Das Dilemma der iranischen Opposition
Viele Iraner wünschen sich einen friedlichen Wandel des erstarrten politischen Systems. Doch eine solche "samtene Revolution" braucht eine politische Alternative, die von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wird – für Iran jedoch nicht existent ist, schreibt Faraj Sarkohi.
Zu den größten Erfolgen der Islamischen Republik gehört, dass es ihr gelungen ist, die iranische Opposition gewaltsam niederzuschlagen, sämtliche oppositionelle Vereinigungen ihres Ansehens zu berauben und eine unüberwindbare Spaltung zur Mehrheit der Bevölkerung zu schaffen. Dieser Triumph wäre jedoch ohne die Mithilfe der Opposition selbst nicht möglich gewesen.
Politikmüdigkeit und Vertrauensverlust
Knapp 27 Jahre nach der Islamischen Revolution nimmt die Unzufriedenheit der Menschen lawinenartig zu. Sie zeigt sich im Boykott von Wahlen, von Studentendemonstrationen, Streiks von Arbeitern und Angestellten und gelegentlichen städtischen Tumulten. Internet und Satellitenschüsseln machen der staatlichen Zensur einen Strich durch die Rechnung.
Die Macht der Angst in den Köpfen der Menschen ist zerborsten. Nie waren die Demokratiebestrebungen, die antiislamische Haltung, die Ablehnung der Regierung und die Begeisterung für die westliche Kultur und Amerika in so weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet.
Die Demokratiebestrebungen in Iran finden auf internationaler Ebene Unterstützung. Mehr als 50 Radio- und Fernsehstationen, die mit der iranischen Opposition im Exil verbunden sind, strahlen persischsprachige Programme aus. Nach inoffiziellen Zahlen beläuft sich die Zahl ihrer Hörer und Zuschauer in Iran auf zehn bis 15 Millionen. In den letzten Jahren zeigte sich der Einfluss dieser Sender vor allem in der Organisation von Protestbewegungen.
Politische Alternative nicht in Sicht
Trotz all dessen und ungeachtet der Existenz dutzender Parteien, Vereinigungen und Zusammenschlüssen sowie einzelner Oppositioneller in und außerhalb Irans, hat sich bisher keine Alternative zur iranischen Regierung aufgetan. Weite Teile der iranischen Bevölkerung und der iranischen Exilgemeinde, mit Ausnahme von studentischen und intellektuellen Zirkeln, haben ihr Vertrauen in sämtliche politische Vereinigungen und Zusammenschlüsse verloren.
Die Inhaftierung bekannter Dissidenten, die Übergriffe der regierungstreuen Schlägertrupps bei manchen Protestkundgebungen und die Diskussionen, die in einigen Publikationen und auf persischsprachigern Websites geführt werden, sind Beleg für die Aktivitäten oppositioneller Zirkel und Einzelpersonen innerhalb Irans, doch ihr Einfluss und ihre Bekanntheit beschränken sich auf Kreise von Intellektuellen und Studenten.
Im Exil träumen ein abgesetzter Präsident (Abulhassan Banisadre in Paris), ein selbsternannter Führer und eine selbsternannte Präsidentin (Massoud Rajavi und Maryam Rajavi), ein Prinz (Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs, in Amerika) sowie zwei republikanische Vereinigungen und zahlreiche größere und kleinere Parteien und Zusammenschlüsse davon, die Nachfolge der Islamischen Republik anzutreten.
Im weiten Spektrum der iranischen Opposition im Exil sind leidenschaftliche Kommunisten, die von einer Oktoberrevolution in Iran träumen, ebenso zu finden wie Republikaner, die einen Neoliberalismus vertreten. Es finden sich laizistische Liberale und Sozialdemokraten, Anhänger von Präsident Khatami, Royalisten und die "Volksmujahedin.
Mit Ausnahme der "Volksmujahedin, die ihre mehr als 4000 bewaffneten Kräfte im Irak konzentriert haben, vergeuden die anderen Vereinigungen ihre Energie mit endlosen, ständig wiederkehrenden abstrakten Diskussionen und Kämpfen untereinander, die sie in Publikationen mit niedriger Auflage, auf persischsprachigen Websites und gering besuchten Veranstaltungen austragen. Nicht nur die mit der politischen Situation unzufriedenen Menschen in Iran, sondern auch die Mehrheit der Exiliraner schenken der Opposition keine Aufmerksamkeit.
