Schonzeit für Teherans unabhängige Presse
Nicht nur Schriftsteller, sondern auch Journalisten riskieren bei der Ausübung ihres Berufs in der Islamischen Republik oft ihr Leben - sofern sie nicht als Sprachrohr der herrschenden Ideologie fungieren wollen. Die iranische Justiz gilt bis heute als mächtigste Gegenspielerin der liberalen Medien. Doch in der gemeinsamen Front von juristischen Hardlinern und Zensoren tuen sich inzwischen erste Risse auf, wie Bahman Nirumand berichtet.
Anfang März gab Irans Justizchef, Mahmud Haschemi, bekannt, er habe die Gerichte angewiesen, künftig behutsamer mit der Presse umzugehen und etwaige Gesetzesübertretungen einzelner Journalisten nicht mit dem Verbot der betreffenden Zeitung zu ahnden.
Es genüge, wenn der verantwortliche Redakteur zur Rechenschaft gezogen werde, sagte Haschemi. Zudem sollten Journalisten nicht wie Kriminelle behandelt werden.
Irans Justiz im Wandel?
Zwei Tage später erläuterte der Chef der Teheraner Justiz, Abbas Ali Alizadeh, die Anweisung. "Wir werden journalistische Vergehen völlig anders behandeln als Betrügereien in der Wirtschaft oder Aktivitäten gegen die Sicherheit des Landes."
Ohne zu erklären, warum bisher anders verfahren wurde, sagte er, es gehöre zu den Grundsätzen der islamischen Rechtssprechung, dass der Richter bei seinem Urteil "Persönlichkeit, Beruf und die gesellschaftliche Position des Angeklagten ebenso wie die äußeren Umstände berücksichtigt."
Der Sinneswandel der iranischen Justiz kam überraschend. Diese friedlichen Töne klangen nach Jahre lang anhaltenden Schlachtrufen gegen die liberale Presse unglaubwürdig.
Hatte nicht die Justiz innerhalb von vier Jahren mehr als hundert Zeitungen und Zeitschriften verboten? Waren nicht bei diesen willkürlichen Angriffen gegen die Presse zahlreiche Journalisten verhaftet und zum Teil zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden?
Wie konnte der Justizchef seine Friedensbotschaft verkünden, wohl wissend, dass immer noch zwölf Journalisten in den Kerkern sitzen, unter ihnen Akbar Gandji, der zu zehn Jahren Haft und fünf Jahren Verbannung verurteilt wurde? Seit sechs Jahren sitzt er hinter Gittern. Seine Gesundheit ist ruiniert, dennoch erhält er - trotz Proteste aus dem In- und Ausland - keine medizinisch bedingte Haftverschonung.
Noch vor wenigen Monaten hatte die Justiz, nachdem sie die liberale Presse nahezu vollständig ausgelöscht hatte, ihre Speerspitze gegen Internetdienste und Weblogger gerichtet. Im vergangenen Dezember wurden in einem Generalangriff an die 100 Webseiten gefiltert und 25 Betreiber von Internetdiensten festgenommen.
Nach einigen Wochen wurden vier von ihnen gegen eine Kaution von jeweils 50.000 Euro sowie gegen ein selbst erniedrigendes, öffentliches Reuebekenntnis freigelassen.
Erzwungene Geständnisse und Selbstbezichtigungen
Djavad Gholam Tamimi, einer der Freigelassenen, bekannte sich schuldig, einer ausländischen Botschaft Informationen und Dokumente verkauft zu haben. Er sei von einigen Reformern in die Irre geleitet worden und habe gegen die nationale Sicherheit verstoßen, schrieb er reumütig.
"Dafür möchte ich mich beim iranischen Volk entschuldigen", so Tamimi. "In einem anderen Land wäre ich für mein Vergehen mit dem Tod oder mit lebenslanger Haft bestraft worden. Aber hier habe ich durch die Justiz und im Gefängnis eine Güte erfahren, die in mir eine tiefe Scham hervorgerufen hat. Ich weiß nicht, was ich tun könnte, um mich dieser Großzügigkeit würdig zu erweisen."
Ähnlich lauteten die "Bekenntnisse" der anderen. Die Selbstbezichtigungen wurden von der Nachrichtenagentur Pars verbreitet und im staatlichen Fernsehen verlesen. Die Reumütigen distanzierten sich vom "Verband zur Verteidigung der Freien Meinungsäußerung" sowie vom "Verband der Journalisten" und bezeichneten diese als "Büttel der Feinde der Islamischen Republik".
Die beiden Organisationen hatten sich massiv für die Freilassung der Inhaftierten eingesetzt und zu einer Protestdemonstration bei der Justiz aufgerufen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte, das Regime in Teheran wolle durch solche "erzwungenen Selbstbezichtigungen die Persönlichkeit von Oppositionellen brechen und Kritiker zum Schweigen bringen."
