Aufbruch zu neuen Ufern?
Deutsch eine Sprache sei, die in der Türkei "Glück" gehabt habe, meint Ahmet Cemal, der viele große deutschsprachige Werke ins Türkische übersetzt hat. "Glück" insofern, weil viele deutsche Werke durch die Initiative des türkischen Bildungsministeriums bereits in den 1940ern ins Türkische übersetzt worden seien.
Und auch der Literaturkritiker Ömer Türkeş ist der Ansicht, dass deutsche Literatur beliebt sei und mit der englischen und spanischen vergleichsweise viel Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Doch damit meint er nicht die moderne deutsche Literatur: "Alle Bücher von Kafka, Zweig, Brecht oder Hesse wurden übersetzt", so Türkeş. Doch bedeute das nicht, dass ein umfassendes Bild der deutschen Literaturlandschaft in türkischer Sprache zu finden sei.
Er nennt ein Beispiel: Von Alfred Döblin gäbe es in türkischer Sprache nur einen Roman, nämlich "Berlin Alexanderplatz". Von Klaus Mann gäbe es nur zwei Bücher auf Türkisch. Auch Werke junger deutscher Schriftsteller würden kaum übersetzt. Das liege daran, dass es nur wenige Übersetzer gäbe und die Verlage sich eher auf internationale "Bestseller" konzentrierten, so Türkeş. In diesem Oktober standen beispielsweise "Inferno" von Dan Brown und Khaled Hosseinis "Das Echo der Berge" auf der türkischen Bestsellerliste.
Ein türkischer Verlag, der hauptsächlich internationale Literatur veröffentlicht, ist der Ayrıntı Verlag. Bei ihm sind Übersetzungen wie "Flughunde" von Marcel Beyer und "Atheismus im Christentum" von Philosoph Ernst Bloch in deutscher Sprache erschienen. Bei der Frage, was übersetzt werde, spielt für Verlagsredakteur Abdullah Yılmaz die Qualität der Bücher eine größere Rolle als die Sprache. Dennoch gibt er zu: Übersetzer zu finden, sei ein ernstes Problem. Dazu käme das Leseverhalten. Leser in der Türkei würden eher leichte türkische Lesekost bevorzugen.
Nischendasein der türkischen Literatur
Das Interesse an deutscher Literatur in der Türkei sei deutlich größer als das Interesse an türkischer Literatur in Deutschland - das zumindest behaupten Ömer Türkeş und Abdullah Yılmaz. Nachdem es in den 1920er Jahren eine Phase des literarischen Austauschs gab, fristete türkische Literatur in Deutschland davor und danach ein Nischendasein. Erst um 1970 wurde wieder verstärkt ins Deutsche übersetzt - zum Beispiel der international bekannte Dichter Nazım Hikmet und der Autor Yaşar Kemal, der 1997 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam. Einen weiteren Durchbruch der türkischen Literatur gab es durch einen anderen international bekannten Namen: Orhan Pamuk aus Istanbul, dessen Leben sich auch in seinen Büchern wiederfindet. 2005 erhielt auch er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2006 den Nobelpreis für Literatur.
2008 war die Türkei Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Das Motto der Messe: "Faszinierend farbig". Auch dadurch wurde das Interesse an türkischer Literatur in Deutschland größer. Ein Beispiel dafür ist das Projekt "Türkische Bibliothek" des Unionsverlags, das von der Robert Bosch Stiftung unterstützt wurde. Bis 2010 hat der Verlag 20 Bände mit türkischer Literatur in deutscher Sprache herausgebracht - Werke von 1900 bis heute.
Impulse für den Literaturaustausch
Mittlerweile gibt es auch einige deutsch-türkische Literaturfestivals wie "Literatürk" im Ruhrgebiet und "DilDile" in Berlin. Semra Uzun-Önder, Koordinatorin von Literatürk, meint, dass die türkische Kultur und Literatur viele Schätze biete, die nicht erkannt und entdeckt seien. "Die meisten Leute kennen den Nobelpreisträger Orhan Pamuk und Yaşar Kemal, vielleicht weil er den deutschen Friedenspreis bekommen hat. Das war es aber schon. Danach kommt lange nichts", sagt sie. In den neun Jahren, in denen das Festival stattfand, sei seine Fangemeinde stetig gewachsen, erläutert Uzun-Önder.
Auch in Berlin gibt es einen neuen Verlag, der nur moderne türkische Bücher auf Deutsch veröffentlicht. Er nennt sich "Binooki". Zwei Schwestern, İnci Bürhaniye und Selma Wels, haben den Mangel an junger türkischer Literatur gespürt und vor zwei Jahren den Verlag gegründet. Sie seien enttäuscht darüber gewesen, dass die türkische Literatur trotz Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und Frankfurter Buchmesse noch immer nur vereinzelt wahrgenommen werde. "Dann haben wir uns gedacht, einen Verlag zu gründen, der sich ausschließlich um die türkische Gegenwartsliteratur kümmert", so Bürhaniye.
Oğuz Atay zum Beispiel, der fast jedem leidenschaftlichen Leser in der Türkei bekannt ist, gehört zu der Autorenliste des Verlages, aber auch junge Autoren wie Emrah Serbes, Gaye Boralıoğlu. "Wir wollen die Stimme der jungen Autoren und das Leben in der Türkei auch dem deutschsprachigen Leser näher bringen", sagt Bürhaniye. Die Resonanz sei positiv und die Leserschaft nehme stetig zu, stellen beide fest.
Başak Özay
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de