"Wir sind alle Bahrainis – keine Sunna, keine Schia!"

In Bahrain spitzt sich der Konflikt zwischen der Opposition und der von der sunnitischen Königsfamilie beherrschten Regierung weiter zu. Mittlerweile sind auch Aufrufe zum Sturz der Monarchie zu hören. Sabine Damir-Geilsdorf informiert.

In Bahrain spitzt sich der Konflikt zwischen der Opposition und der von der sunnitischen Königsfamilie beherrschten Regierung weiter zu. Mittlerweile sind auch Aufrufe zum Sturz der Monarchie zu hören. Über die historisch bedingten Ursachen für das Aufbegehren der Bevölkerung informiert Sabine Damir-Geilsdorf.

Demonstration von Regime-Gegnern in Manama; Foto: dpa
"Wir sind das Volk!" - Die Proteste gegen das sunnitische Königshaus werden vor allem von unzufriedenen Schiiten getragen, die die Mehrheit der Bevölkerung Bahrains stellen.

​​ "Woher weißt du, dass du Bahraini bist? Du wirst von einem Jemeniten inhaftiert, von einem Iraker gefoltert und von einem Ägypter verurteilt."

Dieser bahrainische Witz spiegelt einige gesellschaftliche Probleme in dem kleinen Inselstaat wider. Nach der letzten Volkszählung von 2010 haben von den rund 1,2 Millionen in dem Golfstaat lebenden Menschen 54 Prozent keine bahrainische Staatsbürgerschaft.

Im Justizwesen sind viele Ägypter angestellt, die Sicherheitskräfte setzten sich zu einem großen Teil aus Pakistanis zusammen, aber auch aus Jemeniten, Jordaniern und (sunnitischen) Arabern anderer Nationalitäten. Der schiitischen bahrainischen Mehrheitsbevölkerung ist der Zugang zur Armee und Polizei verwehrt. 80 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, davon ca. 70 Prozent Schiiten, aber offizielle Zahlenangaben gibt es nicht.

Konfessionelle Segregationspolitik

Das wäre auch nicht im Interesse der regierenden sunnitischen Königsfamilie Al Khalifa, deren konfessionelle Segregationspolitik bereits in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten geführt hatte. Schiiten haben deutlich weniger Arbeitsmöglichkeiten als Sunniten, führende Herrschaftspositionen sind Sunniten vorbehalten und schiitische Dörfer weisen eine schlechtere Infrastruktur als sunnitische Wohnbezirke auf.

Seit Beginn der bahrainischen Proteste am 14. Februar 2011, die maßgeblich über Facebook, Email, Twitter und Mund-zu-Mund-Propaganda organisiert wurden, sind mindestens sechs Menschen gestorben, Hunderte verletzt. Nach Berichten von Beteiligten werden noch immer über 70 Personen vermisst.

Die massive Gewalt der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten hat auch internationale Kritik hervorgerufen. Als diese die Protestierenden am Perlen-Platz vergangene Mittwochnacht (16.2.) brutal auseinandertrieben, wurden laut Augenzeugen Krankenwagen und Sanitätern der Zugang verwehrt sowie Ärzte und Krankenschwestern der staatlichen Krankenhäuser angewiesen, die Verletzten nicht zu behandeln.

Bahrains "Nationale Aktionscharta"

Der als "Tag des Zorns" betitelte Beginn der Proteste fiel auf zeitgleiche Staatsfeiern anlässlich des 10-jährigen Bestehens der bahrainischen "Nationalen Aktionscharta". Über diese war 2001 abgestimmt worden, nachdem der jetzige König, Scheich Hamad bin Isa Al Khalifa 1999 die Nachfolge seines Vaters angetreten und umfassende Reformen angekündigt hatte.

Panzer in Manama; Foto: AP
Mit massiver Gewalt gegen das eigene Volk: Bei den Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten wurden bislang sechs Menschen getötet, 220 weitere wurden verletzt. In der Hauptstadt Manama zogen Panzer auf.

