Geschichte und Realpolitik

Aus Sicht des Westens wäre es nur vernünftig, wenn Pakistan, Indien und Afghanistan bei der Bekämpfung der Taliban kooperieren würden. Aber das pakistanische Militär sieht in einer Allianz zwischen seinen Nachbarn die größte Bedrohung des Landes. Irfan Husain beleuchtet die Geschichte des Konflikts.

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Am 7. Juli wurde auf die indische Botschaft in Kabul ein Selbstmordanschlag verübt. Ein afghanischer Sprecher verurteilte die Tat: "Die Feinde der afghanisch-indischen Freundschaft werden die Beziehungen nicht zerstören!"

​​Unmittelbar nach dem verheerenden Anschlag auf die indische Botschaft in Kabul, der am 7. Juli diesen Jahres fast 50 Menschen tötete, bezeichnete Karzais Regierung "einen regionalen Geheimdienst" als Vordenker des Selbstmordattentats – ein nur schwach verdeckter Verweis auf Pakistans Inter-Service Intelligence, ISI.

Die Explosion rückte auch die wieder zunehmende Macht der Taliban ins Rampenlicht. Innerhalb der letzten Monate hatten diese versucht, Präsident Karzai bei einem Militärmarsch in Kabul zu töten und darüber hinaus auch einen waghalsigen Anschlag auf das international frequentierte Serena Hotel in Kabul durchgeführt. Nach der in den Nachwehen des 11. September durchgeführten Invasion Afghanistans durch die amerikanisch geführten Koalitionsgruppen bereits abgeschrieben, kommen die Taliban nun umso kraftvoller zurück.

Die Grenze – Eine "Landnahme" der Briten

Afghanistan und Pakistan trennt die Durand Line, eine undefinierte und nahezu unmarkierte Grenze, die
die Briten 1893 bildeten, um ihre indische Kolonie vom unruhigen Nachbarn abzutrennen. Kabul betrachtete die Durand Linie immer als eine Landnahme der Briten, die die afghanischen Stämme willkürlich teilte. Das Fehlen einer beidseitig anerkannten Grenze ist eines der grundlegenden Probleme in der Region.

Nachdem die Sowjets 1979 in Afghanistan einfielen, blühten der Waffenhandel und die Heroinproduktion. Warlords, die Zugang zu von Amerika finanzierten Geldern und Waffen hatten, ersetzten die Stammesälteren, die für gewöhnlich respektierte Pro-Regierungs-Instanzen waren. Als die Rote Armee 1988 schließlich vertrieben wurde, verstrickten sich verschiedene afghanische Gruppen in internen Machtkämpfen, die sich zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg entwickelten. Der ISI versuchte, die Situation in Pakistans Interesse zu stabilisieren und unterstützte die Taliban, damals noch eine kleine Gruppe von Madrassa-Absolventen, die in Pakistan studiert hatten.

Pakistanisches Refugium der Taliban

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Ein pakistanischer Grenzsoldat überwacht die Grenze zu Afghanistan. Das pakistanische Militär sieht den Nachbar traditionell als seinen "Hinterhof".

​​Wenn die Taliban heute wieder stärker sind als in den letzten sechs Jahren, ist dies vor allem auf die sichere Abgeschirmtheit der pakistanischen Stammesgebiete zurückzuführen. Diese Rückzugmöglichkeit ins öde Grenzland hätte es für die Taliban ohne die Kooperation der ISI sicher nicht gegeben.

Jede Armee, sogar die Taliban, benötigt für ihren Kampf Geld. Die Haupteinnahmequellen, durch die sich die Aufständischen finanzieren, sind Heroinproduktion und -export: Die Taliban berechnen mittlerweile Schutzgelder für den Handelsverkehr. So genannte "Five-Dollar-Taliban" übernehmen den Großteil der Kämpfe und werden mit Prämien für jeden getöteten westlichen Soldaten geködert.

Den Shaheed, als Märtyrer gestorbene Taliban, wird ein sicherer Platz im Himmel garantiert, für ihre Familien wird gesorgt. In einer Region, in der es weder Arbeit noch Zukunft gibt, sind ein paar Monate mit den Taliban oft der einzige Ausweg aus einem Leben ohne Hoffung und Perspektive. Außerdem verleitet diese einfachen "heiligen Krieger" die Vorstellung, dass afghanische Frauen, sollte der Westen sich durchsetzen, dazu gezwungen würden, ihre alles verhüllenden Burqas abzunehmen – um Röcke zu tragen.

Die Tentakel der Taliban in Pakistan

Trauernde nach dem Tod Benazir Bhuttos; Foto: AP
Opfer der Taliban? Die ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto wurde 2007 ermordet.

