Frauen treiben Start-up-Szene an

A smiling Muslim woman wearing a hijab sits and looks at her laptop
Saudi-Arabiens florierende Start-up-Szene ist stark von Frauen geprägt. Seit der "Vision 2030" von Kronprinz Mohammed bin Salman will das Land sie verstärkt in den Arbeitsmarkt integrieren. (Foto: Imago)

Eine florierende Gründerszene verändert die saudische Geschäftswelt. Vor allem für Frauen bieten die Start-ups neue Möglichkeiten.

Von Jennifer Holleis

Sie sind viele und sie engagieren sich in den unterschiedlichsten Branchen: Unternehmerinnen aus der Start-up-Szene sind aus der saudischen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken.

Die Situation hat sich binnen kürzester Zeit grundlegend verändert. Noch vor einem Jahrzehnt war es für Frauen in Saudi-Arabien ausgesprochen schwierig, überhaupt ein Unternehmen zu gründen. "Es gab buchstäblich kein Ökosystem für Start-up-Unternehmen", sagt Maha Shirah, eine der ersten saudischen Unternehmerinnen in Riad, im Interview mit der Deutschen Welle (DW).

Als Shirah 2014 in Riad den landesweit ersten Co-Workspace für Frauen eröffnete, war das Engagement von Frauen in vielen Branchen noch gesetzlich eingeschränkt. Doch inzwischen hat das saudische Handelsministerium eine umfassende Liste von Women Business Centers veröffentlicht, in denen sie Räumlichkeiten für ihre Projekte finden. Die lokale Start-up-Landschaft floriert derweil nicht nur, sondern wird von Frauen in allen Branchen vorangetrieben.

Saudi-Arabien habe alle nötigen Voraussetzungen für die Öffnung des Arbeitsmarktes geschaffen, Frauen zur Arbeit ermutigt und ihnen auch eine angemessene Bezahlung sichergestellt, heißt es in einem aktuellen Bericht der Weltbank.

Neue gesetzliche Regelungen ermöglichen es ihnen heute, Unternehmen zu gründen und zu leiten. Zudem würdigt der Weltbank-Report neue Bestimmungen zur Höhe der Rente von Frauen. Alle juristischen Voraussetzungen habe das Königreich einwandfrei umgesetzt.

Im Frauenbericht 2021/22 des Königreichs heißt es, 95 Prozent der saudischen Frauen hätten vom Beruf der Unternehmerin eine sehr hohe Meinung.

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Weibliche Erwerbsquote verdoppelt

Zwar wurden bislang noch keine aktuellen Statistiken zur Beteiligung von Unternehmerinnen am Erwerbsleben veröffentlicht. Doch der Trend ist offensichtlich. Zwischen 2017 und 2021 verdoppelte sich die Erwerbsquote der Frauen in Saudi-Arabien von 17,4 auf 35,6 Prozent. 

Damit habe das Land das Ziel der "Vision 2030", die Erwerbsquote bis zum Ende des Jahrzehnts auf 30 Prozent anzuheben, bereits übertroffen, heißt es in einer Analyse des in Washington ansässigen Think Tank Arab Gulf States Institute vom Januar 2024.

Die "Vision 2030“, ein 2016 vom saudischen Kronprinzen und De-Facto-Machthaber Mohammed bin Salman (genannt MBS) verkündetes sozioökonomisches Reformpaket, gilt als Haupttreiber dieser Entwicklung. Mit der "Vision 2030" will MBS sein Land auf die post-fossile Zukunft einstellen. 

Frauen sollen verstärkt in die Arbeitswelt einbezogen werden, man will die Arbeitslosigkeit bekämpfen, nicht länger nur von den Einnahmen aus der Erdölwirtschaft abhängig zu sein sowie das Land für Touristen öffnen.

Neue Wertschätzung für Start-ups

"Vor 2017 gab es sehr wenige Kurse an Schulen oder Universitäten, die sich mit dem Thema Start-ups oder Unternehmertum befassten", sagte Shirah. Zugleich sei eine Unternehmensgründung nur als Option für reiche Personen angesehen worden. Für alle anderen Bürger habe es als "Stigma" gegolten, ein Start-up zu gründen. Dank der Initiativen der Regierung kann heute jedoch "jeder mit einer guten Idee Unternehmer werden, natürlich auch Frauen", sagt sie.

