Spiel des Hasses
Die Spiele in Kairo und Khartum, in deren Verlauf die algerische Mannschaft und deren Fans aufs heftigste angegriffen wurden, ließen die Rhetorik von der arabischen Brüderlichkeit wie eine Seifenblase zerplatzen. Ägypten wurde am vergangenen 18. November beim Entscheidungsspiel in Khartum besiegt, das Land am Nil hat die Niederlage bis heute nicht verdaut.
Seitdem verfolgt Ägypten eine Kampagne, in der Hass und unsinnige Streitereien in den Medien den Ton angeben – und zwar mittels offizieller Verlautbarungen, über so genannte "Intellektuelle" und Künstler, die auf entsprechenden Kurs gebracht wurden. Ja sogar die al-Azhar, das Zentrum der sunnitischen Gelehrsamkeit, mischte sich in den "Fußballkrieg" ein. Deren schlagartig zu Fußballexperten mutierten Gelehrten gingen sogar soweit, die Algerier zu exkommunizieren – diese seien keine Muslime mehr, geschweige denn Araber.
Gleichzeitig genießen die Algerier ihren Sieg, sind sie doch nach 24 Jahren endlich wieder einmal bei einer Fußballweltmeisterschaft dabei. Sie überlassen die Ägypter ihren Schmähreden und Beschimpfungen und bereiten sich auf Südafrika und auf die Afrikameisterschaft vor, die im Januar in Angola stattfindet. Dort könnten sich ihre Wege erneut mit denen der Ägypter kreuzen.
Verdacht der Parteilichkeit
FIFA-Präsident Sepp Blatter erklärte trocken und lapidar, "er sei davon überzeugt, dass sich Algerien und Ägypten noch einmal gegenüber stünden und dass alles gut verlaufen würde." Gleichzeitig versicherte Blatter, er würde dafür Sorge tragen, "dass die offiziellen Vertreter beider Mannschaften zusammen kämen". Tatsächlich verdächtigen die Algerier Blatter der Parteilichkeit. Sie verstehen nicht, warum die FIFA das Spiel in Kairo nicht abgesetzt und Disziplinarmaßnahmen gegen die Ägypter eingeleitet hat, nachdem diese ihren angeblich unter ägyptischem Polizeischutz stehenden Mannschaftsbus mit Steinen beworfen hatten.
Sie erinnerten die FIFA auch daran, dass sie einst nur 24 Stunden gebraucht hatte, um Maradonna für seine ausfälligen Bemerkungen gegenüber der Presse scharf zu verurteilen. Als wolle er ihren Verdacht erhärten, erklärte der Generalsekretär der Organisation, M. Valcke, in einem Interview in der algerischen Zeitung Compétition (Wettbewerb), dass ein Bürgerkrieg in Ägypten verhindert werden konnte, weil das Spiel regulär stattgefunden hätte!
Nach Amr Moussa, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, der Muammar al-Gaddafi gebeten hatte zu intervenieren, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, was von Algerien wiederum mit dem Hinweis abgelehnt wurde, die Brücken zu Ägypten seien nicht abgebrochen, streift sich plötzlich Sepp Blatter das Gewand des Vermittlers über. Angesichts der Schwere des Streits besteht allerdings die Gefahr, dass sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, und zwar umso mehr, als die Ägypter selbstherrlich kundtaten, jegliche Sport- und Kulturveranstaltungen mit Algerien boykottieren zu wollen. Doch es kommt noch viel ungenierter: Sie verlangen gar eine Entschuldigung sowie Entschädigungen. Wie konnte es soweit kommen?
Nebenkriegsschauplatz der Autokraten
Für den Mubarak-Clan, der seit 1981 an der Macht ist und die Inthronisation Gamals als Nachfolger seines Vaters 2011 nach Art einer "Djumlukiya" (eine arabische Wortschöpfung aus den Wörtern "Republik" und "Königtum"; Anmerkung des Übersetzers) vorbereitet, war es offensichtlich, dass Ägypten sich selbstverständlich für die Weltmeisterschaft qualifizieren würde. Dieser als sicher geltende Sieg sollte das Image der durch eine explosive wirtschaftliche und soziale Situation bedrohten Autokratie wieder aufwerten und ihr eine weitere Amtszeit bescheren. Und was bietet sich unter solchen Bedingungen am besten an? Zum Beispiel ahnungslose Algerier den vielen Millionen durch unsinnige Medienkampagnen aufgeheizten Ägyptern auszusetzen!
Der Präsident des Nationalen Sportrates ging sogar soweit, dass er seinen Landsleuten im Zusammenhang mit den 2.000 algerischen Fans, die nach Ägypten einreisen durften, erklärte: "Macht mit ihnen, was ihr wollt!" – mit lautstarker Unterstützung der beiden Mubarak-Söhne, die das Klima weiter anheizten. Bedauerlicherweise waren deren Gegner nicht bereit, den Sündenbock zu spielen.
In ihrer Ehre verletzt, mobilisierten die Algerier mehrere 10.000 Fans, um sie mit Extra-Flügen zum Entscheidungsmatch nach Khartum zu bringen, da sie überzeugt davon waren, dass Ägypten auf neutralem Boden nicht den Sieg davon tragen würde – was tatsächlich bislang auch immer der Fall gewesen war. Den Verdienst dieses Triumphes, der wie eine Art "zweite Unabhängigkeit" gefeiert wurde und der gleichzeitig deutlich macht, dass Algerien auf die internationale Sportbühne zurückgekehrt ist, heimst natürlich Präsident Abdelaziz Bouteflika ein. Und der hatte sich natürlich nicht nehmen lassen, alle Karten auszuspielen – wohl wissend, dass eine Niederlage in Kombination mit der Aggression, der die algerische Nationalmannschaft und ihre Fans ausgesetzt waren, seine Regierung teuer zu stehen kommen würde.
