Arabische Literatur von großen Autoren

Seit über zwanzig Jahren verlegt der Schweizer Unionsverlag außereuropäische Literatur. Auch eine beachtliche Anzahl arabischer AutorInnen sind im Programm. Martin Zähringer hat die Bücher gelesen und sich mit dem Verlagsleiter unterhalten.

Seit über zwanzig Jahren verlegt der Schweizer Unionsverlag außereuropäische Literatur. Auch eine beachtliche Anzahl arabischer AutorInnen sind im Programm. Martin Zähringer hat die Bücher gelesen und sich mit dem Verlagsleiter unterhalten.

Plakat des Unionsverlags zur arabischen Welt, Foto: Britta Le Va

​​Der Züricher Unionsverlag ist bekannt für sein umfangreiches Spektrum an internationaler Literatur. Man zählt 274 internationale Autoren in der Geschichte des Hauses, zwanzig von ihnen kommen aus der arabischen Welt. Das scheint wenig zu sein. "Eine traurige Welt, in der eine so kleine Zahl auffällt", sagt der Verlagsgründer und Verleger Lucien Leitess dazu.

Sie fällt auf, vor allem weil es sich bei diesen Schriftstellerinnen und Schriftstellern überwiegend um Autoren handelt, die jener orientalistischen Erwartungshaltung "blumiger Stil etc. etc." definitiv nicht entsprechen. Es sind kritische und zumeist noch lebende Zeitgenossen.

Am Anfang stand die "Dritte-Welt-Literatur"

Seit 1982 wurde im Unionsverlag ein Programm aufgebaut, das vor allem Autorinnen und Autoren trägt, die "modern, experimentell, städtisch und zeitgenössisch schreiben" – gerade diese Literatur hat es nach Leitess schwer.

Am Anfang stand einmal, in Kooperation mit anderen Verlagen, der Versuch, einen "Dialog Dritte Welt" zu schaffen. Es galt, "ein realistisches Bild der sozialen und politischen Lage des [jeweiligen] Landes und seiner Bevölkerung zu vermitteln". Nachzulesen in einer Programmankündigung des ersten arabischen, noch lieferbaren Titels "Staatsanwalt unter Fellachen" von Taufiq al-Hakim aus Ägypten.

Den Begriff 'Dritte Welt Literatur' betrachtet Leitess heute misstrauisch, auch der Anspruch des 'Realismus' erscheint ihm "bei den außereuropäischen Literaturen geradezu reaktionär. Denn sie hat in den letzten Jahrzehnten den traditionellen Literaturkanon phantastisch bereichert, ja gesprengt".

Französisch die Sprache, südlich der Blick

Die Stammautorin Assia Djebar aus Algerien schreibt auf Französisch, doch "ihr Blick auf die Menschen und die Geschichte ist ein radikal südlicher, und ihre Erzählweise ist bewusste Auflehnung gegenüber den westlichen Erzähltraditionen." Aber eben kein orientalistischer Blick, das verbietet sich von selbst angesichts der Verarbeitung von Kolonialgeschichte und den neuesten, Gewalt geprägten Kapiteln im postkolonialen Algerien.

Diese Themen, unter anderen, sind oft auch Schreibanlass und Gegenstand in den Texten von Rachid Boudjedra, Germain Aziz, Malikka Mokkedem und neuerdings bei Yasmina Khadra mit einer aufschlussreichen Krimi-Trilogie.

Literatur aus Palästina

Die Autorin Sahar Khalifa, seit 1983 im Programm, und der auf Deutsch schreibende Salim Alafenisch repräsentieren die Literatur Palästinas im Unionsverlag. Der Begriff 'Repräsentation' darf hier nicht missverstanden werden. Khalifa wirft auch kritische Blicke auf die Verhältnisse im eigenen Land, wie etwa ihr letzter Roman "Das Erbe" zeigt.

