorinnen geschrieben, die in islamisch geprägten Ländern leben oder muslimisch sozialisiert sind.

Wie etwa Leila Ahmed, die in Harvard Religion unterrichtet, Azza Karam, die als Leiterin des Frauenprogramms "World Council for Religion und Peace" in New York tätig ist, die Professorin Mona Fayad, die in verschiedenen amerikanischen Universitäten lehrt und nicht zuletzt die in Europa sehr bekannten Autorinnen Nawal El-Saadawi und Fatima Mernissi.

Ein anderer Blickwinkel

Dass das Thema "Sexualität und muslimische Frauen" immer in solchen Anthologien wie "Abschied vom Harem?" kontrovers diskutiert wird, ist kein Novum. Neu ist aber, dass diese Frage hier aus einem "normabweichenden" Blickwinkel thematisiert wird:

Leila Ahmed behauptet etwa, dass in den islamischen Texten, besonders in den Hadithen, "die Stimme, die Erfahrung und die Sichtweise der Frauen" bezüglich der Wahrnehmung ihres Körpers aufgenommen wurden, dass im mittelalterlichen Islam eine Abtreibung bis zum Ende des vierten Monats erlaubt war und dass die Frauen in dieser Zeit Verhütungsmittel benutzen durften.

Fazit: Die islamischen Vorstellungen von weiblicher Körperlichkeit seien "komplex und positiv", und die Frauen dürften ihre "aktive Sexualität" ausleben.

Nawal El-Saadawi als Vertreterin einiger arabischer Forscherinnen streitet diese These vehement ab. In ihrem Buch "Tschador" bezeichnet sie die von der islamischen Kultur geprägten Einstellungen "negativ und ablehnend". In diesem Sinne belegt Fatima Mernissi ebenfalls: "Die Botschaft des Islam geht davon aus, dass die Menschheit nur aus Männern besteht. Die Frauen stehen außerhalb der Menschheit und sind sogar eine Bedrohung für sie."

Gewiss sind die beiden Interpretationen durch die islamischen Texte und Überlieferungen belegbar. Was aber die abstrakte Argumentation Ahmeds weniger plausibel erscheinen lässt, ist das ausdrückliche Ziel solcher Auslegungen in hadithen, etwa dass "Frauen ein Recht auf vollständige sexuelle Befriedigung in der Ehe hätten."

Angst vor dem Chaos

Das Ziel war nämlich, diese zugunsten der Männer und der patriarchalischen Ordnung zu kontrollieren und zu unterdrücken. Denn, wie der meistzitierte islamische Rechtsgelehrte, Imam Al- Ghazali (1050-1111,) begründet, es gebe eine direkte Verbindung zwischen der Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung und der Bewahrung der weiblichen Tugend, die wiederum von ihrer sexuellen Befriedigung abhängt.

"Die gesellschaftliche Ordnung ist dann gesichert, wenn sich die Frau mit ihrem Gatten begnügt und nicht fitna, also das Chaos, hervorruft, indem sie andere Männer in unerlaubte sexuelle Beziehungen verstrickt." Und man fürchte im Islam nichts mehr als fitna.

Trotz der unterschiedlichen Ansichten der diversen Autorinnen über solche Themen gibt es dennoch, so die Soziologin Irmgard Pinn, viele Gemeinsamkeiten: "Die islamischen Bewegungen haben vieles gemeinsam mit Bürgerrechts-, Frauen-, Umwelt- und ethnischen Bewegungen". Zusammengefasst: ein lesenswertes Buch, das viele neue Ansätze zu kontroversen Diskussionen anbietet.

Fahimeh Farsaie

© Qantara.de 2005

Houda Youssef (Hg.)
Abschied vom Harem?
Selbstbilder - Fremdbilder muslimischer Frauen
ORLANDA Frauenverlag

Qantara.de

Malek Alloula
Blick in den Harem
Der Schriftsteller Malek Alloula untersucht in seinem Buch "The Colonial Harem" Klischees und Vorurteile der Kolonialzeit. Der Blick auf alte Haremspostkarten enthüllt mehr als die erotischen Phantasien europäischer Männer. Amin Farzanefar stellt das Buch vor.

Buchtipp
Mythos Orient
Die Beziehung zwischen Abendland und Morgenland ist von gegenseitiger Inspiration, aber auch von Vorurteilen geprägt. Andreas Pflitsch hat sie über die Jahrhunderte hin untersucht, und Mirjam Schneider hat das Buch gelesen.

West-östliche Spiegelungen
Der Islam als die Antithese
Der Orient war für den Okzident immer das Spiegelbild seiner selbst. Anhand einiger Literaturbeispiele zeigt Andreas Pflitsch, wie sich dieses Bild vom 'Anderen' idealtypisch ins Gegenteil verkehrt hat.