Herausforderung Arabisch

Students attend classes sitting on cold floors in classrooms with damaged walls, missing desks, doors, and windows, enduring difficult conditions to pursue their education in Idlib, Syria on October 17, 2025. (Photo: Picture Alliance / Anadolu | Kasim Yusuf)
Unterricht in Idlib, Syrien, Oktober 2025. (Foto: Picture Alliance / Anadolu | K. Yusuf)

Ali ist elf Jahre alt, sechs davon hat er in Deutschland verbracht. Zurück in Syrien kämpft er mit seiner Muttersprache. Syriens neue Regierung scheint mit der Integration der zurückgekehrten Schulkinder überfordert zu sein.

Von Huda al-Kulaib

Sechs Jahre hat Ali in Deutschland verbracht, ist zur Schule gegangen, hat die Sprache gelernt. Doch nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 kehrte seine Familie Anfang des Jahres nach Syrien zurück. Nun geht der Elfjährige hier zur Schule – und scheitert fast an seiner Muttersprache.

„Ich mache Fehler beim Lesen, meine Mitschüler lachen mich aus“, erzählt Ali mit leiser Stimme. „Ich traue mich mittlerweile nicht mehr, mich zu beteiligen und setze mich lieber auf die hinteren Plätze.“ Dem Unterricht, sagt er, kann er kaum folgen.

Wie Ali geht es vielen Kindern: Nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) sind fast 1,2 Millionen Syrerinnen und Syrer seit dem Fall des Regimes zurückgekehrt, darunter viele Kinder. Und es könnten bald noch mehr werden. Insgesamt könnten etwa 1,5 Millionen Kinder aus dem Ausland zurückkehren, schreibt das syrische Medium Enab Baladi.

Jahrelang lebten viele syrische Kinder in anderen Staaten – in den Nachbarländern Türkei, Libanon und Jordanien, aber auch in europäischen Staaten wie Deutschland. Sie gingen zur Schule, lernten auf Deutsch oder Türkisch, oder auf Arabisch mit libanesischem und jordanischem Dialekt. Sie integrierten sich und stehen nun, nach der Rückkehr in die Heimat, vor unerwarteten Herausforderungen. 

Reintegration nach Jahren im Exil

Sie versuche, ihrem Sohn beim Lesen und Schreiben auf Arabisch zu helfen, sagt Alis Mutter. „Aber er braucht spezielle Programme und psychologische Unterstützung.“ Sie befürchtet: „Die Frustration, die Kinder wie mein Ali erleben, führt mit der Zeit vielleicht zu einer Ablehnung von Bildung an sich.“

Wie soll der syrische Staat mit diesen jungen Menschen umgehen, die zwar Syrerinnen und Syrer sind, aber große Teile ihres Lebens im Ausland verbracht haben? 

Die Schulen seien überfordert mit ihrer Integration, sagt Umm Ali. „Sie verfügen nicht über die Mittel, um die individuellen Unterschiede zwischen den Schülern berücksichtigen zu können.“ Es brauche spezialisierte Zentren zur Unterstützung zurückkehrender Kinder.

Auch Jumana al-Yasser kennt das Problem: Nach zehn Jahren im Exil ist sie mir ihrem neunjährigen Sohn aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt. In der Schule machten sich seine Klassenkameraden über ihn lustig – wegen seiner Schwächen im Arabischen. 

Der syrische Lehrplan sei völlig anders als der des Libanon. Dort würden viele Fächer auf Englisch oder Französisch unterrichtet, in Syrien hingegen auf Arabisch. „Mein Sohn ist verunsichert“, sagt Jumana al-Yasser, „und bekommt weder psychologische Unterstützung, noch spezialisierten Arabischunterricht.“ 

Kein Kontakt mit Hocharabisch

In den Schulen selbst herrschen ebenfalls oft Überforderung und Hilflosigkeit. Ahmad al-Saadi, ein Lehrer an einer Schule im Umland von Damaskus, berichtet: „Ich treffe auf Schüler, die keinen einfachen Satz auf Arabisch lesen können, obwohl sie die Sprache verstehen. Einige schreiben Buchstaben verkehrt herum, andere verwechseln die grammatikalischen Regeln des Arabischen mit denen anderer Sprachen." Dies seien keine Einzelfälle, betont al-Saadi.

