Das Notizbuch des Zeichners
Immer schon war es Ellabbads Wunsch, Zeichner und Buchillustrator zu werden. "Schon als Kind wollte ich das", sagt er heute, mit 64 Jahren, und man merkt, dass es ihn erfüllt, sein ganzes bisheriges Leben in diesem Beruf verbracht zu haben.
Mit 17 trat er der Fakultät der Schönen Künste im Kairoer Stadtteil Zamalek bei - vor 47 Jahren, und nichts weist darauf hin, dass Ellabbad seinen Beruf langsam ausklingen lassen wird.
Heute ist er auf einem Höhepunkt seines Schaffens angelangt. Internationale Institute und Universitäten, Verlage und Organisationen erbitten sein Können, sein Urteil, seine Erfahrungen.
Er richtet Workshops aus, wie zum Beispiel einen der US-amerikanischen Harvard University für Zeichner und Illustratoren aus mehreren arabischen Ländern, er schreibt Essays für deutschsprachige Broschüren zum Thema Globalisierung, und er entwirft Layouts für internationale Zeitschriften.
Enttäuschte Erwartungen des Vaters
Die Formel, die ihn an diesen Punkt brachte, entstand aus einer, wie er sagt, Formel zum Überleben. Gefunden hat er sie 1976, als er sich dazu entschlossen hatte, seinen Beruf aufzugeben. Doch um zu verstehen, wie es zu so einem folgenschweren Entschluss kommen konnte, muss man wissen, womit er die sechziger Jahre verbracht hatte.
Im Grunde muss man sogar noch weiter zurückgehen. Man muss wissen, dass es damals ein Schock für seinen Vater war, als sich Ellabbad 1947 auf der Fakultät der Schönen Künste einschrieb und sich zu einem Leben als Künstler entschloss.
Ellabbads Vater hatte davon geträumt, dass der Sohn sein ganzer Stolz wird. Alle in der Familie, die aus Kafr El-Sheikh im Nildelta stammt, waren damals entweder Fellahin (Bauern) oder arbeiteten in religiösen Berufen, wie Ellabbads Vater, der an der altehrwürdigen Al-Azhar in Kairo unterrichtete. "Ich sollte der erste in der Familie sein, der Hosen trägt und einen bürgerlichen Beruf ausübt."
Ellabbads Vater hatte keine religiösen Vorbehalte gegen den Künstlerberuf, etwa wegen des islamischen Bilderverbotes. Im Gegenteil, gerade weil er ein offener und modern denkender Mensch war, sollte sein Sohn in der neuen Zeit ankommen. Er sollte ein erfolgreicher Mediziner werden.
Nach kurzer Zeit jedoch wechselte Ellabbad von der medizinischen Fakultät an die der Schönen Künste, für die er sich gleichzeitig beworben hatte, und enttäuschte die Hoffnungen seines Vaters. Vielleicht muss so einer dann das, was er macht, besonders gut machen. Weil er es gegen den Herzenswunsch eines der liebsten Menschen in seinem Leben tat. Er muss beweisen, wie wichtig ihm und wie richtig dieser Entschluss war.
Ellabbad lernte bei Hussein Bicar, einem renommierten ägyptischen Künstler, und schon während des Studiums erhielt er einen Vertrag bei der Zeitschrift "Rose al-Yussef".
Er illustrierte Bücher für das "Dar al-Maarif", das 1912 als erstes Verlagshaus in der arabischen Welt ein illustriertes Kinderbuch auf den Markt gebracht hatte. Bicar zeichnete ebenfalls dort, und auch später arbeitete Ellabbad unter seinem Mentor bei einer Wochenzeitschrift für Kinder, die "Sindbad" hieß und bei Bicar Art Director war.
Zeiten politischer Bewegung
Es war die Zeit Gamal Abd El-Nassers, aber Ellabbad betont, dass seine Generation noch von der Zeit davor geprägt wurde. Nasser war der große Patriarch, der Landesvater, der über den Dingen stand, sagt er, aber Nasser hatte keinen kulturellen Plan. Das machte ihn für Leute wie Ellabbad verdächtig.