Als im letzten Jahr Yitzhak Laor aus Israel, bekannt als scharfer Kritiker seiner Regierung und der Armee, mit dem Roman "Steine, Gitter, Stimmen" beim Unionsverlag erschien, trafen sich Khalifa und Laor anlässlich einer Lesereise in Deutschland.

Befragt, ob sich hier etwa der Hoffnungsschimmer eines israelisch-palästinensischen Dialoges zeige, meinte Lucien Leitess: "Beide sind vor allem herausragende Literaten, die sich von ihren Meinungsmachern nichts vormachen lassen." Also keine dienstbaren Geister etwa mit halboffiziellem Auftrag, ein Charakteristikum, das auch für die anderen Autoren des Verlags gelten kann.

Frauen als Literatinnen und Romanfiguren

Sahar Khalifa, Assia Djebar, Malika Mokkedem, neuerdings auch die Ägypterin Miral al-Tahawi stehen im Verlagsprogramm auch für die wenig beachtete Tatsache, dass sich Frauen im Spektrum der arabischen Literatur längst ihren Platz erobert haben. Die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau wird schon im frühen Verlagsprogramm auch von Männern thematisiert.

Der Marokkaner Driss Chraibi stellt in "Die Zivilisation, Mutter" die Härte der Situation für eine marokkanische Frau dar, aber auch einen gewitzten Optimismus und Mut zur Veränderung. Taufiq Yussuf Awwad aus dem Libanon kommt mit dem Roman "Tamima" einer unmöglichen Liebe zwischen einer jungen Muslimin und einem Christen in Beirut nah.

Auf die Frage, ob das 'feministische' Thema ein spezieller Zugang zur Auswahl seiner Autorinnen und Autoren sei, sagt Leitess: "Es sind die Schriftsteller, die sich ihre Themen wählen. Natürlich ist es kein Zufall, dass die bedeutenden Autorinnen rund um die Welt sich der Condition féminine in ihren Ländern widmen. Und erst recht nicht bei Schriftstellerinnen aus der arabischen Welt."

Machfus blieb auch nach Nobelpreis treu

Ein besonders hervorragender Autor ist Nagib Machfus aus Ägypten, inzwischen mit 20 Titeln beim Unionsverlag vertreten. Es scheint weiterzugehen mit diesem Engagement, im Sommer erscheint "Die Reise des Ibn Fattuma". Geht das nicht ein wenig auf Kosten anderer, jüngerer Schriftsteller? Da lässt sich der Verleger nichts nehmen:

"Das Euvre von Machfus ist in seiner Art gigantisch. Seit über sechzig Jahren entwickelt der Meister seine Themen und Formen weiter, bis heute experimentiert er. Es ist ein Glück, einen solchen Autor begleiten zu können. Ein Glück auch, dass auch er uns nach dem Nobelpreis die Treue gehalten hat." Auch für die Leserinnen und Leser, nicht zuletzt weil Machfus' Stammübersetzerin, Doris Kilias, für Kontinuität in der Vermittlung sorgt.

Ohne Förderung läuft nichts

Hier muss noch einmal die entscheidende Bedeutung der Übersetzungsförderung für die Vermittlung arabischer Literatur erwähnt werden. Die "Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika" und "Pro Helvetia" aus der Schweiz fördern regelmäßig die Übersetzung arabischer Literatur.

Dazu nennt der Verleger einmal Zahlen: "Ohne solche Zuschüsse muss sich ein übersetzter Roman fünf- bis achttausend Mal verkaufen, das ist nur selten möglich."

Auf die Frage, wie er an seine Autoren kommt und wie es wohl mit der arabischen Literatur in deutschen Übersetzungen weitergeht, meinte Lucien Leitess: "Viele Autoren aus diesen Regionen werden heute durch professionelle Agenturen betreut. Die Zeiten, als es besondere Mühe brauchte, an Informationen heranzukommen, sind vorbei. Man muss nur hinhören wollen."

Martin Zähringer

© Qantara.de 2004

Unionsverlag
Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika
Pro Helvetia