Am Rande der arabischen Welt
"Vierzig Jahre Renaissance" feiert das Sultanat Oman in diesem Jahr. Denn am 23. Juli 1970 hatte Sultan Qabus Bin Said Al Said seinen Vater gestürzt. Oman war damals ein von der Welt abgeschottetes und rückständiges Land gewesen, weder Mitglied in den Vereinten Nationen noch in der Arabischen Liga. Sultan Qabus öffnete dann das Land am Indischen Ozean rasch und leitete eine beeindruckende Entwicklung ein. Angesetzt sind die großen Feiern auf den 18. November, wenn Qabus 70 Jahre alt wird.
Als Qabus seinen Vater Said Bin Taimur mit Hilfe des britischen Zivilverwalters absetzte, gab es in Oman, einem Land, so groß wie Polen, drei Knabenschulen und nur in der Hauptstadt Maskat geteerte Straßen. Ein Jahr später entließ London das Sultanat Oman und andere junge Staaten am Golf in die Unabhängigkeit. Heute besuchen alle schulpflichtigen Kinder Omans eine der 1.300 Schulen. Das Sultanat, das mit seinen drei Millionen Einwohnern zu den am dünnsten besiedelten Ländern gehört, wurde mit einem Straßennetz, einer modernen Elektrizitätsversorgung und einem landesweiten Gesundheitsdienst erschlossen.
Die Omaner sind heute stolz auf ihr Land. "Mit beschränkten Ressourcen haben wir viel erreicht", sagt einer der führenden Intellektuellen. Das Einkommen je Einwohner liegt über jenem in der Tschechischen Republik und in Saudi-Arabien. Dabei fördert Oman gerade 850.000 Barrel Rohöl am Tag, das ist ein Prozent der Ölförderung überhaupt.
Im Windschatten der Finanzkrise
Vielleicht habe man einige Chancen verpasst, räumt der Intellektuelle mit Blick auf die benachbarten Vereinigten Arabischen Emirate ein. Andererseits verlaufe die Entwicklung in Oman nachhaltig und stetig. Auch die jüngste Finanzkrise hat das Land kaum getroffen, denn die Banken hatten kaum in riskante Papiere investiert. Der Sultan fördert die Bildung. Im Staatshaushalt des Jahres 2010 sind abermals 12 Prozent für das Bildungswesen ausgewiesen. Denn unter den Omanern - sie stellen drei Viertel der Bevölkerung - sind 55 Prozent 18 Jahre und jünger. Erst brauchen sie Schulen, dann Arbeitsplätze.
Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) berät daher die omanische Regierung bei der "Omanisierung" der Wirtschaft und entwickelt Programme, um die Jugend auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Oman liegt am Rand der arabischen Welt, grenzt an den Indischen Ozean, ist stark von der Kultur des indischen Subkontinents und auch Ostafrikas beeinflusst.
Durch die große innerarabische Wüste, die Rub al Chali ("Leeres Viertel"), ist Oman von Arabien getrennt. Wichtiger als die Karawanen nach Norden war stets der Seehandel mit Indien und Sansibar. Aus Oman stammte daher auch die Dynastie der Sultane Sansibars, die erst 1964 gestürzt wurde.
Beispiellose Toleranz
Mit der Seefahrt haben die muslimischen Omaner eine in der arabischen Welt beispiellose Toleranz hervorgebracht. Indische Händler hinduistischen Glaubens ließen sich in der omanischen Hauptstadt Maskat nieder, und sie wurden omanische Staatsbürger.
In Maskat kümmern sich ein hinduistischer Tempel und 28 Kirchen für Christen aus dem südindischen Kerala und aus dem Westen um die Gläubigen. Einmal stellt der Sultan für den Neubau einer Kirche Grund und Boden zur Verfügung, dann stiftet er einer Kirche eine neue Orgel. Jeder soll seine Religion ohne Einschränkungen praktizieren können. Vorbild ist Oman über die religiöse Toleranz hinaus. In sein Kabinett hat Sultan Qabus drei Ministerinnen berufen, Botschafterinnen vertreten Oman in Berlin und Washington.
Früher als andere arabische Staaten hatte Oman ein Umweltministerium eingerichtet, und die Unesco vergibt alle zwei Jahre einen von Sultan Qabus gestifteten Umweltpreis. Ein Anliegen ist ihm etwa, die Ausrottung der arabischen Oryxantilopen zu verhindern. Als erster Herrscher auf der Arabischen Halbinsel hat sich Sultan Qabus für die westliche klassische Musik eingesetzt. 1986 ließ er das "Royal Omani Symphony Orchestra" gründen, in dem ausschließlich junge Omaner spielen, die vom Konservatorium in Maskat ausgebildet wurden.
Omans "Royal Opera House"
Geprägt haben ihn die sechs Jahre von 1958 bis 1964 in Europa. Dort wurde Qabus in der britischen Militärakademie Sandhurst ausgebildet; anschließend war er in der Rheinarmee in Deutschland stationiert, wo er Gefallen an der Musik Europas fand. Einer der Höhepunkte der Feiern vom 18. November wird daher die Eröffnung des neuen "Royal Opera House" in Maskat sein, das die größte Orgel in der arabischen Welt beherbergen soll. Oman ist gemäß der Verfassung von 1996 eine absolute Monarchie. Sultan Qabus amtiert auch als Ministerpräsident sowie als Verteidigungs-, Finanz- und Außenminister.
"Dennoch hat das Volk eine Stimme", sagen Omaner. In jedem Winter reist der Sultan drei Monate durch das Land, um direkt und physisch auf Augenhöhe mit den Menschen zu sprechen. Omaner im Alter von 21 Jahren und mehr wählen 164 Mitglieder des Unterhauses, des Madschlis al Schura, von denen der Sultan 82 beruft. Direkt bestimmt er die 41 Mitglieder des Oberhauses, der Madschlis al Daula. Beide Kammern beraten ihn nur, denn der Sultan regiert durch Dekrete. Doch unter gebildeten Omanern erwartet man, dass die absolute in eine konstitutionelle Monarchie übergehen und eines Tages der Ministerpräsident gewählt werden wird.
Ungelöste Nachfolge des Sultans
Eine der ungelösten Fragen des Landes ist die Nachfolge des Sultans. Qabus ist nicht verheiratet, er hat keine Kinder und auch keinen Bruder. So soll er einen versiegelten Umschlag mit zwei Namen aus seiner Dynastie der Bu Said hinterlegt haben, die er für geeignete Thronfolger hält. Das Sultanat Oman ist zwar das östlichste Land der arabischen Welt, außenpolitisch ist es aber dem Westen eng verbunden. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien sind in Oman mit Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen präsent, auch wenn sie im Sultanat keine Basen im eigentlichen Sinn unterhalten.
Anders als in den meisten arabischen Staaten ist es den omanischen Staatsbürgern nicht untersagt, nach Israel zu reisen. Dennoch unterhält das Sultanat auch enge Beziehungen zu Iran, von dem es durch die Meerenge von Hormuz weniger als fünfzig Kilometer getrennt ist. Zuletzt hatte Sultan Qabus im vergangenen Jahr Iran besucht. Iran sei keine Bedrohung, heißt es unter gebildeten Omanern, und Oman betrachte alle Nachbarn als seine Freunde.
Schließlich hätten die Staaten der Arabischen Halbinsel die amerikanischen Soldaten nicht wegen einer Bedrohung durch Iran gerufen, sondern durch andere arabische Staaten. Oman bleibt damit ein Sonderfall am Rande der arabischen Welt - mit seiner Toleranz nach innen und auch nach außen.
Rainer Hermann
© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2010