Als Heranwachsender hatte er noch in der Zeit vor Nasser politische Aktionen erlebt, Demonstrationen, die sich sogar gegen die Regierung richteten, aufregende Debatten und die nationale Bewegung der vierziger Jahre. Ellabbad sah sich als eher links – das tut er auch heute noch –, und so konnte er sich damals, wenn schon nicht mit Nassers demokratiefeindlicher Innenpolitik, so doch wenigstens mit Elementen der Außenpolitik arrangieren.
Ellabbad zeichnete Karikaturen zur weltpolitischen Lage, zur Politik der USA, zum Palästina-Problem. Die Karikaturen füllen inzwischen mehrere Bände, denn auch heute noch zeichnet er regelmäßig Cartoons für ägyptische Zeitungen.
Die Welt im Innern des Landes war begrenzt. Als Sadat an die Macht kam, wurde die Welt für Ellabbad noch enger. Nun war plötzlich alles verboten, Kritik an Sadats Innenpolitik sowieso, aber auch Kritik an den USA und an den ökonomischen Veränderungen in Ägypten infolge von Sadats Politik der Öffnung zum Westen und zur Marktwirtschaft. Oder später Kritik an Sadats Normalisierung des Verhältnisses zu Israel.
"Das waren Prozesse", sagt Ellabbad, "unter denen wir heute noch leiden. Nur Einsamkeit ist hinzugekommen. Das schrecklich einsame Leiden der Palästinenser."
Damals, 1976, wollte Ellabbad seinen Beruf aufgeben, mindestens für ein paar Jahre. Freunde hielten ihn davon ab. Und so entwickelte er jene eingangs erwähnte Formel zum Überleben, die ihm bis heute nutzt. Er machte sein gesamtes graphisches, künstlerisches Gespür jenen zugänglich, die Wert auf anspruchsvolle Gestaltung legen.
Künstlerische Kreativität in vielerlei Hinsicht
Sein visuelles Knowhow ist bis heute gefragt. Das Internationale Rote Kreuz ließ Broschüren von ihm gestalten, die UNESCO machte ihn für ein Projekt zum Art Director, in dessen Rahmen Ellabbad vier Jahre eine Beilage gestaltete.
Sie hieß "Kitab fil-Dscharida" (Buch in der Zeitung), erschien in 22 arabischen Zeitungen und machte dem Durchschnittsleser anspruchsvolle Literatur zugänglich. Für die neue libanesische Umweltzeitschrift "The Ecologist" entwarf Ellabbad kürzlich das Layout. Zwischendurch zeichnet er weiter Karikaturen und schreibt Essays.
Zu den Perlen seines Schaffens zählen die Kinderbücher aus jener Reihe, zu der auch das "Notizbuch des Zeichners" gehört (Atlantis verlag pro juventute, Zürich 2002).
In ihm verarbeitete Ellabbad Erinnerungsstücke zu fantasievollen Collagen und ergänzte sie durch handschriftliche Notizen, Zeichnungen und Graphiken. Ansichtskarten, Familienfotos, Briefmarken – das Buch ist eine unterhaltsame und überraschende Reise durch die Innenwelt eines Zeichners.
Warum hat Ellabbad beim Anblick der Ansichtskarte aus Berlin den Geruch von Bohnerwachs in der Nase? Wieso heißt eine aus dem Westen importierte Farbe für Maler in Ägypten "Hautfarbe", obwohl sie hell ist und mit der dunkleren Farbe von Ellabbads Haut und der seiner Landsleute nichts zu tun hat?
Das Buch wirkt modern, fast so, als sei Ellabbad auf die durch das Fernsehen geprägten Sehgewohnheiten heutiger Kinder eingegangen. Und es hat zahlreiche internationale Preise erhalten. Darauf ist Ellabbad natürlich stolz, aber man merkt es ihm kaum an.
Er spricht bestimmt, aber leise und sanft. Sein Temperament, seine Lautstärke, seine Bewegungen – alles wirkt sparsam. Die Energie, die Ellabbad besitzt und komplett in die kreative Arbeit steckt, soll zweifelsohne noch viele Jahre reichen.
Jürgen Stryjak
© Qantara.de 2004
Das Notizbuch des Zeichners
Aus dem Arabischen übersetzt von Burgi Roos
Zürich, Atlantis, verlag pro juventute / BAOBAB, 2002
EUR 13.00
Lesealter: ab 5 Jahren