Ein Refugium der Spiritualität und des Dialogs
Rund eine Stunde Autofahrt von Damaskus entfernt, nahe der syrischen Kleinstadt an-Nebek, tut sich inmitten einer Steinwüste ein malerischer Blick auf das an einem schroffen Berghang des Antilibanon gelegene Kloster des heiligen Moses von Abessinien auf. Nicht irgendein unscheinbares spirituelles Refugium, sondern eines der letzten orientalischen Wüstenklöster, in dem heute eine Handvoll Mönche und Nonnen leben.
Wer das Kloster Deir Mar Mussa in der Abgeschiedenheit der Berglandschaft besuchen will, muss viel Geduld und gute Kondition mitbringen. Fast zwei Kilometer hoch schlängelt sich der schmale steinige Pfad zum Kloster.
Steinerne Oase der Stille
Schon von weitem schallt dem Besucher das Glockengeläut vom Kloster entgegen. Angekommen auf dem Bergplateau betritt man den weitläufigen Klosterhof. In einer Ecke sitzen drei junge bärtige Männer, die mit langen Kordeln Sitze für Stühle flechten, während einige Neuankömmlinge aus Europa einen Willkommens-Tee auf der davor liegenden Sonnenterasse zu sich nehmen, von wo aus sich die unendliche Weite der syrischen Wüstenlandschaft auftut.
Einen Steinwurf von dem festungsartigen Hauptgebäude entfernt befinden sich noch die Unterkünfte für die Bewohner des Mosesklosters – sieben Mönche und vier Nonnen. Auf dem benachbarten Berghang wurden jüngst die Gästezimmer fertig gestellt – eine Art Bed & Breakfast für Pilger und spirituelle Glaubenssucher inmitten der steinernen Oase der Stille. In der Klosterkirche führt Bruder Frederique eine französische Besuchergruppe durch das altehrwürdige Gebäude.
Der Grundstein für Deir Mar Musa wurde bereits vor 1.500 Jahren gelegt, als sich der Heilige Moses von Abessinien hier hinbegab, um ein asketisches Leben zu führen. Bau und Besiedelung Deir Mar Musas erfolgten jedoch erst viel später, im 6. Jahrhundert.
Gastfreundschaft und Dialog
Einzigartig sind die gut erhaltenen Freskenmalereien, die aus dem 11. bis 13. Jahrhundert datieren und in jüngster Zeit restauriert wurden. Sie zeigen Heilige sowie Szenerien des jüngsten Gerichts in bunten Farben. Doch nicht das Leben als Eremit an einem kleinen, malerischen Ort war es, was den Mönch aus der syrischen Stadt Aleppo damals an Deir Mar Musa so faszinierte. Sondern vielmehr die Glaubensprinzipien der Klostergemeinschaft, die ihn schließlich dazu veranlassten, sein ganzes Leben dort zu verbringen. "Unsere Berufung in diesem Kloster gründet auf drei Prinzipien", erklärt Bruder Frederique, "und zwar auf einem tief-religiösen Leben in der Abgeschiedenheit, auf handwerklicher Arbeit und auf der Gastfreundschaft."
Toleranz und Suche nach Gemeinsamkeit im Glauben
Die Mehrzahl der Besucher des Klosters seien Muslime aus der Region, schildert der Mönch. Dies eröffne der Gemeinde die Gelegenheit, mit ihnen zu leben, ihre Erfahrungen zu teilen und auch für sie zu beten. Dass Muslime das Kloster nicht nur häufig besuchen, sondern regelmäßig dort auch beten, macht den Ort einzigartig in der islamischen Welt und unterstreicht das Verständnis von gegenseitiger Toleranz sowie der Suche nach Gemeinsamkeit im Glauben, meint Frederique.
Aber damit nicht genug: Jedes Jahr organisiert die kleine Gemeinde interreligiöse Begegnungen, Konferenzen wohin christliche und muslimische Würdenträger eingeladen. "Dann behandeln wir ein bestimmtes religiöses Thema und diskutieren darüber", berichtet Frederique. "Jedes Jahr machen wir die Erfahrung, dass sich dieser Dialog auf hohem intellektuellen Niveau immer positiver entwickelt."
Verbunden mit der arabischen Welt
Dass die kleine Klostergemeinde, die unter der Schirmherrschaft der syrisch-katholischen Kirche steht, einmal über die Landesgrenzen hinweg den Ruf erwerben sollte, Ort der gelebten Religionsfreiheit zu sein, ist vor allem einer Person zu verdanken: dem italienischen Jesuitenpater Paolo dall'Oglio. Zu Beginn der 1980er Jahre entdeckte er das zerfallene Moses-Kloster und baute es wenig später auf. Vater Paolo, wie er auch genannt wird, studierte Arabisch und Philosophie im Nahen Osten, heute hält er Vorlesungen und gibt Seminare an islamischen Hochschulen in Syrien und in der gesamten arabischen Welt.
Von seinen muslimischen Freunden und Kollegen wird er deswegen sehr geschätzt und häufig in seinem Kloster besucht. "Ich bin glücklich, dass so viele Muslime in das Kloster kommen, weil es auch einen Teil der symbolischen Welt der islamischen Religion darstellt", meint Paolo dall'Oglio und fügt rasch hinzu: "Dieses symbolisch-islamische System erkennt dieses Kloster als heiligen Ort an – deshalb kommen die Muslime auch hier her. Sie besuchen nicht den Ort der 'anderen', sondern einen Ort, der zu ihnen gehört."
Arian Fariborz
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