​​Die Auswirkungen des weiterhin florierenden Krieges in Afghanistan auf Pakistan sind tödlich: Im letzten Jahr töteten über 50 Selbstmordanschläge über tausend Menschen. Islamistische Gruppen, die ihre afghanischen Cousins auf der anderen Seite der Grenze unterstützen wollen, stilisieren sich als pakistanische Taliban. Ihr Anführer Baitullah Mehsud wurde vorgeworfen, Strippenzieher bei der Ermordung Benazir Bhuttos am 27. Dezember 2007 gewesen zu sein. Swat, eine beliebte Touristendestination etwa 150 Kilometer nördlich von Islamabad, ist fest in der Hand der Taliban – ein sicheres Zeichen für die schnelle Ausweitung ihres Einflusses.

Nach einer Anschlagswelle, die sich hauptsächliche gegen Sicherheitskräfte in Pakistan richtete, begann die neu gewählte Regierung Verhandlungen mit Mehsud und willigte im Tausch gegen die Garantie, dass die Attacken enden würden ein, das Militär aus den Stammesgebieten abzuziehen, die unter Mehsuds Kontrolle stehen. Dieser Versuch Islamabads, einen separaten Frieden zu erlangen, wurde von Karzai und seinen westlichen Unterstützern natürlich kritisch und mit wachsender Besorgnis verfolgt.

Pakistan betrachtete seinen Nachbarn im Nord-Westen lange als Vorhof. Die meisten afghanischen Importe durchqueren zunächst Pakistan, um den Binnenstaat zu erreichen. Über ein Jahrzehnt haben drei Millionen Flüchtlinge in Pakistan Schutz vor den Kämpfen gesucht, die mit der sowjetischen Invasion und dem anschließenden Bürgerkrieg einhergingen. Eine gemeinsame Sprache und Kultur verbindet Millionen von pakistanischen und afghanischen Paschtunen, die Volksgruppe, aus der sich die Taliban hauptsächlich zusammensetzt.

Afghanistan, Schachbrett der regionalen Mächte

Ausschlaggebend ist aber das Konzept der "strategischen Tiefe", die das Denken von Generationen von Offizieren in Pakistan dominiert hat. Das Land ist geographisch schmal und die Angst der Militärplaner war, dass Indien es in einem Konflikt in zwei Teile schneiden könnte. Es wurde daher als wichtig erachtet, dass es eine Region gab, in die sich das Militär zurückziehen konnte, um von dort im Notfall weiter kämpfen zu können.
Diese Region sollte in Afghanistan liegen, und es liegt vor allem an diesen strategischen Überlegungen, dass Pakistan sich seit Jahren in afghanische Angelegenheiten einmischt.

Folglich sollten die islamistischen Streitgruppen auf beiden Seiten der Grenze eher als eine Einheit gesehen und in Pakistan und Afghanistan, unter einer gemeinschaftlichen Führung, bekämpft werden. Es ist unwahrscheinlich, dass dies möglich ist, solange Pakistan davon ausgeht, dass Afghanistan Verbindungen zu Indien unterhält – vor allem da die neu gewählte pakistanische Regierung keine einheitliche Strategie hat.

"Indien ist nicht der Erzfeind"

Irfan Hussain; Foto: privat
Irfan Husain: "Die islamistischen Streitgruppen auf beiden Seiten der Grenze sollten als eine Einheit gesehen werden."

​​Aus Sicht des Westens ist es sinnvoll, dass Islamabad, Neu Delhi und Kabul bei der Bekämpfung der Taliban zusammenarbeiten. Alle drei Länder sind der Gefahr des islamistischen Terrors ausgesetzt, und es wäre in ihrem Interesse, eine gemeinsame Front gegen diese wachsende Gefahr zu bilden. Pakistanische Generäle haben jedoch die Afghanistan- und Indienpolitik des Landes seit Jahren gelenkt und halten eine Allianz zwischen seinen zwei Nachbarn für die größte Bedrohung, der sich das Land heute gegenübersieht. Sie sind daher dazu verleitet, sich die Taliban bei Stange zu halten um die Karzai-Regierung zu schwächen und die indischen Interessen in Afghanistan zu bekämpfen.

Solange die pakistanische Armee überzeugt bleibt, dass die existentielle Gefahr an der Ostgrenze des Landes liegt, wird sie ihre Aufmerksamkeit und Ressourcen dort konzentrieren, während sie die Taliban als Stellvertreter nutzt, um zu verhindern, dass Pakistan in Afghanistan von Indien überlistet wird.

Eine Lösung des Kashmir-Konflikts wäre hierbei ein wichtiger Schritt und Meilenstein, um die Militärs davon zu überzeugen, dass Indien nicht der ewige Erzfeind ist.

Irfan Husain

© Qantara.de 2008

Übersetzung aus dem Englischen von Hanna Labonté

Irfan Husain ist ein pakistanischer Journalist und Kommentator. Er schreibt seit über 30 Jahren für pakistanische Medien. Seine Artikel wurden in allen wichtigen Zeitungen Pakistans veröffentlicht. Zurzeit schreibt Husain eine wöchentliche Kolumne für die Zeitung Dawn.

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