Fernab jeder Normalität
Nichts will die irakische Regierung mehr als Normalität zu demonstrieren und zu zeigen, dass man es mit den anderen Ländern der Region aufnehmen und auch international punkten kann. Doch es will einfach nicht klappen.
Bereits beim Gipfel der Arabischen Liga im März letzten Jahres ging vieles schief. Es herrschte Chaos mit den Belegungen in den Hotels, in der gesicherten "Grünen Zone" schlug eine Mörsergranate unmittelbar neben dem Konferenzzentrum ein und mehrere Autobomben explodierten in der Innenstadt. Einige Teilnehmer reisten daraufhin schnell wieder ab, andere kamen gar nicht erst. Iraks einjähriger Vorsitz in der Arabischen Liga verstrich ohne Glanz.
Zum Kulturjahr aber sollte alles anders werden. Seitdem Bagdad für das Jahr 2013 zur Kulturhauptstadt der arabischen Welt erkoren wurde, ist dieses Ereignis an Euphrat und Tigris in aller Munde. Ein üppiges Budget soll einen breiten Kulturaustausch ermöglichen und der Welt zeigen, dass sich der Irak erneut auf dem Weg zu einer Kulturnation befindet.
Organisationschaos und Sicherheitsprobleme
Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft deutlich auseinander. Noch immer gibt es kein fest stehendes Programm, das die Veranstaltungen ausweist. Lediglich eine ungefähre thematische Festlegung für die einzelnen Monate ist bekannt. So soll es im Juni inhaltlich vor allem um Kinder und Jugendliche gehen. Internationale Jugendtreffs und eine Konferenz zum Thema Kinder in der arabischen Welt sind geplant.
Nur sehr zögerlich werden Übersetzungen der Terminplanungen im holprigen Englisch angefertigt. Im Juli ist dann schon wieder Pause, wenn der Ramadan beginnt, und die Zahl der Bombenanschläge nimmt derzeit dramatisch zu. Mit über 700 Todesopfern war der vergangene April der tödlichste Monat seit fünf Jahren.
Erst Ende März wurde das Kulturjahr mit einem dreitägigen Festival eingeläutet. Im mittlerweile fertig renovierten Hotel Rasheed in der "Grünen Zone" versammelten sich geladene Gäste aus aller Welt zum Festakt. Premier Nuri al-Maliki hielt eine Rede. Man blieb unter sich. Ohne Hochsicherheitsmaßnahmen durften die Eingeladenen das Gelände nicht verlassen. Sonderwünsche einzelner Personen wurden angesichts der Vielzahl der Gäste nicht ermöglicht.
Margarete van Ess, wissenschaftliche Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, war von Berlin ins Rasheed-Hotel nach Bagdad gereist und "erfreut zu sehen, dass die Theater- und Tanzprojekte, die geboten wurden, zum einen die gute alte Tradition wieder aufnahmen – wie etwa eine dargebotene Modeschau – zum anderen die Kultur des Landes und nicht etwa die Religion in den Vordergrund stellten".
So sei die Toleranz unter den Religionsgemeinschaften thematisiert worden und durchaus auch die drastische Darstellung der eigenen Geschichte. Angesichts der zahlreichen Klagen in den westlichen Medien, dass Kultur eine immer geringere Rolle spiele und die Freiheit der Kunst leide, war dies für die deutsche Archäologin in Bagdad ein willkommener Kontrapunkt. Doch außer dem staatlichen Fernsehsender Iraqia waren keine Medienvertreter im Hotel Rasheed zugelassen.
Die Journalisten und das interessierte Publikum versammelten sich in einem extra dafür aufgestellten großen Zelt im Zawhra-Park, unweit des Hotels entfernt. Es hagelte Kritik an den Organisatoren der Parallelveranstaltung. Die Darbietungen im Zelt seien dilettantisch, schlecht vorbereitet und "billig" gewesen.
