Geschichte eines "Ehrenmords"
"Ich war ein Ehrenmord" und "Dieses Bündel unter diesem Leichentuch bin ich" - in Sätzen wie diesen erzählt der Film "Nur eine Frau" mit schonungsloser Direktheit die Geschichte von Hatun Aynur Sürücü, die 2005 in Berlin durch einen ihrer Brüder auf offener Straße erschossen wurde.
Aynur wird am 17. Januar 1982 in Berlin geboren, ist die Tochter kurdischer Eltern sunnitischen Glaubens. Sie stammen aus der türkischen Provinz Erzurum im Osten Anatoliens. Das Mädchen ist eines von neun Kindern. Sie wächst in Berlin-Kreuzberg auf, geht aufs Gymnasium. Mit 16 Jahren nimmt ihre Familie sie von der Schule und verheiratet sie mit einem Cousin in der Türkei. Der Mann ist gewalttätig. Aynur kehrt schwanger nach Berlin zurück. Zu Beginn lebt sie noch bei ihrer Familie, doch der Wunsch, selbst über das eigene Leben zu bestimmen, wird immer größer.
Trotz Widerstands ihrer Familie, zieht sie mit ihrem Sohn erst in ein Wohnheim für alleinerziehende Frauen, dann in eine Wohnung. Sie sucht sich psychotherapeutische Hilfe, holt ihren Hauptschulabschluss nach, legt ihr Kopftuch ab und beginnt eine Lehre als Elektroinstallateurin. Alles aus eigener Kraft.
Mit 23 Jahren steht sie kurz davor, ihre Gesellenprüfung abzulegen. Danach will sie nach Freiburg ziehen und ihr Fachabitur machen. Doch dazu kommt es nicht mehr. Am 7. Februar 2005 wird sie von einem ihrer Brüder mit drei Kopfschüssen ermordet, an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof. Die Tat löst eine Debatte über Zwangsehen und Wertvorstellungen muslimischer Familien in Deutschland aus.
"Es geht um Selbstbestimmung"
Vierzehn Jahre nach dem Mord bringt die Regisseurin Sherry Hormann die Geschichte von Hatun Aynur Sürücü ins Kino. "Die Idee kam, weil ich die Geschichte so bewegend finde", erklärt Hormann bei der Filmpremiere im Kino International in Berlin. "Nach so vielen Jahren muss sie wieder erzählt werden, weil sich unsere Gesellschaft so sehr verändert, weil wir uns immer mehr in Zäunen bewegen."
Zu Beginn des Films sprechen die Figuren untereinander noch Türkisch. "Ach so, ihr versteht uns ja nicht", wirft die Protagonistin ein und sie wechseln ins Deutsche. Richtet sich der Film also vorrangig an ein deutschsprachiges Publikum? "Das Thema geht uns alle an", sagt Hormann. "Es geht um die Selbstbestimmung. Es geht um die Selbstbestimmung der Frau. Es geht um unsere eigene Selbstbestimmung auch als Menschen."
Produziert wurde der Film von der bekannten Journalistin und TV-Moderatorin Sandra Maischberger. "Über diesen Fall wurden vor allem Dokumentarfilme gemacht. Die lassen vor allem natürlich die Männer zu Wort kommen, die leben. Also den Mörder, die Brüder," so Maischberger.
Aynur eine Stimme geben
Mit dem Film wolle man nun Aynur eine Stimme geben. "Denn sie führte einen Kampf, der heute noch so gegenwärtig ist und den viele Frauen führen. Vielleicht nicht mit dem dramatischen Ende, aber schon gegen männliche Dominanz und für Selbstbestimmung." Am besten fände sie, sagt Maischberger, wenn alle Menschen, die in Deutschland leben, sich als Gemeinschaft empfinden, füreinander Verantwortung tragen und die Regeln der anderen respektieren würden.
Der Film baut Aufnahmen und Fotos der realen Aynur ein und führt diesen Dokumentarstil weiter. Aynurs Hip-Hop-Musik legt sich über Momentaufnahmen des kranken, überforderten Vaters in der Moschee. Der Film skizziert, wie herzlos sämtliche Familienmitglieder - auch die Schwestern - die aufgeweckte Aynur, die nicht mit ihrer Familie brechen will, behandeln. Er bewegt sich fernab von Klischees wie "westliche freie Welt gegen fanatische muslimische Welt", sondern ist vielmehr auch eine Anklage gegen die Justiz, die nur den jüngsten Bruder verurteilt, der die Tat gesteht und mit der geringsten Strafe zu rechnen hat.
"Es passiert leider"
"Nur eine Frau" versucht nicht, die psychische oder soziale Situation der Familie zu ergründen, sondern stellt alleine Aynur und ihre Stimme in den Mittelpunkt. Umso wirkungsvoller ist die Diskrepanz zwischen der emotionslosen Stimme der Toten, und der Geschichte, die sie erzählt.
"Komplett aus der Sicht einer Toten zu erzählen, war wirklich eine Herausforderung", erzählt die Hauptdarstellerin Almila Bagriacik. "Denn wenn jemand stirbt, haben ganz viele Menschen eine Meinung darüber, wie er war und warum er gestorben ist. Aber die Person selbst kann nichts mehr dazu sagen." Außerdem sei es besonders schwierig gewesen, beim Spielen die eigenen Emotionen nicht zuzulassen.
Immer wieder beklagen Menschen mit Migrationsgeschichte, die Medien in Deutschland bauschten Einzelfälle von sogenannten "Ehrenmorden" auf, während ähnlich brutale Taten in Familien ohne Migrationsgeschichte als "Familientragödie" wenig Beachtung fänden.
"Das sind Begrifflichkeiten", sagt die Schauspielerin Idil Üner, die ebenfalls im Film zu sehen ist. "Ich möchte nichts gegen das andere auf- oder abwerten. Für mich ist beides gleich schlimm. So etwas darf nicht passieren, weder aus Eifersucht noch aus komischen Wert- und Lebensvorstellungen. Es sollte nicht passieren, aber es passiert leider."
Ceyda Nurtsch
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