Völlig losgelöst

Mit den Hits "Sikidim" und "Simarik" landete Tarkan Welterfolge und machte die türkische "Popmüzik" bekannt. Auf dem Weg zur universellen Pop-Ikone entzieht sich Tarkan seinen Fans.

Von Lennart Lehmann

​​Für die, die es immer noch nicht wissen: Über Tarkan etwas Tiefsinniges herauszufinden ist schwerer, als zu klären, wer J.F. Kennedy wirklich erschossen hat. Und trotzdem - oder gerade deswegen - ist der heute 32-jährige Sänger der bekannteste Popstar, den die Türkei jemals hervorgebracht hat. Wenn auch nicht der bedeutendste, wie Profimusikkritiker gerne einschränken.

Stromlinienförmige Qualitäten

Seine Fans, und die findet man mittlerweile in der ganzen Welt auf allen Kontinenten, finden Tarkan "süß". Er ist "der Beste", obwohl einige in Chatforen kritisieren, dass "Musiker wie Tarkan Musik nur wegen des Geldes machen."

Tarkan ist außerdem immer und zu allen freundlich, verhält sich jederzeit neutral, gibt nie einen Kommentar zu irgendetwas ab, ruft per Werbespot im türkischen NTV dazu auf, für Tsunami-Opfer zu spenden, ist nicht arrogant oder eingebildet und deshalb lieben ihn in der Türkei alle, vom Säugling bis zum Greis.

In der Türkei hält man ihn für modern, im Ausland sorgt das orientalische Flair seiner Musik für Anhänger. Aber insgesamt weiß man eigentlich herzlich wenig über Tarkan Tevetoglu (so sein bürgerlicher Name).

Tarkan ist im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinne unfassbar. Da gibt es zwar die tausendundeinmal abgeschriebene Geschichte des 1972 in Deutschland geborenen Sohnes türkischer Gastarbeitereltern:

Er ging mit 14 in die Türkei, studierte dort Gesang und wurde mit eigennütziger Unterstützung Mehmet Sögütoglus und dessen Produktionsfirma Istanbul Plak ein Weltstar. Sonst gibt es aber nichts Prägnantes. Tarkan trägt sozusagen eine makellose Weste.

Gerüchte, Skandale und Medienrummel

Eine Zeit lang galt er in der Türkei als "rebellisch", weil er offen über uneheliche Leidenschaft sprach oder Ohrringe trug. Nicht zu vergessen die beiden bis ins letzte globale Dorf herumerzählten "Skandale" um seine vermutete Homosexualität und die Geschichte mit dem Wehrdienst bei der türkischen Armee, dem er angeblich im Ausland entkommen wollte, dann aber doch leistete, wenn auch nur verkürzt...

Um den nicht endenden Spekulationen um sein Sexualleben in der Türkei zu entkommen, verlegte der Superstar seinen Wohnsitz ins Labyrinth der Stadt der Städte, in das Babylon der Neuzeit, in den ultimativen Schmelztiegel der Kulturen: New York, New York. Der Medienöffentlichkeit präsentierte er sich bald mit einer neuen Freundin. Und zwar eine türkische. Bildhübsch und Juristin, ergo intelligent. Also alles wieder in Ordnung? Boulevardjournalisten lästern, es handle sich dabei um ein PR-Manöver.

Rätselraten um Tarkan

Hier in New York wohnt er auch heute und kaum jemand erfährt, was er macht, was er denkt wenn er alleine ist, für was er sich neben Musik interessiert, ob er Krisen hat oder Visionen, warum er immer so banal scheinende Lieder über unstete Liebesgefühle singt und ob er sich über irgend etwas ärgert (außer über Boulevardjournalisten).

Wenigsten wüsste man doch gerne, ob er auch 2005 die Welt mit Livekonzerten erfreuen wird! Aber sein neues Management um den legendären Promoter des Woodstockfestivals, Michael Lang, vertritt scheinbar die These, dass weniger Starrummel mehr Starqualität bedeutet. Auch auf Tarkans Homepage - nur veraltete Infos oder seine Werbung für ein Parfüm).

Immerhin weiß die Redaktion des türkischen Berliner Radiosenders Metropol FM, wo Tarkan ebenfalls große Verehrung erfährt, dass er derzeit an einer neuen Platte arbeitet. Darauf will er auf Englisch singen, "um den internationalen Markt zu erobern".

Endgültig erobern, müsste es korrekt heißen, denn "Oynama Sikidim, Sikidim" trällerte man bereits vor Jahren auch in Lateinamerika und Zentralasien. Ja, man munkelt gar, dass er eventuell nie wieder (!) auf Türkisch singen möchte!

Mit Deutschland - das sei an dieser Stelle der Ausgewogenheit halber erwähnt - hat er emotional auch abgeschlossen. Da stellt sich die Frage, ob er damit im Ausland nicht seinen Zauber verliert, wenn man plötzlich versteht, was er singt.

Immerhin verkauften die deutschen Gruftrocker "Rammstein" in den USA und Russland auch nur Platten mit teutonischen Lyrics. Ihre englische Variante floppte ungehört.

Herzschmerz als Erfolgsrezept

Bei Radyo Metropol FM zweifelt man nicht am Erfolg des erfahrenen Teams um Tarkan. Seine Songwriter produzieren Texte, „die sich in und an der Umgangssprache orientieren“ und "sloganartig" sind. Es geht um Liebe, Eifersucht, Begehren und Trennungsschmerz. "Die Texte bleiben im Kopf und sind doch Texte, die kein anderer macht."

Seine größten Hits, "Sikidim" und "Simarik" (das Lied mit dem Kussgeräusch) hat die türkische Queen of Popmüzik, Sezen
Aksu, für ihn gedichtet. Der "massenkompatible" Trick dabei: Die Lieder sind Gimmicks, erregen durch Verfremdungseffekte und Kultur übergreifende, decodierbar eingespielte Geräusche Aufmerksamkeit - unabhängig vom Text.

Beim Einspielen der Lieder arbeitet Tarkans Team außerdem nur mit namhaften Künstlern zusammen. Sein Singen beschreiben Feuilletonisten als "Flehen". "Er furcht das Tal der Tränen auf dem die gute Laune surft" (Berliner Zeitung). Zu stampfenden elektronischen Beats begleiten ihn "schunkelnde Oboen, traurige Sufi Flöten und rasselnde Tamburine im Disco-Rhythmus" (Berliner Morgenpost).

Projektionsfläche für "Massenmenschenträume"

Derzeit gehen in Deutschland die Tarkan-Plattenvorräte zu neige, weil Istanbul Plak die Preise für Tarkan-Scheiben erhöht hat. Tarkan ist somit auch der Teuerste geworden. Bislang sträuben sich Deutschlands Großhändler aber, da mitzuziehen.

Tarkan hat mal gesagt, er wolle sich in Bali niederzulassen, wenn er den Erfolg seines Vorbildes Madonna erreicht hat. Immer gottähnlicher entzieht er sich also den im banalen Alltag verhafteten Menschen.

Mutiert zu einer auf den Bahnen superlativer Klischees wandelnden Projektionsfläche für globale "Massenmenschenträume": Für Musiker und Produzenten, die unter seinem Namen groß rauskommen wollen, für Homos und Heteros, für Alte wie Junge, Arme und Reiche. Damit hat er das Zeug, in den höchsten Pop-Olymp aufzusteigen.

Lennert Lehmann

© Qantara.de 2005

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