Die Windmühlen der Mullahs
"In stürmischen Zeiten bauen manche Menschen Schutzwälle und manche Windmühlen". Dieser Satz steht am Ende eines kurzen Beitrags über künstliche Intelligenz, der im Messengerdienst Telegram erschien. Darin beschreibt der Autor in wenigen Sätzen den Wettbewerb zwischen China und den USA und wie die beiden Supermächte die Welt von morgen beherrschen wollen. Der kurze Beitrag endet beinahe unvermittelt mit jener süffisanten und geistreichen Pointe.
Doch dieser Schlusspunkt ist in Wahrheit ein echter Knaller. Denn der Autor des kurzen Textes ist kein Geringerer als Mahmud Sariolghalam, Berater des iranischen Präsidenten Hassan Rohani. Der 60-jährige in den USA ausgebildete Professor lehrt an der Teheraner Imam-Sadegh-Universität, der Kaderschmiede der Islamischen Republik. Hier werden seit vierzig Jahren hohe Funktionäre des Staates ausgebildet, fast alle Diplomaten des Gottesstaates sind Absolventen dieser Uni.
Ein Präsidentenberater als Seismograph
Professor Sariolghalam genießt eine Art Narrenfreiheit, er schert sich nicht um Verbote und ist in den sozialen Netzwerken sehr aktiv, hat eine klare und unverblümte Sprache und erlaubt sich, auch Tabuthemen anzusprechen. Zugleich ist er eine Art Seismograph dessen, was in den höheren Rängen iranischer Machtzirkel gedacht, gespürt und gefürchtet wird.
Wegen der Klarheit seiner Sprache gilt Sariolghalam manchen Radikalen als "fünfte Kolonne des Feindes". Eine Webseite erinnerte ihn kürzlich an die Schicksale der bisherigen Präsidentenberater der Islamischen Republik: Der erste habe am Galgen geendet, der zweite befände sich im Londoner Exil, der dritte sei nach einem Attentat an den Rollstuhl gefesselt, der vierte friste sein Dasein in einer Gefängniszelle.
Was aus dem derzeitigen Präsidentenberater wird, weiß man noch nicht, doch der "Seismograph" fühlt sich offenbar sicher und meldet sich regelmäßig. Und seine Anspielung auf Stürme und Windmühlen ist treffend – besser könnte man die iranischen Verhältnisse dieser Tage nicht beschreiben.
In der Welt da draußen beschäftige man sich mit den wahren Herausforderungen unserer Zeit, während wir hierzulande gegen Windmühlen kämpften: Diese bittere Wahrheit wollte der Präsidentenberater mit seiner Schlusspointe nicht nur den Mächtigen im Land selbst, sondern über den Messengerdienst auch dem Weltpublikum mitteilen. Ob ihm jemand zuhört?
Trump plant Großes gegen den Iran
Heftige Stürme wehen in der Tat aus unterschiedlichen Richtungen, und am Ruder sitzt ein zerstrittener Machtzirkel, der ratlos scheint, widersprüchlich handelt und den Eindruck eines baldigen und unvermeidlichen Untergangs vermittelt. Die Islamische Republik muss in ihrem vierzigsten Jahr ernsthaft um ihre Existenz bangen.
An dem Tag, als der Präsidentenberater seine Notiz in die virtuelle Welt setzte, befand sich sein Chef Hassan Rohani in der realen Welt von New York, um dort vor der UN-Vollversammlung zu sprechen. Wenige Stunden vor ihm hatte dort US-Präsident Donald Trump seinen Auftritt gehabt.
Wie zu erwarten war der Iran Trumps Hauptthema. Mit drastischen Worten beschrieb er, wie er künftig mit dem Land umgehen wolle. Trump nahm dabei kein Blatt vor den Mund, weder sprachlich noch inhaltlich. Ein korruptes und mafiöses Regime verbreite Terror über die ganze Welt, und ausgerechnet dieses Regime wolle sich Nuklearwaffen beschaffen. Um das nicht zuzulassen, sei sein Land aus dem Atomabkommen ausgetreten. Trump trug eine lange Liste anderer Anschuldigungen gegen die Mächtigen in Teheran vor und kündigte an, der Iran werde mit Sanktionen rechnen müssen, die in der Geschichte beispiellos seien.
Kaum hatte der US-Präsident das Rednerpult verlassen, erreichte der Preis für einen US-Dollar auf dem Teheraner Bazar eine neue Rekordhöhe: Für einen Dollar musste man 20.000 Tuman zahlen. Bei Rohanis Amtsantritt im August 2013 waren es noch 3.000 Tuman.
Terroranschlag im Zentrum der Ölindustrie
Der Dollarkurs war nicht die einzige Hiobsbotschaft, die Rohani an diesem Tag aus der Heimat erreichte. In den Stunden, in denen er sich in New York aufhielt, musste der iranische Präsident damit rechnen, dass sich der Kalte Krieg zwischen seinem Land und Saudi-Arabien jeden Augenblick in einen sehr heißen verwandeln könnte.
