Festhalten an einer Vision
In schwierigen Zeiten bemüht sich das Willy Brandt Haus, zwischen jungen Palästinensern und Israelis zu vermitteln. Seit Oktober hat das internationale Dialogzentrum in Jerusalem seine Türen geöffnet.
„Da drüben, da steht unser Haus.“ Nicht ohne Stolz zeigt Matthias Ries, Koordinator des Projekts Willy Brandt Zentrum Jerusalem in Richtung des Stadtviertels Abu Tor. Seit Oktober ist die internationale Begegnungsstätte eröffnet. Ein Zentrum, das zum Dialog zwischen Israelis und Palästinensern und zum Austausch mit Europäern einlädt.
Viel Engagement und Durchhaltevermögen war nötig, um soweit zu kommen. Der deutsche Politologe ist seit drei Jahren als zivile Friedensfachkraft in Jerusalem, um das Projekt voranzutreiben –von einem kleinen Büro aus in der Jerusalemer Altstadt organisierte Ries Seminare und Workshops für israelische und palästinensische Partnerorganisationen. Mittlerweile kann er auf ein kleines Team palästinensischer, israelischer und deutscher Mitarbeiter zurückgreifen. - Und inzwischen auf ein wirkliches Zentrum, dass den Namen des deutschen Politikers und Nobelpreisträgers Willy Brandt trägt.
An der Vision eines solchen Begegnungszentrums festzuhalten war und ist keine leichte Aufgabe in Zeiten, in denen jeglicher Kontakt zwischen Israelis und Palästinensern offiziell abgebrochen wurde, die Zukunft des Friedensplans von Akaba in Frage steht und in denen Dialogprojekte, wie zu Zeiten des Osloer Friedensprozesses, eigentlich alles andere als populär sind. An der Vision für das Projekt wird schon seit 1996 gearbeitet. Damals hatten sich - im Zuge des Osloer Friedensprozesses – junge Politiker aller drei Seiten, die palästinensische Fatah-Jugend, die israelische Arbeitspartei-Jugend und die deutschen Jungsozialisten (Jusos), in einem Vertrag auf die Gründung des Zentrums in Jerusalem verständigt. Die "Sozialistische Jugend Internationale" hat seit März 2002 die Schirmherrschaft übernommen und weitere Partner sind hinzugekommen.
Dialog ja, aber nicht um jeden Preis!
Angesichts der Gewalteskalation seit dem Beginn der 2. Intifada im September 2000 rückte die eigentliche Gründung des Zentrums immer mehr in den Hintergrund. Die Aufrechterhaltung des Dialogs schien viel wichtiger. Da nahm man auch gerne in Kauf, dass Dialog auch anders verstanden werden kann: die Seminare und Workshops wurden auf Wunsch der Teilnehmer immer getrennt abgehalten. Es gab also keine gemeinsamen israelisch-palästinensischen Workshops.
„Ich habe jetzt nicht die Motivation,“ sagt Ries, „beide Seiten davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, einen Dialog miteinander zu führen. Davon bin ich weit entfernt. Einfach auch aus der Erfahrung der Begegnungsprojekte im Zuge des Osloprozesses. Also, es kann jetzt nicht darum gehen, zwei Individuen zusammenzubringen und sagen, oh, die werden feststellen, dass der andere auch ein Mensch ist oder dem eigenen Feindbild gar nicht entspricht.“ Es könne nie seine Aufgabe sein, die Partner, also Israelis und Palästinenser von etwas zu überzeugen, was sie im Augenblick nicht wollen, meint Ries.
Das ein Dialog trotzdem möglich ist, liegt in der "Natur der Projekte". Vieles wird über das Internet gelöst: So hat jeder Zugang dazu, was auf der jeweils anderen Seite in Seminaren und Workshops erarbeitet wurde. Um die bestehende Sprachlosigkeit zu durchbrechen, bietet zum Beispiel die Seminarreihe „Entscheidung für Geschichte“ jeder Seite separat die Gelegenheit, das eigene Geschichtsverständnis im Internet multimedial darzustellen – anhand von ausgewählten Bildern - und sich für die Geschichtswahrnehmung der anderen zu interessieren. Ries erhofft sich dadurch, mit Hilfe des Internets den Teilnehmern zu ermöglichen, die Ansichten der jeweils anderen Seite nachzuvollziehen und langfristig eine gleichberechtigte Begegnung zu ermöglichen. Angesprochen werden sollen damit vor allem junge Erwachsene, die später möglicherweise politische Entscheidungsträger in ihrer Gesellschaft werden.