Unter Korruptionsverdacht
Die Frage nach dem Verbleib des dafür bereit gestellten Geldes ließ erste Köpfe im Kulturministerium rollen. Dabei wurde deutlich, dass die Organisation der einzelnen Veranstaltungen zum Kulturjahr einzig in den Händen der Ministeriumsmitarbeiter verblieb, kaum externe Aufträge vergeben und keine professionellen Expertisen eingeholt wurden. Die Kriterien für die Auswahl der Darbietungen blieben undurchsichtig und boten viel Raum für Spekulationen um Korruption und Vetternwirtschaft.
Auch die Demonstration der Toleranz, die Frau van Ess bei der Eröffnung so positiv hervorhob, währte nicht lange. Genau gesagt bis Ende April. Dann rückte die Religion in den Vordergrund. Die aus Deutschland stammende Auftaktveranstaltung des Theaterfestivals geriet gar zum Skandal. Das Tanzstück der Japanerin Minako Seki war als einer der beiden deutschen Wettbewerbsbeiträge angekündigt.
Was in Europa und auch in Japan inzwischen normal ist, geriet in Bagdad zum öffentlichen Ärgernis. Minako Seki tanzte fünf Minuten lang in einem durchsichtigen, hautfarbenen Body über die Bühne. Für die Zuschauer war sie nackt, ein Tabubruch für ein islamisches Land wie den Irak, in dem die Scharia herrscht und religiöse Eiferer die Regierung mitbestimmen.
Kulturminister Sadun al-Duleimi tobte. Der Festivalmanager und der Chef des Nationaltheaters, in dessen Haus die Performance stattfand, wurden vom Dienst suspendiert. An seine Stelle ist jetzt ein Mitglied der Dawa-Partei gerückt, der schiitisch religiösen Regierungspartei, aus deren Reihen Premier Maliki hervorgeht. Alle Beiträge des Kulturprogramms müssen künftig vorab gesichtet und genehmigt werden. Die ambitionierte Bagdader Kulturszene, die so begierig den Anschluss an internationale Standards sucht, hat einen kräftigen Dämpfer bekommen.
"Schade ist, dass der Skandal auch ein bisschen an uns Deutschen hängen bleibt", sagt Hella Mewis, die seit 2010 interkulturelle Theaterprojekte im Irak betreut und begleitet, "obwohl weder ich noch irgendeine deutsche Institution mit der Sache zu tun hatten."
Die Kulturmanagerin meint, dass die Veranstalter doch ohne Mühe eine Stellungnahme von der Deutschen Botschaft in Bagdad, dem Goethe-Institut oder von ihr einholen konnten, um die Brisanz der Tanzperformance abzuklären. Die Japanerin sei schließlich keine Unbekannte in der Szene und habe dieses Stück bereits seit drei Jahren international aufgeführt.
Hungrig nach Kultur
Trotzdem sei das Konzept des Theaterfestivals ambitioniert gewesen, wertet Mewis die Gesamtheit der Darbietungen. Im Vergleich zu vor drei Jahren, als sie das erste Mal mit einer jungen Theatergruppe aus Berlin nach Bagdad kam, seien die Stücke der irakischen Regisseure mutiger und gesellschaftskritischer geworden.
Experimentelles Theater, die Mischung aus Theater und Tanz, sei jetzt in. "Man merkt, dass viele Künstler aus dem Exil zurückkommen in den Irak, um mit Kollegen hier zu arbeiten." Besonders aus Schweden sei der Einfluss in der irakischen Theaterszene derzeit groß.
Ein Trostpflaster für die deutsche Kulturmanagerin ist die Auszeichnung für "Bernada Albas Haus" des kurdisch-irakischen Regisseurs Ihsan Othmann als bestes Theaterstück des Festivals. Othmann lebt in Berlin und arbeitet eng mit Hella Mewis zusammen.
Und noch etwas Bemerkenswertes dürfe nicht unerwähnt bleiben: "Die Aufführungen sind brechend voll", stellt die Theaterfrau aus Berlin in Bagdad fest. Trotz mangelnder Werbung kämen die Zuschauer in Scharen ins Theater gelaufen. "Die Iraker sind hungrig nach Kultur."
Birgit Svensson
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de