Der Prophet und sein Exotenbonus
Manchmal kommen Künstler nicht gegen ihr Publikum an und verlieren im Laufe der Zeit die Deutungshoheit über das eigene Werk. Ein solches Schicksal widerfuhr auch dem libanesischen Maler und Schriftsteller Khalil Gibran (1883-1931), der schon zu Lebzeiten mit dem Titelhelden seines 1923 erschienen Buchs "The Prophet" – bis heute der mit Abstand auflagenstärkste Text eines arabischen Autors – verwechselt wurde.
So kommt es, dass man seine Bücher heute nicht in den Belletristikabteilungen der Buchhandlungen findet, sondern in der Ecke für Esoterik und Spirituelles.
Gibran selbst war an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. 1895 war er mit seiner Familie aus dem Libanon in die USA gekommen und alsbald in die Künstlerkreise Bostons geraten, wo man sich in den "schönen syrischen Knaben mit den langen schwarzen Haaren und dem traurigen Blick", wie ihn ein Zeitgenosse beschrieb, verguckte.
Der Mythos Gibran
Früh also erkannte Gibran den in seiner orientalischen Herkunft liegenden Exotenbonus, lernte diesen zu nutzen, um der Enge des Armenviertels zu entkommen und nahm schließlich die ihm angetragene Rolle des Weisen aus dem Morgenland bereitwillig an.
Nach seinem Tod ging die Verklärung seiner Person weiter. Barbara Young, in den letzten Lebensjahren seine Sekretärin und Vertraute, schrieb mit "This Man from Lebanon" ein geradezu hagiographisches Buch, das die Legendenbildung zusätzlich befeuerte.
Khalil Hawi, der sich fundiert, kritisch und ernsthaft mit seiner Literatur auseinander setzte, und Jean-Pierre Dahdah, der eine wohl recherchierte Biographie vorlegte, ragen zwar wohltuend aus dem Chor der hymnischen Schwärmereien heraus, konnten den Mythos Gibran aber nicht nachhaltig entzaubern.
Fragwürdiges Wortgeklingel
Nun also Alexandre Najjar. Wer von dem 1967 geborenen, sehr produktiven Autor historischer Unterhaltungsromane, einen zeitgemäß nüchternen Ton erwartet, sieht sich schnell enttäuscht. Wie die meisten Biographen vor ihm, beginnt er mit dem Versuch, die in der Tat atemberaubende Landschaft der Heimat Gibrans in Worte zu fassen – und scheitert dabei fürchterlich:
"Im östlichen Mittelmeer, dort, wo im Norden des Libanon drei Kontinente und drei Religionen einander begegnen, liegt Bécharré. Wie aus einem Weihrauchgefäß steigt dichter Dunst aus dem Tal auf. Zu den Tönen des nay eines einsam über die Weiden ziehenden Hirten wallt er über die Felsen hinweg."
Wer das Buch nach diesem fragwürdigen Wortgeklingel entnervt beiseite legt, handelt nachvollziehbar, bringt sich aber um eine dann im Ganzen doch recht kurzweilige und informative Lektüre.
Hat man sich einmal an Najjars schon bei seinen Romanen störenden, irgendwo zwischen altväterlich und tantenhaft die Prosa des 19. Jahrhunderts imitierenden Ton gewöhnt und ihm zudem nachgesehen, dass er mit seiner unbedarften Erzählhaltung Dinge beschreibt, die er als Biograph gar nicht wissen kann, wird man mit der Darstellung eines tragischen Künstlerlebens zwischen Amerika, Paris und dem Libanon belohnt.
Gibran als Autor und Maler
Langweilig ist es jedenfalls nicht, was er zu erzählen hat: Die Atmosphäre in Boston und Paris um die Jahrhundertwende und Gibrans schwierige familiäre Situation kommen ebenso zur Sprache wie dessen Zusammenarbeit mit anderen arabischen Schriftstellern in New York, die Rezeption seiner Werke in der arabischen Welt oder seine politische Einstellung nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches.
Lobend hervorzuheben ist zudem, dass sich Najjar nicht auf den Schriftsteller Gibran beschränkt, seine synkretistische Religiosität und die Einflüsse europäischer Autoren wie Blake, Renan oder Nietzsche interpretiert, sondern auch seine Malerei zu ihrem Recht kommen lässt.
Dem Biographen sind allerdings die zwischenmenschlichen Beziehungen Gibrans sichtlich wichtiger als geistesgeschichtliche Bezüge. Sonst meist verschämt ausgesparte Aspekte seiner Beziehungen zu Frauen spricht er mit einer unverkrampften Offenheit an, die weder sensationslüstern noch verklärend ist.
Gelungene Einführung in Leben und Werk
Darum, und weil er ausgiebig aus Gibrans Briefwechsel zitiert und menschliche Schwächen wie dessen absolute Kritikunfähigkeit nicht ausspart, kommt uns Gibran schließlich, bei aller Überhöhung, der auch Najjar nicht entgeht, näher, als in anderen Biographien.
Das Fazit muss also ambivalent ausfallen: Alexandre Najjars Buch genügt weder den literarischen Ansprüchen eines Essays noch den wissenschaftlichen einer Biographie. Es ist dennoch eine gelungene Einführung in Leben und Werk Khalil Gibrans geworden und damit eine echte Alternative zu Dahdahs sich auf 560 Seiten oft in ermüdenden Details verlierenden Biographie.
Andreas Pflitsch
© Qantara.de 2006
Alexandre Najjar, "Khalil Gibran. Autor des Propheten", aus dem Französischen von Heribert Becker, Berlin, Verlag Hans Schiler 2006.
Qantara.de
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