​​Sie versprach demokratische Öffnung und sollte den Unruhen im Land, die in den 1990er Jahren zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Oppositionellen und Sicherheitskräften geführt hatten, ein Ende setzen. Damals wurden mehrere Tausend Regimekritiker inhaftiert, mehrere Hundert ausgewiesen und mindestens zwei Dutzend Menschen getötet.

Die "Nationale Aktionscharta" von 2001 versprach u. a. die Wiedereinführung eines gewählten Parlaments, das 1975 aufgelöst worden war, sowie die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie.

Für Enttäuschung bei den oppositionellen Gruppen sorgte dann allerdings die Verfassung von 2002. Das Parlament wurde als Zweikammerparlament eingerichtet, in dem nur die Abgeordneten der zweiten Kammer direkt gewählt, die der ersten Kammer hingegen vom König ernannt werden, ebenso wie der Ministerpräsident, der Minister und alle Richter.

Schiitische Parteien boykottierten die Wahlen deshalb 2002. Nachdem sie sich jedoch 2006 zur Teilnahme entschlossen, erzielten sie wie in der jüngsten Wahl 2010 trotz aller Widerstände einen Wahlerfolg. Derzeit stellt die schiitische "Jam'iat al-Wifaq al-watani al-islamiyya" 18 von 40 Sitzen, fünf Sitze gehören zwei sunnitischen Parteien, der Rest unabhängigen Kandidaten.

Konflikte sind in Bahrain alles andere als neu, auch in den vergangenen zehn Jahren kam es besonders in den schiitischen Dörfern immer wieder zu Ausschreitungen. Für Aufruhr sorgte z.B. der sogenannte Bandargate-Skandal 2006, in dem führende Minister beschuldigt wurden, geheime Aktionen gegen die schiitische Mehrheit geplant zu haben, darunter auch Änderungen der konfessionellen Verhältnisse durch gezielte Einbürgerungen von Sunniten – ein Vorwurf, der bis heute immer wieder geäußert wird.

Im Zuge des Anti-Terrorgesetzes aus dem Jahr 2006 wurden zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Oppositionelle inhaftiert, im Vorfeld vor den jüngsten Wahlen 2010 etwa 250 Personen.

Inspiration für den "Tag des Zorns"

Demonstranten in Manama; Foto: AP
Kein homogener Block: Genauso vielschichtig wie sich die bahrainische Opposition darstellt, so unterschiedlich sind auch ihre Forderungen nach Aufhebung der konfessionellen Segregationspolitik und mehr Demokratie in Staat und Gesellschaft.

​​Inspiriert wurde der "Tag des Zorns" von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten. Den Sturz von Husni Mubarak hatten Bahrainis intensiv verfolgt und gefeiert. Dass die Berichterstattung in den bahrainischen staatlich gelenkten Tageszeitungen die ägyptischen Demonstrierenden als Unruhestifter darstellten, die die Sicherheit der gesamten Region gefährde, beeindruckte offensichtlich kaum jemanden.

Unmittelbar vor den bahrainischen Protesten hatte der König jeder Familie 1.000 BD, umgerechnet fast 2.000 Euro als Geschenk zugesagt. "Wie kann er denken, uns damit zum Schweigen zu bringen?", empörte sich einer der Initiatoren.

Anders als bei den Protesten in Ägypten und Tunesien verfolgen die bahrainischen Demonstranten auch nicht das Ziel, die Regierung komplett zu stürzen, sondern die Einführung einer konstitutionellen Monarchie, wie in der "Nationalen Aktionscharta" versprochen, mit einer gewählten Exekutive und Rotation der Macht sowie politische und ökonomische Reformen.

Da der Widerstand keinen homogenen Block darstellt, werden auch unterschiedliche Forderungen gestellt. Im Zentrum stehen jedoch bei allen Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit, die Freilassung sämtlicher politischer Gefangenen, die Aufhebung der konfessionellen Segregationspolitik, eine gerechtere Einteilung der Wahlkreise, die bislang sunnitischen Wählern mehr Gewicht gibt, sowie Maßnahmen gegen Korruption, ungerechte Verteilung von Reichtum, Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Wohnungsmangel.

