In Ägypten trüge Frau Jelinek den Schleier…

Mustafa Maher hat bei der Übersetzung von Elfriede Jelineks Roman "Die Liebhaberinnen" ins Arabische viele von ihm als vulgär empfundene Wörter ausgelassen. Warum?

Interview von Samir Grees

​​Ihre in Kairo erschienene "Liebhaberinnen" - Übersetzung ist ziemlich problematisch. Sie enthält viele Fußnoten, die manchmal überflüssig und störend wirken. Auch haben Sie viele angeblich vulgäre Wörter ausgelassen und diese Auslassungen mit Pünktchen markiert. Das heißt: Die "arabische" Jelinek entspricht nicht dem Original. Warum?

Mustafa Maher: Am Ende Ihrer Frage sagen Sie: Jelinek auf Arabisch ist anders als das Original. Wenn man Frau Jelinek nach Ägypten holte, sähe sie anders aus, sie trüge ägyptische Kleider und einen Schleier oder eine Burka.

Genau das ist die Frage: Warum soll ich ihren Körper oder ihr Gesicht verdecken? Warum bleibt sie nicht ohne Schleier?

Maher: Damit sie besser in die Gesellschaft der Zielkultur passt. Als Übersetzer muss man zunächst einmal einen verständlichen Text präsentieren, d.h. man muss den Sinn korrekt übertragen. Das ist es, was ich im ersten Schritt gemacht habe. Es gibt Dinge, auf die man den Leser aufmerksam machen muss, damit er das Gesagte versteht – deshalb die Fußnoten und Hinweise.

Außerdem weiß ich als Übersetzer nicht, welche Zielgruppe die Übersetzung liest. Es gibt Leser, die immer wieder Erklärungen der im Text vorkommenden historischen, geographischen und kulturellen Details brauchen. Als Übersetzer kann ich nicht sagen: Ich übersetze, also existiere ich nicht. Nein, ich übersetze, also bin ich! Ich sage: Ich will, dass dieser Text Grenzen überschreitet und die Menschen erreicht. Wenn ich den Text entstellt und seinen Inhalt verkehrt hätte, wäre dies ein Fehler gewesen. Einige Stellen hätten jedoch bei einer wörtlichen Übersetzung eine falsche Vorstellung beim Leser in der anderen Kultur erweckt. In diesen Fällen ist es richtig, einzugreifen.

Zum Beispiel?

Maher: Bei Todesfällen in Deutschland, beispielsweise, findet das Begräbnis einige Tage nach dem Tod statt. Es gibt dann viele Blumen. Nach der Beerdigung versammeln sich die Leute in einem Lokal und essen Kuchen, trinken Wein, lachen … Einer hat mir erzählt, nach der Beerdigung eines Freundes haben die Versammelten viel gelacht, so dass einer sagte: Wir müssen ihm dankbar sein, er hat uns zum Lachen gebracht und uns unsere Sorgen vergessen lassen! Solche Rituale haben wir nicht. Als ich in Deutschland lebte, war ich überrascht, dass die Friedhöfe so schön waren, wie Gärten, durch die wir spazieren gingen.

Wenn man übersetzt, muss man dem Leser all dies vermitteln, man muss ihm sagen, dass die Friedhöfe ganz anders sind als in der arabischen Welt. Was Jelinek angeht, so kann ich nicht ein literarisches Werk in einen anderen Kulturkreis übertragen, in dem die Menschen nicht solche sexuellen Details lesen – Details, die wir nicht sagen können …

Doch diese Details tauchen durchaus in der arabischen Literatur auf. Es gibt – vor allem in letzter Zeit – eine Reihe literarischer Werke, die ganz bewusst Sexualität bis hin zur Pornographie behandeln, weil man denkt, das führe zu höheren Auflagen. Es gibt fast eine Inflation an detailreichen Sexszenen ohne irgendein künstlerisches Ziel. Bei Jelinek ist die Sexualität aber ein Hauptthema in ihren Werken – wenn sie bestimmte Wörter benutzt, so soll man sie getreu übersetzen. Warum sollte man sie auslassen?