Fußball als Protestventil
Der Empfang, den Millionen Algerier ihren "Helden" bereiteten, wurde augenblicklich in eine Demonstration gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen, umgemünzt – ein Protestventil gegen die gewaltigen sozialen Problemen des Landes, obwohl der Ölsegen Algerien in den vergangenen Jahren solch riesige Investitionsvorhaben wie nie zuvor beschert hat. In Algier - wie auch in Kairo - überwachen die Regierungen den Fußballkalender, bietet er doch der Bevölkerungsmasse die Möglichkeit, sich abzureagieren. Sport als Opium des Volkes.
Der Journalist Gamal Fahmi glaubt, dass "die arabischen Regime den Fußball im Geist ihrer Völker verankern, um von ihrem tiefgreifenden innenpolitischen Scheitern abzulenken". Gewiss werden die durch diese Krise verursachten Schäden noch lange die Beziehungen beider Staaten belasten. Und das umso mehr, als die Algerier regelrecht eine Menschenjagd erleben mussten und Güter aus ägyptischen Unternehmen in Algerien verbrannt wurden.
Trotz alledem versucht die algerische Regierung noch immer, an "normalen" Beziehungen zur ägyptischen Führung festzuhalten. Den Druck der Straße und die massive Kritik der Medien wischt sie dabei einfach vom Tisch. Im Grunde genommen hat die Krise auf beiden Seiten Groll und Vorwürfe zu Tage gefördert und dabei die hochtrabenden Reden von Brüderlichkeit und gemeinsamem Schicksal als hohle Phrasen entlarvt.
Diffamierung à l’égyptienne
Nachdem den Algeriern abgesprochen wurde, Muslime und Araber zu sein – eine Identität, die übrigens ja gar nicht alle für sich beanspruchen –, scheuten Ägyptens offizielle Stellen und Medienmacher auch nicht davor zurück, das Gedenken an die für Algeriens Befreiung vom kolonialen Joch gefallenen Widerstandskämpfer zu beleidigen, die Algerier als "Barbaren" und "Terroristen" zu bezeichnen, ja sogar zu behaupten, ohne die Ägypter wäre Algerien immer noch eine Kolonie. Es seien die Ägypter gewesen, die den Algeriern Arabisch beigebracht hätten.
Man stelle sich nur vor, was geschehen wäre, wenn Ägypten und Algerien eine gemeinsame Grenze hätten. Algerische Internetnutzer haben ihrerseits das Netz besetzt, indem sie Videosatiren über ägyptische Kommentatoren einspeisen, und das Pathos von Misr umm al-dunya (Ägypten, die Mutter der Welt) durchstreichen oder hervorheben, wenn dies der Fall wäre, Algerien wohl der Vater sei.
Sie bezeichnen ihre Gegner als Egyp-chiens (ein Wortspiel, das nur in der französischen Phonetik funktioniert: das t von égyptien wird durch ch ersetzt, damit endet das Wort auf Hund) oder als Misrail (ein Wortspiel, das das arabische Wort für Ägypten, misr, mit Israel kombiniert). Mit gramvollen Blicken werden diese Fehden von den arabischen Medienmachern registriert – einige von ihnen wurden bereits von ihren ägyptischen Kollegen angefeindet, weil sie angeblich auf der Seite Algeriens stünden.
Ein Kommentator des TV-Sender Al Jazeera erhielt sogar eine Todesdrohung von Kollegen, die für die zahlreichen ägyptischen Satellitensender tätig sind. Da Algerien in diesem Bereich nichts vorzuweisen hat – und sich der einzige staatliche Fernsehsender mit dem Spitznamen "der Stumme" wie gewohnt sehr zurückhielt –, erfolgte die Retourkutsche über Zeitungen, die einen relativ ruhigen Ton angeschlagen, von der arabischsprachigen Tageszeitung Al Shuruq einmal abgesehen, die in dieser Angelegenheit wohl sämtliche Register zog.
Algerische Doppelstrategie
Unter diesen Umständen und obwohl die algerische Regierung – trotz der heftigen Welle der Kritik – dazu entschlossen ist, die Beziehungen zu den ägyptischen Amtskollegen weiter aufrecht zu erhalten, lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie unter der Hand eine Politik verfolgt, die darauf abzielt, das, was von der Führerschaft Ägyptens über die arabische Welt noch übrig bleibt, zu unterminieren.
Das erste Aktionsfeld wird die Forderung einer Reform der Arabischen Liga sein, einer Budget verschlingenden und offensichtlich ineffektiven Organisation, die die Ägypter seit ihrer Gründung dominieren. Die zweite Absicht besteht darin, all diejenigen Oppositionellen Ägyptens zu bestärken, die die Rolle, die das Land im Zusammenhang mit dem Würgegriff gegen die Palästinenser spielt, kritisch hinterfragen.
Allerdings dürfte es – aufgrund der Unterstützung der Regierung Mubaraks durch die USA und Saudi-Arabien – für Algerien eher schwierig werden, diese beiden Karten auszuspielen.
Hamid Skif
© Qantara.de 2009
Übersetzt aus dem Französischen von Ursula Günther