Über 30 Seminare dieser Reihe hat es mittlerweile gegeben – ein vielversprechendes Projekt, meint Ries. Nun soll es weiter ausgebaut werden. Nach der Evaluierung soll eine zweite Stufe entwickelt werden: „Decision for future“ – Entscheidung für die Zukunft“, so der Projekttitel. „Dabei wollen wir die Teilnehmer fragen: Was heißt eigentlich Frieden für sie? Und was können sie dazu beitragen, dass dieser Frieden Wirklichkeit wird? – ohne den Focus darauf zu lenken, was andere tun müssen“, erklärt Ries. Besonders stolz ist der Politologe aber auch darauf, dass mittlerweile die Projektpartner eigene Projektwünsche vorschlagen und aktiv mitarbeiten. „In der ersten Phase meiner Arbeit ging es darum, an Türen zu klopfen, Angebote zu machen, zu sagen: 'Hallo, hier bin ich, ich bin der Ansprechpartner für das Projekt Willy Brandt Zentrum. Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt es', erinnert sich Ries. Jetzt kommen immer mehr Leute auf ihn und das Zentrum zu, um an Seminaren teilnehmen zu können oder um das Zentrum um Unterstützung zu bitten. Zum Beispiel für das Projekt „Zukunftsforum“ – ein Projekt der israelischen Seite. Das Forum ist eine Art Think Tank, dass sich mit wichtigen aktuellen politischen Fragen auseinandersetzen will. Bei den Palästinensern stehen Seminare zur Wahlvorbereitung an erster Stelle. Falls es irgendwann einmal Wahlen geben sollte, will man auch hier gut vorbereitet sein. Auch in Deutschland sei das Interesse an den Angeboten des Zentrums groß, sagt Ries. „Damit bekommen deutsche Jungsozialisten einen Zugang zu den Israelis und Palästinensern, der gleichwertig ist. Sie können in der einen Woche mit palästinensischen Jungpolitikern sprechen, in der anderen Woche in Israel das gleiche tun.“
An der Vision festhalten
Mit der Eröffnung des Willy Brandt Zentrums ist sicherlich eine wichtige Etappe geschafft. Aber es bleibt noch viel zu tun: Die meisten Palästinenser, die im Westjordanland und dem Gaza-Streifen leben, haben keine Zugang zu dem Zentrum. Ihnen ist die Einreise nach Jerusalem untersagt. So werden auch weiterhin die Mitarbeiter des Zentrums nach Nablus, Ramallah oder Gaza-Stadt reisen müssen, um Seminare abzuhalten und in Kontakt zu bleiben. Auch im Zentrum wird die Trennung vorerst einbehalten, sagt Matthias Ries. „Die Aktivitäten im Haus gehen vorerst separat weiter. Solange das eben gewünscht ist, insbesondere auch von der palästinensischen Seite, dass wir in getrennten Seminaren arbeiten, aber eben im gleichen Haus.“ Irgendwann werde es eine Zeit geben, hofft Ries, in der alle Parteien als gleichwertige Partner einen Zugang zu dem Zentrum in Jerusalem haben werden und als Ort des Austauschs genutzt wird. Der richtige Ort dafür ist nun gefunden: Das Haus, das das Willy Brandt Zentrum beherbergt, liegt nach internationalem Recht auf der Grünen Linie – der früheren Grenze – also zwischen den beiden Teilen der Stadt, dem West- und Ostteil Jerusalems. Eine symbolische Geste. Nun gilt es, auch die Vision mit Leben zu füllen.
Tania Krämer
© 2003 Qantara.de
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