Popularitätsverlust von Reformern und Royalisten
Nach der zweimaligen Amtszeit von Präsident Khatami und der Desillusionierung der Menschen über einen inneren Wandel des herrschenden Systems haben in Iran nicht nur die religiösen Reformer, sondern auch die liberalen Religiösen, wie die Nehzat-e Azadi (Freiheitsbewegung) und ähnliche Vereinigungen, ihr Ansehen verloren.
Großayatollah Montazeri genießt bei einigen Religiösen, die die herrschende Regierungsform ablehnen, große Beliebtheit, doch die zunehmende antiklerikale Haltung in der Bevölkerung steht einem weiterreichenden Einfluss Montazeris entgegen.
Organisierte Aktivitäten von jenem Teil der inneriranischen Opposition, der für eine Trennung von Staat und Religion eintritt, werden unterdrückt. Die Bekanntheit und der Einfluss liberaler, linker und nationalistischer Gruppierungen beschränken sich auf studentische und intellektuelle Kreise. Die Mehrheit der Bevölkerung, der alle oppositionellen Vereinigungen fremd sind, wünscht sich den Wohlstand zur Zeit des letzten Schahs zurück – und Teile der älteren Generation auch die Rückkehr der Monarchie.
Die Royalisten im Exil teilen sich weitgehend in zwei Gruppierungen auf: Einige Organisationen streben eine Wiederherstellung der monarchischen Despotie in Iran an, die anderen möchten eine repräsentative Monarchie, bei der sich der König - ähnlich wie in Europa - nicht in die Politik einmischt. Beide Flügel verfügen über reichhaltige finanzielle Mittel und eine einflussreiche Lobby in den Vereinigten Staaten.
Auch untersteht ihnen ein bedeutender Teil der Rundfunk- und Fernsehsender im Exil. Die Hoffnung der Royalisten auf ein Wiederaufleben der Monarchie in Iran wird durch die Beliebtheit des letzen Schahs bei einem Teil der Bevölkerung in Iran, die die Revolution bereuen und die Option einer militärischen Einmischung Amerikas genährt.
Reza Pahlavi, der legitime Thronfolger, hat erklärt, dass er Demokratie anstrebe und ein freies Referendum, in dem die Bevölkerung über das gewünschte System entscheide. Doch außer Interviews in den Medien und Verlautbarungen hat er bisher keine praktischen Schritte unternommen, keinen konkreten Weg vorgeschlagen und vom gewaltigen Vermögen seiner Familie nicht einen einzigen Cent in die Politik investiert.
Mit dem Heranwachsen der nächsten Generationen verblassen die Erinnerungen an den Wohlstand zur Zeit des letzten despotischen Schahs. Die junge Generation in Iran hat kein Interesse an der Wiederherstellung der Monarchie.
Kluft zwischen Opposition und Bevölkerung
Vor einigen Monaten rief Reza Pahlavi seine Anhänger auf, mittels einer Internetumfrage die Durchführung eines Referendums in Iran zu unterstützen. Viele bekannte Persönlichkeiten und die Mehrzahl der unterschiedlichen oppositionellen Vereinigungen im Exil unterstützte dieses Vorhaben. Insgesamt kamen ungefähr 30.000 Unterschriften – echte, unter Pseudonym und gefälschte - zusammen.
Im Vergleich zu den sieben Millionen Stimmen, die die Fundamentalisten in Iran stets verbuchen können, drei Millionen Internetnutzern in Iran, den ca. zwei Millionen Exiliranern und den Tausenden Menschen in Iran, die an Protestdemonstrationen teilnehmen, war dies ein deutliches Zeichen für die Spaltung zwischen der Opposition und der Bevölkerung.
Die linken Vereinigungen, die aufgrund der Niederschlagung durch die iranische Regierung das Land verlassen mussten, haben sich im Verlauf von fast drei Jahrzehnten im Exil in Untergruppierungen aufgelöst. Großklingende Bezeichnungen wie Partei oder Front sind geblieben, doch meist beschränkt sich ihre Mitgliederzahl auf 50-100 Personen, nur einige wenige haben 300-500 Mitglieder.
