Mit Muscheln verzierte Totenschädel

Vor rund 12.000 Jahren wurde der Mensch in Anatolien sesshaft. Eine Ausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe zeigt zum ersten Mal archäologische Funde aus jener Zeit. Georg Patzer hat sich umgesehen.

Vor rund 12.000 Jahren wurde der Mensch in Anatolien sesshaft. Diese Entwicklung ging einher mit dem Beginn des Ackerbaus und der Viehzucht sowie dem Bau von Tempeln. Eine Ausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe zeigt zum ersten Mal archäologische Funde aus jener Zeit. Georg Patzer hat sich umgesehen.

Lebensgroße männliche Stele, Urfa, 9. Jt. v. Chr. (Sanlıurfa Müzesi); Foto: Badisches Landesmuseum
Lebensgroße männliche Stele aus Urfa, 9. Jahrtausend v. Chr.

​​Massig und ruhig steht er da, die Arme hängen locker nach unten, die Hände zeigen nach innen. Ein kleiner Kragen umschmeichelt seinen breiten Hals, darauf sitzt ein runder, starker Kopf mit großer Nase und zwei leeren Augen: Der erste Mann der Weltgeschichte, Adam, quasi.

Jedenfalls der erste Mann, der in Stein gemeißelt wurde. Lebensgroß wurde er vor zwölftausend Jahren in Urfa verewigt. Jetzt steht er in Karlsruhe und gibt gelassen Zeugnis ab von einer Kultur und den Anfängen der Menschheitsgeschichte, die etwas anders war als bisher gedacht.

Im Schweiße ihres Angesichts mussten sie die Erde beackern, auf Regen hoffen, um ernten zu können. Hüteten Schafe und Ziegen und mussten immer wieder eines davon opfern.

Statt wie die Jäger und Sammler einfach durch die Gegend zu streifen und von allen Früchten des Waldes zu naschen. Und dann stellten sie in Göbekli Tepe in Südostanatolien geheimnisvolle Pfeiler auf: über vier Meter hoch, T-förmig aus einem Stein gehauen, verziert mit Tierdarstellungen, mit Füchsen, Gazellen oder Skorpionen – und schütteten sie irgendwann systematisch wieder zu. Warum, das weiß man bis heute nicht genau.

Eine Ausstellung über den Anfang

Das Badische Landesmuseum zeigt in einer großen Landesausstellung im Karlsruher Schloss einen entscheidenden Zeitpunkt der Zivilisation: den Anfang.

T-förmige Stelen; Foto: Badisches Landesmuseum
Mehr als 500 Exponate sind in der Ausstellung zu sehen

​​Mit einigen bildhaft deutlichen, unaufdringlichen Installationen, vielen erstaunlichen, kleinen und einigen riesigen Exponaten wird deutlich, wie es war, als sich die Menschen des Neolithikum entschlossen, sesshaft zu werden, Vieh zu züchten, Getreide anzubauen und in Häusern zu wohnen.

Am Anfang der Ausstellung steht man in einem weiten, offenen, lichten Raum, mit einem Ausblick in weite Ferne, und vor einem kleinen Kreis mit T-förmigen Stelen: schlicht, präsent, imposant.

Mit Steinwerkzeugen wurden sie aus einem Stein gehauen, aus einem Steinbruch herangekarrt, wie, weiß man nicht. Planvoll wurden sie mit beeindruckenden Relieftieren versehen.

In Karlsruhe stehen millimetergenaue Kopien der Originale, mit allen Schrunden und Beulen, Tieren und Ritzungen, die vielleicht einem schamanischen Ritual dienten oder einer Beerdigungsstätte. Daneben ist die älteste steinerne Menschendarstellung der Welt zu bewundern, die Männerstele von Urfa.

Die ersten Müllprobleme

Nur knappe tausend Jahre später bauten die Neolithiker in Neveli Cori Einzelhäuser. In Çatal Höyük, der größten Siedlung dieser Zeit, das "Paris der Steinzeit", klebten sie aus flachdächrigen Lehmziegelhäusern Wohnblocks wie Waben zusammen: eine unregelmäßig gruppierte Siedlung, mit 5000 Einwohnern. Hier gab es dann schon Probleme mit dem Müll und den ersten Hausmäusen.