Denn wenige Stunden vor seinem Abflug nach New York waren bei einer Terrorattacke auf eine Militärparade in der Stadt Ahwaz in der südwestiranischen Erdölprovinz Chuzestan 25 Menschen getötet und über 60 verletzt worden. Unter den Toten waren auch die drei Angreifer, die auf eine Zuschauertribüne mit offiziellen Besuchern geschossen hatten. Ein verheerender Anschlag in einer der sensibelsten und reichsten Regionen des Landes, wo eine arabische Minderheit regelmäßig für Unruhe sorgt.
Politisch gesehen war diese Terrorattacke auch für die omnipotenten iranischen Revolutionsgarden verheerend. Denn seit Jahren propagieren sie, der Iran sei das sicherste Land im Nahen Osten und diese Sicherheit verdanke man einzig und allein den Gardisten, die in vielen Ländern der Region gegen Terroristen kämpften und im eigenen Land in allen Bereichen präsent seien.
Eine Stunde nach dem blutigen Terrorakt übernahm eine Organisation namens Al-Ahwasieh die Verantwortung für den Anschlag. Diese separatistische Gruppe, die sich als Sprachrohr der arabischen Minderheit im Südwest-Iran versteht, wird offenbar von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt – sowohl medial wie auch finanziell.
"Dubai und Riad bombardieren"
Nach dieser Selbstbezichtigung setzte sich im Iran eine Maschinerie in Bewegung, die sofortige Rache forderte. Funk und Fernsehen, Freitagsprediger, Studentenorganisationen, Sprecher der verschiedenen Sicherheitskräfte und paramilitärischen Verbände, kurzum all jene, die in der Islamischen Republik ihre Stimme erheben dürfen, wünschten sich eine "heldenhafte Antwort der Revolutionsgarden".
Hossein Shariatmadari, Chefredakteur der Tageszeitung Keyhan, der als inoffizieller Sprecher des iranischen Revolutionsführers und religiösen Staatsoberhaupts Ali Khamenei gilt, forderte bereits in der Überschrift seines Leitartikels "Raketen Richtung Riad und Dubai".
Auch Hassan Rohani hatte auf dem Teheraner Flughafen vor seinem Abflug nach New York den "kleinen Staaten in der Golfregion" vorgeworfen, hinter dem Terroranschlag zu stehen. Am nächsten Tag nannte Khamenei diese "kleinen Staaten" beim Namen und bezeichnete die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien als "Spielzeuge Amerikas".
In Saudi-Arabien tagte daraufhin sofort der Sicherheitsrat und der allmächtige Kronprinz Bin Salman erklärte, sein Land wisse sich zu verteidigen und vernichtende Antworten zu geben. Ähnliche Reaktionen kamen auch aus den Emiraten. 48 Stunden lang herrschte der Eindruck, diesen kämpferischen Worten würden jeden Moment Taten folgen, jederzeit könne es losgehen: Ein Krieg hing in der Luft.
Doch dann kam die Rettung. Plötzlich tauchte im Internet ein neues Bekenntnis auf. Auf wackeligen, via YouTube veröffentlichten Bildern übernahm der "Islamische Staat" die Verantwortung für das Attentat. Und da wendete sich das Blatt. Der verbale Krieg hörte auf, der drohende Waffengang war einstweilen vorbei – und das verdanke man dem IS, schrieben viele Kommentatoren.
Kriegsgefahr vorerst abgewendet
Wer tatsächlich hinter dem Terroranschlag steht, wissen wir nicht, spekuliert wird in der virtuellen Welt aber viel. Es gibt sogar nicht wenige, die behaupten, die Revolutionsgarden selbst stünden dahinter, um ihre martialische Präsenz in den Städten zu rechtfertigen. Was und wer auch immer: Die Selbstbezichtigung des IS hat eine gefährliche Eskalation beendet, die unweigerlich in einen Krieg mit unabsehbarem Ausmaß hätte münden können – Ironie unserer Zeit.
Die Gefahr eines Krieges ist damit allerdings keineswegs verschwunden. Jüngst war der ehemalige US-Außenminister John Kerry Gastredner beim "Council on Foreign Relations" und er sagte offen, es werde immer wahrscheinlicher, dass es in der Region zu Konflikten komme: "Weil es Menschen gibt, die es gerne hätten, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika den Iran bombardieren würden", so Kerry wörtlich.
Als ob die US-Administration Kerrys These bestätigen wollte, legte kurz darauf Trumps Sicherheitsberater John Bolton eine neue Strategiestudie vor, in deren Mittelpunkt der Kampf gegen den Iran steht. Der Iran sei "der Zentralbanker des internationalen Terrorismus", sagte Bolton bei der Vorstellung und betonte, Amerika werde den Iran in den Fokus seiner Anti-Terror-Strategie stellen.
Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein gefährlicher Strategiewechsel. Denn damit nimmt der Iran praktisch den Platz von Al-Qaida und dem IS ein. Diese neue Strategie ist die erste, die seit 2011 veröffentlicht wurde. Damals konzentrierte sich Barack Obamas Administration ausschließlich auf Al-Qaida.
