Tod eines Einzelgängers

Die schwarze Komödie des Iraners Koohestani die zeigt eine Mutter, die ihre Söhne beerdigen will. Der jüngere hat als vegetarischer Selbstmordattentäter ein Fastfood-Restaurant in die Luft gesprengt.

Von Fahimeh Farsaie

​​Ein Fastfoodrestaurant, ein Grab, ein Wasserbecken und ein Bett. Das sind die zentralen Orte, an denen sich die Geschichte des jüngsten Theaterstückes des 28-jährigen iranischen Autors und Regisseurs, Amir Reza Koohestani, abspielt.

"Einzelzimmer" – der Titel des Stückes reflektiert das imposante Bühnenbild: Ein Restaurant, das von dem Selbstmordattentäter Johann, der ein militanter Vegetarier und Lieblingssohn der erfolgreichen Besitzerin ist, in die Luft gesprengt wird. Dabei reißt Johann mit sich noch sechs weitere Personen in den Tod - unter anderem seinen Zwillingsbruder David sowie eine Mitarbeiterin.

Meditation über Einsamkeit und Tod

Im Grab redet David, der Geschäftsführer des Restaurants, mit den Ameisen und mit seiner von ihm sexuell missbrauchten Mitarbeiterin. Im Wasserbecken wäscht die Mutter ihren ausgegrabenen Sohn Johann und legt seinen Leichnam in ihrem Bett auf Eis.

Neben ihm liegend spricht sie über ihre sexuellen Bedürfnisse und phantasiert von einem Beischlaf mit ihm. Dass der eineiige Zwilling selbst das Erzeugnis eines nicht gewollten Beischlafs war, verrät die Mutter, als sie beschließt den verscharrten Leichnam ihres Lieblingssohnes, der beruflich auf die schiefe Bahn gekommen ist, auszugraben.

Erstaunlich ist, dass sie kein Wort über den "anständigen und braven" David verliert, der das Opfer des Attentates geworden ist. Die Mutter vergießt auch keine einzige Träne um ihre Söhne. Sie tadelt Johann nicht einmal wegen seines verbrecherischen Anschlags.

Ihre Trauer verarbeitet sie in durchdachter und apathischer Weise, indem sie zunächst die Ideale ihres vernachlässigten Sohnes wahrnimmt und seine Wünsche als Vegetarier und Tierliebhaber umsetzt: Sie benutzt keine giftigen Mittel mehr gegen Kakerlaken und Insekten und nimmt einige vegetarische Gerichte in die Speisekarte ihres Restaurants auf.

Ignoriert von der Umwelt

Nicht aus Überzeugung, sondern als Ausdruck eines nachträglichen Reue- und Schuldgefühls setzt sie Johanns Weg fort. Denn er wird, und das zeigt Koohestani anschaulich, aus Mangel an Achtung zu einem Einzelgänger und Selbstmordattentäter.

Er sprengt sich und die anderen in die Luft, weil er sich von allen Seiten "ignoriert" fühlte. "Vielleicht hätte ich die Bombe nicht gezündet, wenn Du dich mir zugewandt hättest, als ich dich gerufen habe", sagt er zu seinem Zwillingsbruder.

Zuvor hatte sich der militante Vegetarier über die anmaßende Ignoranz seiner Mutter beklagt. Er las seinen an sie gerichteten Brief vor, in dem er sie warnte, "Schafe nicht mehr zu töten".

Obwohl das Motiv und die Haltung Johanns denen islamistischer Selbstmordattentäter ähneln, leitet der Autor aus diesen Assoziationen keine metaphorischen Parallelen ab. Vielmehr weist er darauf hin, sich von Selbstmordattentäter-Geschichten im Stück nicht verführen zu lassen.

Dass es im bis dato dritten Werk des jungen Regisseurs und shooting stars aus Theheran, der erst mit 18 Jahren zum ersten Mal ein Theater besucht hat, um die "politischen Konflikte" gehen sollte, stand in seinem Auftragsvertrag, den ihm der Kölner Intendant Marc Günther im Frühjahr 2006 beim Teheraner Theaterfestival überreichte.

Dieser politische Aspekt muss allerdings mehr in einem familiären Kontext gesehen werden. "Einzelzimmer" handelt tatsächlich von einer modernen westlichen Familie mit matriarchalischen Verhältnissen, die sich nach Frieden, Harmonie und Zusammenhalt sehnt.

Seelen aus Eis

Dass dies nicht möglich ist, deutet der Autor in der ersten Szene an, als ein Galerist die Regeln einer von der Globalisierung geprägten Ordnung aufstellt. Diese führt unwillkürlich zu Selbstbefremdung, rigorosem Rationalismus und Leidenschaftslosigkeit, die die Seele der Menschen erfrieren lassen. Die Mutter stirbt etwa, weil das Eis des Leichnams Johanns "ihre Knochen zersplittert hat".

Dennoch führt Koohestani am Ende des Stückes alle Mitglieder der Familie gemäß des Wunsches der Mutter im Jenseits an einem Tisch zusammen. Das hat nicht damit zu tun, dass der Autor an seinen nostalgischen, postmodernen Ideen festhalten will. Es gehört zu seiner Arbeitsweise, bei fast jeder Szene den Text zu ändern und erst während der Proben die letzte Szene zu schreiben.

Vielmehr spielt dabei der subtile Kontext des Stückes, der mehr an den Tod anknüpft als an das Leben, eine große Rolle. Im Reich der Toten entzieht sich nämlich alles der Macht der irdischen Ordnung: "Vielleicht sind Traum und das, was nach dem Tod passiert, ja ein und dasselbe", sagt Koohestani.

Um das in Worten zu fassen, musste er sich während der Theaterproben in Köln nach der Melodie der deutschen Sprache richten, der er nicht mächtig ist. Umgekehrt können die deutschen Schauspieler auch kein Persisch. Die Kommunikation verläuft daher auf Englisch. Nicht ohne Selbstironie schätzt Koohestani daher das Ergebnis der Arbeit wie folgt ein: "Es ist wie Spaghetti mit iranischer Soße – es schmeckt in jedem Fall köstlich!"

Fahimeh Farsaie

© Qantara.de 2006

Amir Reza Koohestani's "Einzelzimmer" läuft derzeit in der Schlosserei, Schauspiel Köln, Bühne und Kostüme: Mitra Nadjmabadi.

Qantara.de

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