Die Organisation verfügt nach eigenen Angaben über Unterlagen, die eindeutig beweisen, dass die Justiz frühere Mitarbeiter des Geheimdienstes beschäftigt habe. Diese seien für Folterungen und erzwungene Geständnisse zuständig.
Ali Mazrui, ehemaliger Parlamentsabgeordneter und einer der führenden Köpfe der Reformbewegung, dessen Sohn ebenfalls verhaftet und später freigelassen wurde, schilderte in einem offenen Brief an Präsident Khatami, was seinem Sohn im Gefängnis widerfahren war.
Sein Sohn sei mehrmals mit verbundenen Augen geschlagen worden, schrieb er. Er sollte über das Privatleben seiner Eltern detailliert Auskunft geben und gestehen, dass er selbst sich sittenwidriger Vergehen schuldig gemacht und verbotene Beziehungen gepflegt habe.
59 Tage habe er in Einzelhaft verbringen müssen. Er habe täglich nur dreimal jeweils für drei Minuten seine Zelle verlassen dürfen, um seine Notdurft zu verrichten. Mazuri fügte dem Brief einen Text hinzu, ein vorformuliertes Geständnis, das der Sohn hätte vor seiner Freilassung unterschreiben sollen. Der Text ähnelte den von anderen Gefangenen vorgelegten Geständnissen.
Iran - größtes Gefängnis für Reporter im Mittleren Osten
Noch Anfang Februar wurde Arasch Sigartschi, Betreiber des Internetdienstes "Eltehab", zu vierzehn Jahren Haft verurteilt. Dem 28-Jährigen wurden "Spionagetätigkeit und Beleidigung des Revolutionsführers" vorgeworfen. Sigartschi ist gleichzeitig Chefredakteur der in der Provinz Gilan erscheinenden Zeitung "Gilan Emruz".
Auf seiner Internetseite schrieb er kritische Stellungnahmen zu politischen und gesellschaftlichen Themen und setzte sich für die Freilassung politischer Häftlinge und für die Freiheit der Presse ein.
Der in Teheran ansässige Verein zur Verteidigung der freien Meinungsäußerung protestierte gegen das Urteil und sprach von einer "neuen Phase" der Repression gegen die Presse, insbesondere gegen Internetdienste und Weblogger.
Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen forderte in einer Presseerklärung vom 24. Februar die sofortige Freilassung Sigartschis. Iran bilde mit zwölf inhaftierten Journalisten "das größte Gefängnis für Reporter" im Nahen und Mittleren Osten, hieß es in der Erklärung.
In Anbetracht dieser Vorgeschichte erscheint die Order des Justizchefs nicht nur für Außenstehende höchst erstaunlich. Auch innerhalb der Justiz rief sie Irritationen hervor. Wenige Tage nach den Äußerungen Schahrudis und Alizadehs meldete sich Said Mortazawi, zurzeit Oberstaatsanwalt in Teheran und einer der einflussreichsten Hardliner der Justiz, zu Wort.
Er war Jahre lang Richter und in dieser Eigenschaft hatte er die meisten Zeitungsverbote bzw. Urteile gegen Journalisten ausgesprochen. Die Anweisung des Justizchefs bezüglich des Umgangs mit der Presse sei ihm nicht bekannt, sagte Mortazawi vor Journalisten in Teheran.
Er habe Alizadeh schriftlich um Klarstellung des Sachverhalts gebeten. Für ihn sei es nach wie vor selbstverständlich, dass eine Zeitung, die sich nicht an Vorschriften und Gesetze halte, verboten werde, betonte er.
Gefahr einer gleichgeschalteten Presse
Es bleibt nun abzuwarten, wer den künftigen Kurs der Justiz bestimmen wird. Fest steht, dass im Lager der Konservativen über den Umgang mit der liberalen Presse und insgesamt mit Kritikern keine Einigkeit besteht.
Die fundamentalistischen Islamisten wollen nach ihrem manipulierten Sieg bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr nun erst recht den bisherigen Kurs verstärkt fortsetzen, um endlich zu ihrem Ziel, einer gleichgeschalteten Presse zu gelangen.
Ihnen gegenüber treten die pragmatischen Moderaten für eine weichere Gangart ein. Den Kurswechsel begründen sie einmal damit, dass eine Verstärkung der Repressionen die zu erwartende geringe Beteiligung an den Präsidentschaftswahlen im Juni noch weiter reduzieren würde.
Zum zweiten soll unter allen Umständen vermieden werden, dass das Verhältnis zu Europa, das ohnehin durch den Atomkonflikt angespannt ist, durch Verletzung der Menschenrechte zusätzlich belastet wird.
Vermutlich haben gerade diese Gesichtspunkte dazu geführt, dass der zu 14 Jahren Haft verurteilte Sigartschi vor kurzem gegen eine Kaution freigelassen wurde. Auch die Tageszeitung "Neshat" - einst das größte liberale Blatt Irans, das vor vier Jahren verboten wurde - kann nach dem Freispruch eines Berufungsgerichtes wieder erscheinen.
Bahman Nirumand
© Qantara.de 2005
Qantara.de
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