Und für diesen künftigen Krieg haben die USA auch regionale Pläne entworfen. Sie wollen mit Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und anderen Golfstaaten eine Art "arabische NATO" gegen den Iran schmieden. Genau zu dem Zeitpunkt, als der iranische Präsident vor der UN-Vollversammlung redete, besprach US-Außenminister Mike Pompeo mit seinen Kollegen der künftigen "arabischen NATO" künftige Schritte gegen den Iran. Ob dieses Bündnis allerdings jemals handlungsfähig sein wird, ist wegen der Konflikte unter den Beteiligten fraglich. Doch es gibt Hartgesottene sowohl in den USA wie auch in der Region, die lieber heute als morgen losschlagen würden.
Was wird geschehen?
Im Iran selbst herrscht Ungewissheit. "Alle fragen sich, was kommen, was geschehen wird", sagte der bekannte Politologe Sadegh Ziba Kalam. Wie gebannt wartet man auf den 4. November. Dann wollen die USA Einzelheiten der neuen "beispiellosen Sanktionen" bekanntgeben. Der Verkauf iranischen Öls soll weltweit unterbunden werden.
Soweit wollen die Europäer es aber nicht kommen lassen. Die Finanz- und Wirtschaftsminister aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien haben Mitte September beschlossen, Wege zu finden, um die US-Sanktionen zu umgehen.
Noch bevor Trump Anfang November seine neue Sanktionsliste vorlegt, wollen die Europäer eine Finanzinstitution gründen, deren einziger Zweck ist, Zahlungen für Geschäfte mit dem Iran zu regeln. Das neue Institut ist keine Bank, sondern eine Zweckgesellschaft, die weder Kapital noch öffentliche Mittel braucht.
Ob diese Idee, die offenbar aus Frankreich stammt, tatsächlich die Probleme des Iran lösen wird, ist jedoch fraglich. Mit ihrer Hilfe sollen die Mächtigen in Teheran eine bestimmte Menge ihres Öls verkaufen können, ohne Dollarnoten zu bekommen. Die Gesellschaft schaltet sich als eine Art Verbindungsfirma zwischen dem Iran und kleinen Firmen ein, die bereit sind, iranisches Öl zu kaufen und dafür ihre Waren an den Iran zu liefern.
So kann der Iran etwa Öl an eine spanische Firma liefern, die das Geld dafür an eine italienische Firma überweist, die wiederum Medikamente oder Babynahrung an den Iran liefert. Die EU-Zweckgesellschaft fungiert dabei als Vermittlerin.
Tauschgeschäfte wie zu Saddams Zeit
Doch selbst diese Konstruktion kann ohne Banküberweisungen nicht funktionieren. Und Banken legen nach wie vor mögliche Iran-Geschäfte lahm, weil sie Strafmaßnahmen der USA fürchten.
Sollte diese Idee je funktionieren, wird sie nicht mehr sein als jenes Programm, das man einst am Ende der Ära Saddam Husseins für den Irak erfand: Nahrung gegen Öl. Zwar weigerte sich Bahram Ghassemi, der Sprecher des iranischen Außenministeriums vehement, den EU-Plan so zu bezeichnen. Doch wie man das Kind auch nennen mag, darauf läuft es hinaus.
Die Herrschenden wissen, wie schwierig die kommenden Wochen sein werden. Sie haben sich gewappnet und führen dies den Ohnmächtigen vor. Revolutionsführer Khamenei sprach vor Kurzem in Teheran, im größten Fußballstadion des Landes, vor Hunderttausend Basidji, den gefürchteten paramilitärischen Verbänden, von einem bevorstehendem Krieg. Amerika wolle die Islamische Republik vernichten, so Khamenei: eine Rede, die die Anwesenden auf Kampf vorbereitete – aber nicht gegen Trump und andere Feinde im Ausland, sondern gegen die Unzufriedenen im eigenen Land. Denn anschließend zogen bewaffnete Motorradverbände nicht nur durch Teheran, sondern durch alle großen Städte des Landes. Man sei gewappnet, jegliche Unruhen niederzuschlagen, war die eindeutige Botschaft an jene, die irgendwelche Gedanken an Proteste hegen.
Dass die Situation in den kommenden Wochen sehr schwierig wird, wissen alle im Iran, die Herrschenden ebenso wie die Beherrschten. Ali Akbar Velayati, jener Kinderarzt, der 16 Jahre lang iranischer Außenminister war und momentan den Revolutionsführer in außenpolitischen Fragen berät, hatte jüngst offen gesagt, worauf sich die Bevölkerung einstellen müsse.
Die Iraner sollten von den Jemeniten lernen, die sich ein Badetuch umbinden, trockenes Brot essen und trotzdem kämpfen und Widerstand leisten würden, so Velayati, der 36 offizielle Posten bekleidet und eine 1.000 Quadratmeter große Villa im Norden Teherans bewohnt. Welche Witze und Anekdoten über Velayati in den sozialen Medien im Umlauf sind, darüber könnte man schon jetzt ein dickes Buch schreiben.
Ali Sadrzadeh