Türkische Juden – eine wechselvolle Geschichte
25 Tote und mehr als 300 Verletzte – so die verheerende Bilanz nach den Anschlägen auf zwei Synagogen im Herzen der türkischen Metropole Istanbul. Bisher steht fest: Zwei türkische Moslemextremisten hatten die blutigen Autobombenanschläge verübt. Doch über die Motive wird spekuliert. Der Bundesvorsitzende der „Türkischen Gemeinde in Deutschland“, Hakki Keskin, glaubt, dass die Terroristen offensichtlich einen Zusammenhang zu dem israelisch-palästinensischen Konflikt herstellen wollten. Aber die türkischen Juden hätten mit diesen Ereignissen nichts zu tun, beteuert er. Die Türkei zähle nach den Worten Keskins zu den wenigen Ländern, in denen die Juden in der Vergangenheit keiner Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt waren und in Sicherheit gelebt haben.
Weltoffenheit der Türkei
In der Türkei leben rund 20.000 Juden, die überwiegende Mehrheit von ihnen in Istanbul. Weitere kleinere jüdische Gemeinden gibt es in der Hauptstadt Ankara, in Izmir an der Ägäis-Küste sowie in den Provinzen Hatay und Gaziantep an den anatolischen Grenzen zu Syrien. Ihre Zahl ist nicht genau ermittelbar, da Juden bei Volkszählungen als türkische Staatsbürger registriert worden sind.
Sie konnten sich bislang in der Regel auf die Weltoffenheit der Türken seit der Gründung der türkischen Republik vor 80 Jahren sowie auf den Respekt des Osmanischen Reiches vor anderen Religionen verlassen.
Zufluchts- und Auswanderungsland Türkei
Dass sich die Zahl der Juden in der Türkei von rund 80.000 zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart verringerte, ging auf die Entwicklungen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zurück. Aufgrund der wirtschaftlichen Not im Zuge des Befreiungskampfes der Türken unter Führung von Mustafa Kemal Atatürk gegen die Besatzungsmächte, wanderten Zehntausende Juden nach Europa und Amerika aus.
Weitere Auswanderungswellen gab es in den 40er und 50er Jahre. Zunächst einmal traf eine Vermögenssteuer, die den Mitgliedern von nicht-moslemischen Gemeinden auferlegt wurde, auch die Juden empfindlich. Die Juden, Armenier und Griechen waren nach den Lausanner Verträgen von 1924 als Minderheiten anerkannt, was ihnen - im Gegensatz zu den Kurden - die Pflege von Sprache und Kultur sowie die Veröffentlichung von Zeitungen und Publikationen in ihren Sprachen und Schriften ermöglichte.
Nach der Gründung des Staates Israel setzte eine weitere Auswanderungswelle ein. Zwischenzeitlich suchten viele Juden Zuflucht vor dem NS-Regime in der Türkei, um nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auszuwandern.
Der Beginn der jüdischen Einwanderung in die heutige Türkei geht auf das Jahr 1492 zurück, als die arabische Herrschaft über die iberische Halbinsel zusammenbrach und die christliche Inquisition sich gegen Juden richtete. Das Osmanische Reich unter der damaligen Führung von Sultan Beyazid II. nahm sie auf und gewährte ihnen die Religionsfreiheit, die Fatih (Eroberer) Sultan Mehmed II nach der Eroberung Konstantinopels 1453 christlichen Minderheiten zuerkannt hatte.
Insgesamt gibt es heute fast 40 Synagogen in der Türkei, fast die Hälfte davon in der Bosporus-Metropole Istanbul. Amtlich registriert sind zudem 19 jüdische Stiftungen und fünf jüdische Schulen.
Wiederholter Anschlag
Die Synagoge Neve Shalom war 1951 fertig gestellt und für Gläubige freigegeben worden. Diese Synagoge war bereits am 6. September 1986 Ziel eines Anschlags. Damals waren während der Sabat-Messe 21 teilnehmende Juden getötet worden.
Der Oberrabbiner der türkischen Juden ist seit einem Jahr Rav Ishak Haleva. Er war in dieses Amt gewählt worden, das vor ihm Rav David Asseo seit 1961 bis zu seinem Tod im Juli 2002 innehatte.
Baha Güngör, © Deutsche Welle 2003