Maher: Ich habe nichts ausgelassen. Auslassen ist nicht das richtige Wort – ich fand Stellen, die dem Hauptziel der Übersetzung nicht dienen, nämlich, dass die Leser Jelinek verstehen. Wenn die Menschen den Text lesen würden, wie er ist, würden sie denken, diese Schriftstellerin sei eine schamlose Hure und Zuhälterin! Dies ist aber kein richtiges Bild. Ich habe in Deutschland lange Jahre gelebt und erlebt, wie konservativ das Land war.

Ich habe auch die Entwicklung miterlebt. Ich glaube, dass es dem künstlerischen Wert des Romans nicht abträglich ist, nein, ihm sogar erhöht, wenn ich die Worte auslasse, die dem arabischen Leser nicht nützen; im Gegenteil, diese Worte würden ihm ein verkehrtes Bild der westlichen Kultur vermitteln. Wenn Jelinek eine Szene zwischen einem Mann und einer Frau auf der Toilette beschreibt, oder wie eine Frau mit der Rasierklinge an ihrem Körper schneidet … dann sind das keine Worte meiner Sprache.

Jelinek hat aber diese Sprache bewusst verwendet, sie ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Werkes. Als Übersetzer übertrage ich entweder den Text getreu, oder ich sage: Dieses Werk eignet sich nicht zum Übersetzen.

Maher: Nein, es eignet sich sehr zum Übersetzen. Es ist, wie ich sage, eines der großen Werke der menschlichen Kultur. Wenn ich es dem Leser überlasse, sich das Geschehnis vorzustellen, wenn ich es mit anderen Worten in einer Fußnote beschreibe, so kann der Leser die Entsprechung finden.

Ich muss nicht einen Mann und eine Frau auf eine Art und Weise zeigen, die anders verstanden wird, als von der Schriftstellerin gemeint. Außerdem präsentiere ich ja nicht die einzig mögliche Übersetzung. In der islamischen Rechtswissenschaft zum Beispiel sagt man über den sexuellen Akt: Wenn der Schminkstift in die Dose mit Kajal eindringt. Man sagt nicht: Wenn das männliche Glied in die Scheide eindringt.

Obwohl einige Klassiker der arabischen Sprache und Literatur solche Ausdrücke enthalten. Zum Beispiel das Buch "Fiqh al-lugha" (Die Philologie der Sprache) von al-Thaalibi, das ein ganzes Kapitel über den Beischlaf und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Benennungen enthält…

Maher: Ja, aber al-Thaalibi und andere sprachen eine sehr kleine Gruppe von ihresgleichen an. Die breite Masse benutzte damals auch Wörter, die die Gebildeten für nicht züchtig hielten. Es gibt den berühmten Diwan von Abu-Nawas – die alten Bücher sind voll von diesen Ausdrücken, niemand hat sie gestrichen, doch es sind Werke, die der breiten Masse fern sind. Ich vergleiche das mit Anatomiebüchern, die detaillierte Kenntnisse über die Geschlechtsorgane enthalten, doch sie sind nicht für die Allgemeinheit geschrieben. Meine Übersetzungen aber richten sich an alle.

Interview: Samir Grees

© Qantara.de 2008

Mustafa Maher ist Germanistik-Professor an der Ain-Shams-Universität in Kairo. Er hat seit den sechziger Jahren zahlreiche Werke der deutschen Literatur ins Arabische übersetzt, u.a. von Goethe, Kafka, Hesse, Dürrenmatt und Handke. Zuletzt hat er zwei Werke der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek übersetzt: "Die Liebhaberinnen" und "Die Ausgesperrten". Samir Grees hatte 2005 Jelineks "Klavierspielerin" ins Arabische übersetzt.

Qantara.de

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