Unbehagen im Westen
Syrien ist zu einer Art Kristallisationspunkt für einen schrägen öffentlichen Diskurs geworden, nicht nur in Deutschland. Und in gewisser Weise ist es nur zufällig das Thema Syrien, das zu bemerkenswerten intellektuellen Ausfällen führt.
Zwar wäre es naheliegend, dass man sich über ein Regime empört, das aus Angst vor Machtverlust über Jahre hinweg die eigene Bevölkerung mit Panzern, Bomben und Giftgas tötet oder systematisch vertreibt und foltert, aber genau darüber erregen sich die Syrien-Lautsprecher hierzulande nicht – sie versuchen vielmehr, dies alles zu relativieren oder wahlweise abzustreiten.
Typischerweise sind es Linke wie Rechte, die das Assad-Regime und seine Schutzmacht Russland verteidigen, oft mit Verweis auf islamistischen Terror. Aber da wo sich Rechts und Links vermischen, bleibt nur Rechts übrig.
Zugleich liegt hier aber auch ein Schlüssel zum Verständnis des Phänomens der Assad-Versteher, denn worin sind Rechte und Linke sich oft einig? Bei ihrer Ablehnung von Globalisierung, und zuweilen auch in ihrer gemeinsamen Sehnsucht nach Einfachheit und Heimat (hier passen sie sogar ein wenig zu den Islamisten).
Man kann daher annehmen, dass der hierzulande so verbreiteten Relativierung der Assad-Tyrannei und dem Schweigen über russische Kriegsverbrechen eine Art "Unbehagen an westlicher Politik und Kultur" zugrunde liegt, eine Verdrossenheit am Westen mit allem, was diesen ausmacht: Kapitalismus und Ungleichheit ebenso wie Demokratie, Liberalität und Menschenrechte.
Variantenreiche Verschwörungstheorien
Man stört sich an den (nur zum kleineren Teil) nach Deutschland geströmten syrischen Flüchtlingen und verwandelt dies in eine Kritik an vermeintlichen und tatsächlichen Fehlern westlicher Politik in Syrien, die sich zu der Behauptung versteigt, der Westen habe den Aufstand gegen das Regime 2011 geplant oder unterstützt, weil das Assad-Regime angeblich antiimperialistisch ist und deshalb gestürzt werden sollte, und habe auch den IS selbst absichtlich geschaffen, weil der Westen angeblich Dschihadisten liebt.
Dazu kommen weitere Theorien zu angeblich von Syrien verhinderten Gaspipelines, über die sich der Westen bzw. Saudi-Arabien geärgert habe usw. Arabische Assad-Verteidiger führen ihrerseits gerne ins Feld, Syriens Baath-Regime (zusammen mit Hisbollah) sei das letzte Bollwerk gegen Israel und Islamisten.
Leugnung von Kriegsverbrechen der Assad-Diktatur
Viele der heutigen Assad-Fürsprecher in Europa waren zuvor nicht als Syrienkenner in Erscheinung getreten, vertreten aber dennoch z.B. die These, die Syrer stünden mehrheitlich zu ihrem "gewählten" Präsidenten, bestreiten jegliche Kriegsverbrechen seines Regimes und Russlands (wie Giftgaseinsätze oder die systematische Zerstörung von Krankenhäusern) oder stellen all dies wahlweise als Notwehr gegen Terroristen oder False-Flag-Operationen von Regimegegnern dar.
Zum Thema systematische Folter in Regimeknästen heißt es zuweilen sogar, die Araber bräuchten ja bekanntlich eine harte Hand, und so geht auch diese Bestialität in Ordnung, wenn sie nicht wiederum zur Verschwörung erklärt oder relativiert wird. Dagegengehalten wird das Bild vom liberalen öffentlichen Leben in den Assad-Hochburgen sowie das elegante Auftreten des Assad-Ehepaars, die sind doch so hübsch.
Was auch für die These von einem kollektiven, nur zum Teil bewussten Pro-Assad-Reflex spricht, wenn es um Syrien geht, ist die Tatsache, dass ihm sowohl AfD-Hetzer als auch manche Attac-Aktivisten und viele Linken-Politiker bis hin zu früher seriösen Wissenschaftlern und Journalisten erliegen.
Rechts-Links-Querfront im Syrien-Konflikt
Die postfaktische und jeder Empathie entbehrende Tendenz, nur zu sehen und zu lesen, was der eigenen Empfindung entspricht, tut ihr Übriges. Schon verlangt die AfD, kaum im Bundestag, die Auslieferung von Syrern ans Assad-Regime, mit Echo aus Teilen von CDU und CSU. Die Pro-Assad-Stimmung breitet sich hierzulande also sichtbar aus.
Die Rechts-Links-Querfront zum Thema Syrien ist dabei unverkennbar, und es passt nur zu gut, dass einer der Hauptgegenspieler des Westens bezüglich Syrien Moskau ist.
Für die Linken verkörpert der Kreml noch heute indirekt die gute alte kommunistische Idee, für die Demokratiemüden und Rassisten symbolisiert Putin dagegen das erträumte autoritäre, patriarchale, weiße Europa. Es spricht Bände, dass die Rechten Putins Russland sehr viel realistischer einschätzen als reflexverhaftete Linke. Wie gesagt: Wo Rechts und Links sich vermischen, bleibt am Ende nur Rechts übrig.
Aber es geht ja bei alldem auch nicht unbedingt um das Land Syrien und was dort konkret passiert. Man feiert vielmehr das Ende des amerikanischen Zeitalters, das zweifellos eingeläutet ist, und möchte sich dabei nicht die Stimmung verderben, indem man fragt, ob das, was nun kommt, besser ist.
Günther Orth
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