Im Exil haben die meisten syrischen Kinder in ihren Familien zwar meist weiter Arabisch im syrischen Dialekt gesprochen. Mit dem Hocharabischen, das sie für den Unterricht brauchen, sind sie aber kaum in Berührung gekommen. Der Unterschied zwischen den verschiedenen, von Land zu Land variierenden Dialekten und dem Hocharabischen ist groß. 

Haben die rückkehrenden Schülerinnen und Schüler zuvor in Europa oder der Türkei gelebt, beherrschen sie oft nicht einmal das arabische Alphabet. „Das führt zu einer großen Bildungslücke zwischen ihnen und ihren Altersgenossen. Es bringt uns Lehrer in eine Situation, für die wir nicht ausgebildet sind“, sagt al-Saadi. 

Einige Schulen, erzählt er, versuchten, Lösungen zu finden. So würden sie Nachhilfestunden für die Zugezogenenen organisieren. „Doch uns fehlt eine klare Methodik und institutionelle Unterstützung.“ 

Forderung nach Integrationsklassen

Al-Saadi fordert von der syrischen Regierung spezielle Programme zur Wiedereingliederung zurückkehrender Kinder; auch müssten Lehrerinnen und Lehrer im Unterrichten von Arabisch als Fremdsprache geschult werden. „Außerdem brauchen wir Spezialisten zur psychologischen und pädagogischen Unterstützung“. 

Er warnt davor, das Problem zu ignorieren: „Wenn Kinder das Gefühl haben, immer hinterherzuhinken, verlieren sie die Motivation.“

Aufgrund des Wechsels der Unterrichtssprache und des Verlusts ihres alten Bildungsumfelds litten die betroffenen Kinder unter einem „doppelten Schock“, erklärt Bildungsexperte Khaled Abbas. Dies wirke sich auch auf das Selbstvertrauen aus: „Ein Kind, das im Ausland hervorragende schulische Leistungen erbracht hat, stellt plötzlich fest, dass es nicht in der Lage ist, einen einzigen Absatz auf Arabisch zu lesen. Das hinterlässt psychologische Spuren.“

Auch Abbas beklagt, dass es an organisierter Unterstützung und an Ressourcen mangele. Kaum eine Schule in Syrien verfüge über Personal, das für den Unterricht von Arabisch als Zweitsprache ausgebildet sei. „Wir brauchen einen umfassenden Ansatz: von der Vorbereitung der Lehrkräfte über die Einrichtung kleiner Integrationsklassen bis hin zu fortlaufenden Förderprogrammen.“

Er sieht sogar ein mögliches Sicherheitsproblem: Die Wahrscheinlichkeit steige, dass manche Kinder die Schule ganz abbrechen – „und dann abrutschen, etwa ins kriminelle Milieu“. 

Was tut der syrische Staat?

Abbas erzählt vom Fall eines aus Deutschland nach Syrien zurückgekehrten Viertklässlers: „Er war in seiner vorherigen Schule sehr fortgeschritten, aber hier konnte er nicht einmal seinen Namen richtig auf Arabisch schreiben. Zuerst weigerte das Kind sich, am Unterricht teilzunehmen. Doch nachdem es individuelle Förderstunden erhalten hatte, gewann es sein Selbstvertrauen zurück.“ Diese anekdotische Erfahrung zeige, dass frühzeitige Interventionen und gezielte Unterstützung einen großen Unterschied machten.

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Doch bislang gibt es von staatlicher Seite kaum Bemühungen. Denn es gibt andere, größere Probleme: etwa den Wiederaufbau von Schulen, die im Krieg ab 2011 zerstört oder beschädigt wurden. Laut Enab Baladi sind 40 Prozent aller Schulgebäude in Syrien betroffen. Dazu kommt ein Mangel an qualifizierten Lehrkräften – und an Geld, sie zu bezahlen. 

Nun erwägt das Bildungsministerium immerhin, Förderklassen einzuführen. Doch Kinder wie der elfjährige Ali brauchen schnelle Hilfe: „An meiner Schule in Deutschland war ich selbstbewusst, hier habe ich das Gefühl zurückzubleiben“, sagt er. Manchmal weigere er sich, zur Schule zu gehen. Bislang jedoch konnte ihn seine Familie überzeugen, weiterzumachen.

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