Vor 27 Jahren verteidigten die größte linke Vereinigung in Iran, die Volksfedaiyan, und die kommunistische Tudeh-Partei, geblendet von den antiamerikanischen Parolen Khomeinis, den islamischen Fundamentalismus gegenüber den Sozialdemokraten und den Liberalen. Dies ging zum Teil so weit, dass sie mit der Geheimpolizei Khomeinis zusammenarbeiteten.
Elitäre Linke ohne konkretes Programm
Obwohl ein anderer Teil der linken Gruppierungen mit dem Ziel einer Oktoberrevolution im Stil Lenins die islamische Regierung ablehnte und obwohl Khomeini beide Gruppen dem Henker zuführte, ist die Zusammenarbeit der Linken mit der despotischen Regierung und ihre Ablehnung der Demokratie in der Erinnerung der iranischen Bevölkerung eingraviert.
Die Last dieser Vergangenheit, wiederholte Niederlagen, die ideologische Zerrissenheit und innere Spaltung sowie das Fehlen eines politischen Programms hat jede Hoffnung auf einen größeren Einfluss der Linken in der Bevölkerung zerstört.
Einige linke Gruppierungen träumen noch immer von einer Arbeiterrevolution und leninistischen Partei. Andere haben sich an Sozialdemokraten und Liberale angenähert und sich zu zwei republikanischen Vereinigungen zusammengeschlossen. Die Armut der politischen Philosophie und das Fehlen eines konkreten Programms verwandelten beide in einflusslose Klubs.
Die meisten Parteigänger der größeren der beiden Vereinigungen mit ca. 800 Mitgliedern sind ehemalige Anhänger Präsident Khatamis, die trotz seines Scheiterns zwischen dem Anstreben eines friedlichen Wandels des Systems und der Zusammenarbeit mit einem Flügel der Regierung schwanken.
Die kleinere der beiden Vereinigungen mit ca. 300 Mitgliedern setzt sich für einen Sturz der iranischen Regierung ein, doch sie schwanken zwischen einem friedlichen Wandel hin zu einer parlamentarischen Republik oder der mit Gewalt verbundenen Errichtung einer antiimperialistischen und antikapitalistischen populistischen Regierung.
Ihre endlosen Diskussionen finden außerhalb des eigenen Kreises keinerlei Beachtung und haben jegliche Verbindung zu den eigentlichen Problemen in Iran verloren. Neben diesen Gruppen gibt es zahllose weitere liberale Vereinigungen mit geringer Mitgliederzahl, die ihre inneren Streitigkeiten austragen.
Opposition ohne Zulauf der jüngeren Generation
Alle oppositionellen Gruppen im Exil haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Nach fast drei Jahrzehnten im Exil sind sie dabei zu veraltern. Sie haben die Mehrzahl ihrer Mitglieder verloren, und es gelingt ihnen nicht, die leeren Reihen wieder aufzufüllen. Neu ankommende iranische Migranten der jüngeren Generation sind an einer Mitarbeit nicht interessiert.
Die meisten wünschen sich einen friedlichen Wandel des Systems in Iran. Doch der friedliche Wandel einer Despotie in eine Demokratie, eine "Samtene Revolution", braucht eine politische Alternative, die die Unterstützung von weiten Teilen der Bevölkerung auf sich vereinen kann, und eine Regierung, die keine gewaltsamen Mittel der Unterdrückung einsetzen kann oder will. Eine solche politische Alternative existiert für Iran nicht, und die iranische Regierung zeigt bisher keinerlei Bereitschaft zu Toleranz.
Gelegentlich lässt die Bekanntheit einiger einflussreicher Persönlichkeiten in Iran und im Exil Funken der Hoffnung aufglimmen. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises hätte Schirin Ebadi unter Intellektuellen und in gebildeteren Schichten eine herausragende Rolle spielen können.
Ihre Unterstützung für den Flügel von Präsident Khatami, ihr Glauben an die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie und ihre Angriffe auf Amerika ließen diese Hoffnung wieder verblassen.
Zu ihrem Empfang in Teheran nach Verleihung des Friedensnobelpreises waren nur 1.500 Personen gekommen. Der seit 25 Jahren inhaftierte Amir Entezam besitzt aufgrund seines Widerstandes unter gebildeten Jugendlichen relativ große Bekanntheit. Einige andere unabhängige Intellektuelle haben eine ähnliche Position.