Im Laufe der Jahre wurde die Regierung zu einem der aktivsten Investoren in der lokalen Start-up-Szene. So etwa wurden beim Technologiegipfel "Leap24" im März dieses Jahres Regierungsinvestitionen in Höhe von 11,9 Milliarden US-Dollar (10,9 Milliarden Euro) in IT-Start-ups angekündigt. Der saudischen Start-up-Szene gehe es bereits recht gut, sagt Shirah. Die Szene wachse weiter, sie benötige aber zusätzliche Förderer.

Two Saudi women in the workspace Glowork in Riyadh
Seitdem Maha Shirah ihr Start-up in Riad 2014 eröffnet hat, sind im ganzen Land Workspaces für Frauen aus dem Boden geschossen. (Foto: Thomas Koehler/photothek/picture alliance)

Saudis lernen das Scheitern

Menschen wie Marriam Mossalli etwa. Die saudische Unternehmerin setzt sich seit Jahren mit ihrer gemeinnützigen Organisation "Under The Abaya“ für die Stärkung von Frauen ein (eine Abaya ist ein Kleid, das den gesamten Körper mit Ausnahme von Kopf, Händen und Füßen bedeckt, Anm. d. Red.). 

Zudem berät Mossalli Start-ups. Vor kurzem gründete sie eine C-Suite Advisory Investitions- und Unternehmensberatung. Darunter versteht man Beratung für Führungspositionen in einem Unternehmen wie CEO (Chief Executive Officer) und COO (Chief Operating Officer). 

Mossalli investierte auch in mehrere von Frauen geführte Start-ups. "Als Unternehmerin weiß ich aus erster Hand, vor welchen Herausforderungen wir Frauen stehen", sagt sie im DW-Gespräch. Für sie sei es an der Zeit gewesen, "mein Geld in die eigene Hand zu nehmen".

Inzwischen haben saudische Unternehmer gelernt, auch berufliches Scheitern zu akzeptieren. "Jahrzehntelang war die Vorstellung des Scheiterns in Saudi-Arabien verpönt", sagt Sebastian Sons vom Bonner Thinktank CARPO im DW-Gespräch. "Das hat sich allerdings geändert, denn viele junge Menschen erkennen, dass Scheitern ein Teil ihrer Geschäftserfahrung sein kann. Inzwischen sind sie bereit, dieses Risiko einzugehen." 

Von nationalem Nutzen

Die Förderung einer lebendigen Start-up-Szene sei nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die saudi-arabische Regierung von Nutzen, so Sons. "Der Fokus liegt auf der wirtschaftlichen Diversifizierung, da der Staat nicht mehr in der Lage ist, viele Mitarbeiter im öffentlichen Sektor zu absorbieren. Zugleich muss der private Sektor gestärkt werden."

Der zweite Grund liege in der externen und internen Wirkung der Unterstützung von Start-ups. Die Regierung signalisiere, dass sie die persönliche Initiative durch Start-ups als Teil des Nation Branding fördere. Zudem gebe es noch eine weitere Komponente, so Sons. "Die Förderung ist auch Bestandteil der Machtkonsolidierung von Kronprinz Mohammed bin Salman im Land."

Allerdings bedeuten die erweiterten wirtschaftlichen Möglichkeiten von Frauen nicht, dass sie sich auch politisch betätigen können. So heißt es im Jahresbericht 2024 der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: "Weitere Rechtsreformen werden durch die weit verbreitete Repression unter dem De-facto-Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman nach wie vor stark untergraben. Eine Reihe von Frauenrechtsverteidigern, darunter Ludschain al-Hathlul, haben nach wie vor Reiseverbot und sind zu Bewährungsstrafen verurteilt." Gerade erst wurde die 29-jährige Aktivistin Manahil al-Utaibi zu elf Jahren Haft verurteilt, weil sie öffentlich eine Abschaffung des System der männlichen Vormundschaft gefordert hat.

Jennifer Holleis

© Deutsche Welle 2024

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp