Chancen nach dem Mauerfall

Die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu Palästina und Israel verliefen während des Kalten Krieges entlang der Linie Westen – Ostblock. Das änderte sich erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Von Wolfgang G. Schwanitz

Komplexer konnte der Hintergrund nicht sein, vor dem Deutsche und Palästinenser ihre Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben. Zum einen haben die Nazi-Diktatur und der Holocaust den Deutschen eine Verantwortung gegenüber dem neuen Staat Israel auferlegt, der sich Bonn stellte, Ostberlin jedoch nicht.

Zum anderen gab es Millionen palästinensischer Flüchtlinge, deren Los von Ländergruppen der Welt - den freiheitlichen, den sozialistischen und den paktfreien - in typischer Weise benutzt worden war. Bonn und Ostberlin blieben mit ihrem Kurs gegenüber Palästinensern Stellvertreter des Westens und des Ostblocks.

Erst am Tag, an dem in Europa der Eiserne Vorhang fiel, endete auch die antagonistische Palästinapolitik der zweierlei Deutschen und die Logik des Kalten Krieges. Der Mauerfall gab den vereinten Deutschen und den Palästinensern Chancen. Durch seine guten Kontakte zu beiden Konfliktseiten kann Berlin den gerechten Kompromiss fördern.

Geteiltes Deutschland und Palästina

Als in Mitteleuropa zwei deutsche Staaten entstanden, gab es das Land Palästina im Sinne des britischen Mandatsgebietes und des Teilungsbeschlusses der UNO nicht mehr. Es konnte daher kein direktes Subjekt der Bonner und Ostberliner Politik sein. Vielmehr galten als Adressaten des Flüchtlingsproblems Regierungen in Westjerusalem, Kairo und Amman.

Die palästinensischen Flüchtlinge ließen sich in den Nachbarländern nieder. Die Frage Ihrer Einbeziehung, Rückkehr und Entschädigung stand im Raum. Israel blockierte ihre Heimkehr. Doch Jordanien erlaubte ihre Integration. Ägypten verwehrte ihnen die Naturalisierung: dies bedeute, den Israelis beizugeben.

Damit wuchs der Palästinafrage eine Sonderrolle in den Beziehungen der zweierlei Deutschen zu. Die deutsche und die jüdische Identität waren ja Seiten einer Medaille, die sich im geteilten Deutschland und Palästina je westdeutsch-israelisch und ostdeutsch-palästinensisch einfärbte. Deutsche fühlten mit den Arabern, Palästinensern, Juden und Israelis mit, zumal sie gerade Millionen durch ihre Nachbarn vertriebene Landsleute aufnahmen.

Alte Feinde, neue Freunde

Im Zweiten Weltkrieg erklärten die Nazis Juden und Kommunisten zu ihren Feinden und die arabische Nationalbewegung Palästinas, wie sie Jerusalems Großmufti Amin al-Husseini vertrat, zum "natürlichen Bündnispartner".

Zu den Feinden dieser Deutschen und Palästinenser zählten, wie im Ersten Weltkrieg die Briten, Franzosen und Russen. Beide Male fanden sich Deutsche und Palästinenser als Verlierer wieder.

Als Novum kam nach dem Zweiten Weltkrieg eine ähnliche Teilungslage in Mitteleuropa wie in Nahost hinzu: Dieselben Siegermächte bestimmten nun sowohl die Teilung Deutschlands als auch die Palästinas.

Palästinenser mussten neue Freunde suchen. Hatten es ihnen Juden und Israelis nicht gezeigt, wie man die Großmächte gewinnen kann? Die alten Zentren in London und Paris entfielen dafür. Die Briten wurden des Bruches ihrer Versprechen auf die Unabhängigkeit und der Weggabe Palästinas als nationales Heim an die Juden bezichtigt, indes sich die Franzosen durch ihren Krieg in Algerien unbeliebt machten.

Da kamen neue Aspiranten auf: Amerika, Japan, China und die "gottlose" Sowjetunion, die kurz vor Stalins Tod vom Geburtshelfer zum Feind Israels wurde.

Die Mächte spalteten sich im Kalten Krieg in den Westen und den Ostblock auf. Die palästinensische Führung wählte Osteuropa als Partner aus. Dabei entwickelte Ostberlin volle Beziehungen zur PLO. Bonn wandte sich Israel zu. Deutsche trugen ihre Nationalfrage als Juniorpartner der Weltmächte auch in Nahost sehr unversöhnlich aus.

Spielball der Nationen

Alles geriet in die Mühlen des Kalten Krieges. Oft ging es nicht um Palästina, sondern um ungelöste Probleme Europas. Nahost wurde dafür zur Projektionsfläche, solange der Welt die atomare Vernichtung drohte.

Aus der Sicht der Paktführer im Weißen Haus und im Kreml bildete Nahost eine Randzone, von der jedoch ein Krieg nach Europa gelangen konnte. Jede Seite benutzte daher die Palästinenser für sich. Eine gutartige Regelung ihrer Rechte auf einen Staat, auf Rückkehr oder Entschädigung wurde damit unmöglich.

Bonn wurde mehr für Israelis, Ostberlin mehr für Palästinenser aktiv. Diese "doppelte" Politik in Pakten vertiefte Konflikte, wie es Terroristen bei Flugzeugentführungen und auf der Münchner Olympiade zeigten.

Berliner Politik

Indem sich Osteuropa der Demokratie zuwandte, entfiel die ideologische Grundlage des Ost-West-Konfliktes. Ostdeutsche durften frei wählen. Amerika, Deutschland und Europa wirken im Quartett auf das Ringen zwischen Israelis und Palästinenser ein.

Die vereinten Deutschen waren die ersten, die in Gaza und Jericho Vertretungen erbauten. Ohne Israel zu schaden, sind sie in der Europäischen Union zum stärksten Finanzier der Palästinenser aufgestiegen.

Wenden sich diese der Demokratie zu, rückt eine gerechte Regelung näher. Wie einst bei vertriebenen Deutschen, die ihre Heimat verloren, wird es nicht ohne harte Kompromisse abgehen.

Wolfgang G. Schwanitz

© Qantara.de 2005

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