Militarismus und Führerkult – Irans Volksmujahedin
In den ersten Jahren nach der Islamischen Revolution besaßen die Volksmujahedin, die größte religiöse Vereinigung, die in Opposition zu Khomeini stand, in der Bevölkerung weit reichende Unterstützung. Die Volksmujahedin, die von einem despotischen Führer geleitet werden und über mit preußischer Strenge geführte Militärkräfte verfügen, begannen mit ihrem bewaffneten Widerstand gegen Khomeini zu einer Zeit als dieser die größte Beliebtheit besaß.
Die Volksmujahedin haben mehr als 100 hochrangige Regierungsmitglieder getötet. In der darauf folgenden Phase weiteten die Volksmujahedin ihre terroristischen Aktionen auf Anhänger des Regimes in der normalen Bevölkerung aus, wobei hunderte von Personen getötet wurden. Damit erregten sie den Widerwillen der allgemeinen Bevölkerung, die die Gewalt leid war.
Die Bekämpfung der Volksmujahedin durch die Regierung wurde heftiger. Mehrere tausend ihrer jungen Anhänger wurden hingerichtet. Die Führungsspitze und der Rest der Organisation flohen ins Ausland. Indem sie den Großteil ihrer Kräfte im Irak stationierten und mit der Armee Saddam Husseins zusammenarbeiteten, der mit Iran im Krieg stand, begingen sie politischen Selbstmord.
Die Zusammenarbeit mit dem Feind ließ die Unterstützung der "Volksmujahedin in der Bevölkerung schwinden. Nachdem die Menschen die Ideologie, den Aufbau und die Methoden der Organisation kennen lernten, bedeutete dies das endgültige Aus.
Die offizielle Ideologie der "Volksmujahedin ist die Verbindung einer populistischen Lesart des Korans, des Stalinismus und der Strategien der Roten Khmer in Kambodscha. Das verlautete Ziel der Mujaheddin ist die Schaffung einer "Demokratischen Islamischen Republik" in Iran. In dieser Republik würde Massoud Rajavi, der auf Lebenszeit bestimmte Führer der Vereinigung, den Platz der Ayatollahs als Regierungsoberhaupt einnehmen und alle Befugnisse besitzen.
Außerdem würde es einen Präsidenten geben, der die Befehle des Führers auszuführen hat. In der derzeitigen Islamischen Republik wählt die Bevölkerung den Präsidenten aus einer Reihe von Kandidaten, die vom Wächterrat zugelassen wurden. Massoud Rajavi möchte der Bevölkerung diese Entscheidung abnehmen und hat im Voraus seine Frau Maryam Azadanlou für diesen Posten bestimmt.
Folternde Oppositionelle
Er hat offiziell erklärt, in direkter Verbindung mit Gott und den Imamen zu stehen. Die kleinste Kritik und der geringste Ungehorsam gegenüber seinen Befehlen gelten so als Rebellion gegen Gott selbst. Der UNO und dem Roten Kreuz ist es nach Jahren der Anstrengung endlich gelungen, Zugang zu den Gefängnissen der Mujaheddin in Irak zu erhalten. Zahlreiche Anhänger der Vereinigung wurden für ihre Kritik an Massoud Rajavi oder dem Versuch, aus der Partei auszutreten, in diesen Gefängnissen gefoltert.
Iran ist ein multilingualer Staat. Die Demokratische Partei Kurdistans, die auf eine lange Geschichte zurückblickt und in der kurdischen Bevölkerung im Westen Irans großen Einfluss besitzt, möchte Demokratie und ein föderatives System. Die jüngsten Veränderungen im Irak und die amerikanische Politik lassen die Aussichten dieser Partei im iranischen Kurdistan weiter steigen
Faraj Sarkohi
Aus dem Persischen von Sabine Kalinock
© Qantara.de 2005
Qantara.de
Islam und Demokratie - Chance oder Widerspruch?
Für den iranischen Schriftsteller Faraj Sarkohi muß sich der Islam im Zeitalter der Globalisierung mit der Demokratie versöhnen. Eine Trennung von Staat und Religion ist für ihn unabdingbar.
Hoffnungsträgerin für Demokratie
Der exil-iranische Schriftsteller Faraj Sarkohi beschreibt, inwiefern der Friedensnobelpreis für Shirin Ebadi eine Signalwirkung für die herrschende Politik im Iran bedeutet und welche Hoffnungen sich damit für einen demokratischen Wandel des Landes verbinden.