Obwohl an den Demonstrationen mehr Schiiten als Sunniten beteiligt sind, stellen sie keine rein schiitischen Aufstände dar oder sind gar von Teheran gesteuert, wie das Regime behauptet. Wiederholte Slogans der Protestierenden lauten: "Wir sind alle Bahrainis – keine Sunna, keine Schia!"

Die Organisatoren warnen vor einer Konfessionalisierung der Proteste, die doch eben diese Spaltungen aufheben wollen. Aufgerufen dazu haben neben der schiitischen Wifaq-Partei auch Jugendgruppen, Menschrechtsaktivisten und nicht schiitische Bahrainis, u. a. politisch links stehende politische Vereinigungen.

Iranische Einflussnahme als Vorwand

Am 17. Februar unterzeichneten 19 zivilgesellschaftliche Vereinigungen eine Forderung an den König, die Gewalt der Sicherheitskräfte sofort zu stoppen und eine Untersuchungskommission einzusetzen.

Scheich Ali Salman, Generalsekretär der Wifaq-Partei; Foto: AP
"Die Partei strebt keinen religiösen Staat an, auch nicht nach dem Vorbild Iran", so Scheich Ali Salman, Generalsekretär der schiitischen Wifaq-Partei in Bahrain.

​​ Argumente eines iranischen Einflusses auf Regimekritiker führten auch in der Vergangenheit zu einer Verschärfung konfessioneller Konflikte und dienten als Mittel, jegliche Oppositionelle als Marionetten des Mullah-Regimes zu brandmarken.

Die Sorge des Regimes, die Demonstranten seien vom Iran aufgewiegelt, der einige Male Bahrain als iranische Provinz bezeichnet hatte, teilen auch die USA und Saudi-Arabien. Letztere fürchten dabei auch Einflüsse auf ihre eigenen schiitischen Minderheiten.

Mitgliedsländer des Golfkooperationsrats beschwören immer wieder Gefahren einer "schiitischen Achse". Für die USA hat Bahrain eine wichtige strategische Lage; hier ist die 5. Flotte der US-Marine stationiert. Sie beobachtet von dort aus nicht nur die Erdölverschiffungen im Golf, sondern auch den nahen Iran.

Während des Irakkriegs 2003 diente Bahrain US-amerikanischen Truppen als Aufmarschbasis. Der Generalsekretär der Wifaq-Partei, der in Qom ausgebildete Scheich Ali Salman, wiederholte jedoch auch während der Proteste: "Die Partei strebt keinen religiösen Staat an, auch nicht nach dem Vorbild Iran." In Konsequenz der brutalen Räumung des Perlen-Platzes hat die Partei das Parlament boykottiert und ihre Mitarbeit darin offiziell ausgesetzt.

Nachdem die Sicherheitskräfte beim Trauerzug für den ersten beiden Toten einen weiteren Menschen erschossen hatten, verschärfte sich die Stimmung unter den Demonstranten, mehr noch nach den Vorkommnissen am Perlen-Platz. Mittlerweile sind auch Aufrufe zum Sturz der Monarchie zu hören. Fotos von blutigen Leichen mit weggeschossenen Köpfen auf Facebook-Seiten heizen die Stimmung weiter an.

Viele verkünden jetzt, mit den Protesten nicht aufhören zu wollen, damit die Getöteten, die von den Schiiten als Märtyrer gefeiert werden, nicht umsonst gestorben seien. Noch aber wird dazu aufgerufen, friedlich zu bleiben und keine Gewalt anzuwenden.

Sabine Damir-Geilsdorf

© Qantara.de 2011

„Dr. Sabine Damir-Geilsdorf ist Privatdozentin für Islamwissenschaft in der Universität Bonn und arbeitet derzeit an einem von der Gerda Henkel Stiftung finanzierten Forschungsprojekt über Scharia-Konzepte und Reformagenden islamistischer Parteien in Bahrain, Ägypten, Libanon und Palästina.“

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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