Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen
In einem hellblauen Klassenzimmer sitzen junge Frauen in Gruppen an Computern, einige tippen, andere browsen Blogs über die neuesten Modetrends. Direkt vor der Tür, mitten im Herzen der lebendigen Stadt Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans, gehen die Menschen ihrem Alltag im Schatten der alten Festung und der mit blauen Kacheln geschmückten Moschee nach.
Nur wenige Monate zuvor wussten diese Teenager nicht einmal, wie man einen Computer anschaltet. Heute können die Mädchen der "Goharshad Begum High School" auf Facebook und Twitter posten, eigene Blogs updaten und sogar selber programmieren.
Möglich gemacht hat dies die Organisation "Digital Citizen Fund" (DCF), die 2012 ein umfassendes Computer- Trainingsprogramm ins Leben gerufen hat. Die Idee dafür hatte eine Gruppe einheimischer Unternehmensgründerinnen. Diese Frauen sind Pioniere, die die Mädchenbildung in Afghanistan fördern – in einem Land, in dem viele Mädchen immer noch ihr Leben riskieren, um zur Schule zu gehen.
„Wir habe Filmprogramme, Gmail, Twitter und Viber gelernt“, erzählt die Schülerin Hilai während sie an ihrem PC im belebten Computer-Raum arbeitet. "Es hat unser Verständnis und Wissen über Technologie erweitert."
Emanzipation via IT
Von diesem Verständnis halten insbesondere radikale Islamisten am Hindukusch jedoch überhaupt nichts. In den von den Taliban kontrollierten Gegenden glauben viele, dass der Platz der Frau nach wie vor am Herd – und nicht vorm Computer ist. Die Schwestern Roya und Elaha Mahboob wollen das ändern und Frauen den Einstieg in den wachsenden Technologie-Sektor ermöglichen. Deshalb statten sie Mädchenschulen mit Computern und anderen technischen Geräten aus und zeigen den Mädchen, wie man mit Computern umgeht.
"IT ist zur Zeit der wichtigste Berufszweig", sagt Elaha Mahnoob. Sie sitzt in ihrem hellen, luftigen Büro in Afghanistans Hauptstadt Kabul, stets ihr ständig klingelndes Smartphone im Blick. "Wir wollen Frauen durch IT emanzipieren, denn es ist für sie und ihre Zukunft wichtig."
Bisher hat die gemeinnützige Organisation DCF insgesamt 13 Computer- und Programmierzentren in Herat und Kabul gegründet. Und sie haben es geschafft, 55.000 Studentinnen Zugang zum Internet zu verschaffen – in einem Land, in dem die Alphabetisierungsrate von Frauen bei nur 18 Prozent liegt und Frauen in öffentlichen Internet-Cafés verbal belästigt werden. In den nächsten zwei Jahren plant das DCF 5.000 Studentinnen in den Bereichen Finanz- und Digitale Kompetenz und Programmieren zu trainieren. Das eröffnet jungen Frauen in Afghanistan viele Möglichkeiten für ihre Zukunft.
„Sie lieben es, weil sie so in Verbindung bleiben können, sie können mit Freundinnen reden, ihre Ideen und Blogs teilen“, berichtet Mahboob. "Nach jedem unserer Trainings haben wir eine Veränderung in ihren Köpfen wahrnehmen können, und ein gewachsenes Interesse an Computern. Einige haben beschlossen, das Fach IT weiter zu studieren. Und sie waren schlagartig viel stärker vernetzt mit anderen Teilen der Welt."
Bedrohte Schulen
Elaha Mahboob und ihre Schwester Roya sind selbst Teil dieser immer stärker vernetzten Welt. Ihre Familie floh während der sowjetischen Besatzung Afghanistans in den Iran. Sie blieben bis 2003, zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des Taliban Regimes. Nach ihrer Rückkehr studierten die Schwestern Informatik an der Universität von Herat. In ihren Zwanzigern gründeten sie die IT-Beratungsfirma "Afghan Citadel Software". Gegen die herrschende Konvention stellen sie fast nur Frauen ein.
Doch die Mahboob-Schwestern und alle, die im Cyber-Programm für Mädchen mitarbeiten, sind immer noch mit Widerstand und Rückschlägen konfrontiert. So brachten Droh-Anrufe und E-Mails eine der Trainerinnen im Computer-Kurs dazu, nicht weiter zu unterrichten. Aber die DCF-Pionierinnen lassen sich davon nicht beirren. Stattdessen bemühen sie sich, Eltern und lokalen Anführern die Angst zu nehmen, wenn es darum geht, Mädchen und Frauen mit Computern vertraut zu machen.
"Wir reden mit ihnen, um sie davon zu überzeugen, dass es nichts Schlechtes ist, sondern dass es ihren Töchtern nur helfen wird: es bereichert ihr Wissen und kann sogar eine finanzielle Hilfe sein", sagt Mahboob. Und diese Taktik scheint zu wirken. "Sie vertrauen uns und ihren Töchtern immer mehr."
Jennifer Collins und Storay Karimi
© Deutsche Welle 2017