Mythen in neuem Gewand
Als Kurdin und Sängerin hatte Hani Mojtahedi unter dem rigiden, Frauen, Minderheiten und Musik verachtenden Mullah-Regime des Iran gleich mehrfach ungünstige Ausgangsbedingungen. Zunächst wächst sie auf mit der traditionellen Musik vom Land. Ihr Großvater, der tief in der mystischen Sufi-Lehre des Islam verankert ist, gibt ihr das spirituell-musikalische Grundvokabular mit auf den Weg und ist bis heute ein großer Einfluss für sie geblieben.
Um die Jahrtausendwende gründet Mojtahedi die erste Frauenband des Iran, muss einen jahrelangen Spießrutenlauf mit den "religiösen“ Autoritäten bestehen. 2004 entscheidet sie sich, Heimat und Familie den Rücken zu kehren, um eine berufliche Zukunft zu haben.
In Berlin wird ihre Musik offener, experimenteller. Sie geht Teamworks mit Electronica-Künstlern ein, tritt aber auch mit großen Orchestern auf, etwa in der hymnischen Symphonie für Kurdistan namens Peshmerga. Politisch nimmt Mojtahedi kein Blatt vor den Mund: Bereits 2017 schreibt sie mit Azadi ein Freiheitslied für die unterdrückten Kurden im Iran und nach dem gewaltsamen Tod Mahsa Aminis solidarisiert sie sich in etlichen Aktionen mit der Bewegung "Frau-Leben-Freiheit“.
Von Pop bis experimentell
"Hani singt für Gleichberechtigung und es gibt Menschen, die Angst vor ihrer Weiblichkeit, ihrer Stärke haben“, sagt Andi Toma über seine Kollegin, die auch privat seine Partnerin ist. Wenn man sich durch Mojtahedis zahlreiche Videoclips auf Youtube klickt, erhält man den Eindruck einer immensen Vielfältigkeit dieser Stärke.
Die kraftvollen, traditionellen Facetten in ihrer Stimme tragen sie durch tanzbare Pop-Hymnen genau wie durch schmerzhafte, introspektive Songs. Es ist ein Spektrum, das es unmöglich macht, sie in Kategorien wie Popstar, traditionelle Sängerin oder experimentelle Künstlerin einzuordnen – denn sie hat Färbungen von alldem.
Mojtahedis aktuelles Projekt nennt sich HJirok, ein Name, der sich von einem Wassergeist ableitet und der für die Kunstfigur steht, die die Sängerin hier verkörpert. HJirok ist das Ergebnis eines Aufenthalts in der Region der irakisch-kurdischen Stadt Erbil mit Andi Toma.
Alltagsgeräusche, Sufi-Trommeln und die Klänge der Langhalslaute Setar finden sich zu machtvollen, betörenden Tracks geschichtet. Toma bringt her seine Produktionserfahrung als ein Teil des Düsseldorfer Duos Mouse On Mars ein, mit dem er seit 30 Jahren neue Wege zwischen Dancefloor und Performancekunst auslotet.
Dialog mit Trommeln und Stimmen
Oft hat sich die Beschäftigung mit Sufi-Lyrik und Sufi-Musik im Westen in den letzten Jahren oberflächlich, gar kitschig präsentiert. Im Fall von HJirok hat man den Eindruck, dass Toma die Rhythmen tatsächlich verinnerlicht hat und sie respektvoll zu tanzbaren Bauwerken verschachtelt.
Mojtahedi dagegen profitiert bei der Interpretation von Erfahrungen aus ihrer Kindheit: Im Haus ihres Großvaters wurde sie damals Zeugin, wie sich eine Sufi-Gemeinschaft, 300 Menschen stark, freitagabends heimlich zu Derwisch-Ritualen traf. Unter dem Khomeini-Regime durften sie öffentlich nicht mehr abgehalten werden.
Gegen eine Internationalisierung dieser tiefen spirituellen Praxis über den musikalischen Weg hat sie nichts einzuwenden. "Der Sufi-Sound ist um die ganze Welt gegangen“, sagt Mojtahedi. "Ich stelle mir das gerne als einen Dialog zwischen den Völkern vor, der mit Trommeln und dem Klang ihrer Stimmen geführt wird.“
Für ihren ornamentalen, hochexpressiven Gesang nutzt Mojtahedi die Sufi-Tradition nur als Startpunkt zu freien Klangexkursionen. Die Texte fügen HJirok nochmals eine weitere Bedeutungsebene hinzu: Mojtahedi äußert in ihnen die Hoffnung auf ein künftiges, grenzenloses und friedliches Miteinander von Kurden und Iranern.
Sie dichtet sowohl auf Kurdisch als auch auf Farsi, und sie greift auf die Arbeit des kurdischen Schriftstellers Ebdulla Peşêw als Quelle der Inspiration zurück.
Die Lieder der Ausgestoßenen
Rembetiko – das sind die gefühlsgeladenen Lieder der verstoßenen Türkei-Griechen. Cigdem Aslan, eine junge Kurdin aus London, leiht diesen Geschichten ihre kraftvolle Stimme. Marian Brehmer hat sie getroffen.
Metapher für die Lage der Frauen im Iran
Ein weiteres Projekt hat das ungleiche Künstlerpaar parallel ausgearbeitet. Es wird derzeit schon als Bühnenwerk präsentiert, aber nicht vor 2025 auf CD erscheinen: Mit Forbidden Echoes greift Mojtahedi den iranischen Mythos von Frau Shirin auf. Diese allegorische Figur singt von einem Berggipfel zwischen Irak und Iran aus ihren Schmerz über einen Liebesverlust hinab in die Täler.
Mojtahedi deutet die Geschichte mithilfe der elektronischen Echokammern von Andi Toma um, lässt den Gesang vielfach von virtuellen Felswänden hallen, untermalt durch die Begleitung eines ganzen symphonischen Kammerorchesters. Shirins Schicksal wird zur Metapher für die Situation der Frauen unter dem Mullah-Regime, das ihre Stimmen seit Jahrzehnten mit so vielen absurden Regularien und Verboten belegt.
Auf der Bühne wird das eindrucksvoll verbildlicht: Mojtahedi ruft ihre Trauer hinein in eine riesige Videoprojektion der schroffen Gebirgslandschaft. Es ist eine Performance, die die Zuhörenden geradezu physisch mitnimmt.
CD: HJirok (Altin Village)
www.hanimojtahedy.com