Und die Viehzucht war selbst in diesem von der Natur begünstigten Gebiet nicht so einfach, weil die domestizierten Rinder immer kleiner und krankheitsanfälliger wurden. Auch die Getreideernte war nicht so üppig wie erhofft. Und die ersten Zivilisationskrankheiten: Karies, Zahnstein und Arthrose.

Figurine aus Köşk Höyük, um 6000 v. Chr.  (Nigde Arkeoloji Müzesi); Foto: Badisches Landesmuseum
Figurine aus Köşk Höyük, um 6000 v. Chr.

​​In Karlsruhe wird ein Überblick über diese Zeit gezeigt, die noch gar nicht richtig erforscht ist: Modelle und Nachbauten zeigen die Siedlungen und Häuser, zusammengeflochtene Leitern führen nach oben, eine stilisierte Feuerstelle, Vorratstöpfe, bemalte, mit Lehm beklebte und mit Muscheln verzierte Totenschädel des Totenkults.

Aber auch die Wandmalereien mit stilisierten Jägern und Figuren, die entweder eine Göttin oder einen Bären darstellen. Verblüffend ist, dass schon damals viel mit Farbe gemalt wurde, nicht nur die roten Wandbilder zeugen davon, sondern auch viele Figuren, die mit Ocker, Kalk oder Holzkohle rot, weiß oder schwarz gefärbt wurden.

Hohes kunsthandwerkliches Niveau

Viele Artefakte schließen die Schau ab, an denen auch deutlich wird, auf welchem kunsthandwerklichen Niveau das Neolithikum war. Zu bestaunen sind kleine Figurinen, u.a. die verblüffende janusköpfige Darstellung einer Frau: vorne wogen üppige Formen, hinten aber stechen die Rippen und Schulterblätter aus dem mageren Körper.

Deckel in Form eines Frauenkopfes sind zu sehen, Gefäße in Schweinegestalt, Töpfe, die, mit Steinwerkzeugen aus einem einzigen Stein herausgehauen, glatt poliert und dann auch noch mit abstrakten Mustern verziert wurden.

Schließlich zeigen die Ausstellungsmacher, wie sich das neue Lebensmodell langsam ausbreitete und durchsetzte. Und sie stellen noch einmal die Fragen, die sich viele Besucher auch stellen würden:

Gibt es ähnliche Entwicklungen an anderen Stellen der Erde? Welche gesellschaftlichen Strukturen haben sich herausgebildet? Ihre Antwort ist oft: Wir wissen es nicht. Denn sehr vieles ist noch nicht klar in der Forschung.

Aber eines ist sicher: Die Menschen des Neolithikum waren keine primitiven, fellbehängten Höhlenbewohner. Sie waren gut genug organisiert, um all diese Bauten und diese Kultur zustande zu bringen, sie hatten ein großes künstlerisches und handwerkliches Geschick.

Und auch wenn ihnen die Schrift noch fehlte, so war doch ihr Gesellschaftsmodell derart überzeugend, dass ganz Europa es übernahm. Und so liegt wirklich in Anatolien die Wiege der Menschheit.

Georg Patzer

© Qantara.de 2007

"Vor 12.000 Jahren: Die ältesten Monumente der Menschheit". Bis 17. Juni 2007. Katalog (Theiss Verlag) 24,90 Euro

Qantara.de

Museum für Islamische Kunst in Berlin
Auf Augenhöhe mit dem Abendland
Vor hundert Jahren wurde der Grundstein für das Berliner Museum für Islamische Kunst gelegt. Sabine Ripperger sprach anlässlich des Jubiläums mit dem Direktor des Museums, Claus-Peter Haase.

Orientalische Kunst
Aufbruch ins Morgenland
Der Kulturhistoriker Johannes Kalter konnte in den letzten dreißig Jahren für das Stuttgarter Linden-Museum zahlreiche Kunstgegenstände aus der islamischen Welt erwerben und stellte in mehreren Ausstellungen die unterschiedlichen Lebenswelten des orientalischen Kulturraums vor. Abdul-Ahmad Rashid mit einem Porträt des Kunstsammlers.

www

Badisches Landesmuseum Karlsruhe