Konservatives Regime und aufgeschlossene Gesellschaft
Seit der Islamischen Revolution von 1979 gibt es in der arabischen Welt widersprüchliche Haltungen zum Iran. Anfangs dominierte die Furcht, die iranische Revolution könnte auf die arabischen Länder übergreifen, was unter anderem zu dem verheerenden Krieg zwischen Iran und Irak führte, der wiederum die Diktatur Saddam Husseins finanziell und politisch in den Bankrott trieb.
Entschädigen wollte sich Saddam dafür mit der abenteuerlichen Besetzung Kuwaits. Diese brachte dem Irak 1991 die erste amerikanische Invasion und ein strenges Sanktionsregime ein, das schließlich im US-Einmarsch von 2003 gipfelte. Seit 1979 also reißen die direkten und indirekten Reaktionen auf die Politik des Iran in der arabischen Welt nicht ab.
Unterdessen hielten in vielen arabischen Ländern Missmanagement, politisches Scheitern, Improvisieren und Tyrannei Einzug, und Rechte und Gerechtigkeit waren Fremdwörter. Der Iran, wie auch andere Staaten, sah eine Chance, dieses Vakuum zu füllen. Dies war der Auftakt zu einem Konflikt, der schließlich konfessionelle Züge annahm - der schiitische Iran hier, die sunnitischen Araber dort -, doch blieb er im Kern politisch.
Das jüngst geschlossene Atomabkommen schürt zudem bei den arabischen Golfanrainern einen Konflikt, der konfessionelle Züge annimmt. Aber Iran lässt sich nicht auf ein Regime oder gar eine Gruppe innerhalb des Regimes reduzieren, nicht auf den Revolutionsführer, nicht auf Atomwaffen und nicht auf militärische Interventionen.
Auffällig ist, dass es in der gesamten arabischen Welt kein Forschungszentrum für iranische Studien gibt, dessen Ziel es wäre, Wissen über den Iran in all seiner Komplexität zu sammeln. Dementsprechend gibt es auch keinen Austausch mit iranischen Forschern, sei es solche im Iran oder im Exil.
Desinteresse an iranischer Politik
Die Harvard-Universität hat ein umfassendes Programm unter dem Titel "Iran Project" aufgelegt, das der junge iranische Wissenschaftler Payam Mohseni leitet. Aber in den arabischen Ländern findet sich trotz all des Aufruhrs und der Kriege, die mit Iran zu tun haben, offenbar niemand, der interessiert wäre, sich eingehend mit der Politik und der Zukunft des Iran zu beschäftigen.
Das Image Irans ist vielfältig und widersprüchlich. Ist der Iran ein aufsteigender Staat mit wachsendem Einfluss und zunehmender Macht? Oder befindet sich das Land auf dem Rückzug und zeigt Schwäche?
Wer sich sorgfältig mit dem Land beschäftigt, wird feststellen, dass beides nicht zutrifft. In mancher Hinsicht ähnelt das Land der ehemaligen Sowjetunion: Einerseits investiert es in übertriebener Weise in Rüstung und in die Revolutionsgarden und ist ideologisch übersteigert, während es sich nur begrenzt um die Entwicklung des eigenen Landes bemüht.
Andererseits muss man dem iranischen Regime zugutehalten, dass es stark institutionalisiert ist und dass sich seine Institutionen oft ausbalancieren. Der oberste Geistliche Ayatollah Khamenei steht in der Mitte und gleicht unterschiedliche Interessen aus, aber bei den meisten seiner Entscheidungen zeigt sich seine Nähe zu den Revolutionsgarden und den Sicherheitsbehörden. Jedenfalls ist das iranische Regime komplexer als die arabischen, die eher auf bestimmte Personen als Institutionen ausgerichtet sind.
Zwar lässt sich unterstellen, dass der Iran ohne den wirtschaftlichen Druck und die rasende Inflation im eigenen Land das Atomabkommen nicht geschlossen hätte. Aber der Vertrag ist für den Iran in jedem Fall ein vorteilhafter Schritt, denn das Land konnte dadurch auch über andere grundlegende Dinge verhandeln.
Bleibende Herausforderungen nach den Atomverhandlungen
Ohnehin ist der Atomdeal selbst für den Iran nicht das Ende vom Lied. Vielmehr erhielt die Islamische Republik dadurch einen wichtigen Schub, und auf den Straßen Teherans herrscht Optimismus darüber, dass der Westen mit seinen Investitionen nun plötzlich wieder bereit steht. Iran bräuchte kurzfristig über 130 Milliarden US-Dollar an Investitionen, um drei Prozent Wirtschaftswachstum zu erreichen. Davon hat die iranische Regierung selbst nur 25 Milliarden, der Rest muss von außen kommen.
Zudem braucht das Land 300 neue Flugzeuge für die nationale Luftflotte, und 100 Milliarden wären nötig, um alte Ölraffinerien zu sanieren oder neue zu bauen. Demgegenüber hat der Iran in den letzten zwei Jahren sieben Milliarden Dollar für Kriege in der arabischen Welt ausgegeben.
Die Aufhebung der Sanktionen helfen Iran also auf vielen Ebenen. Insbesondere kann das Land nun wieder in die internationale Politik zurückfinden, und die iranischen Banken können international handeln, was im Öl- und Gassektor und in anderen Branchen Investitionen bringen wird.
Doch ganz so einfach, wie manche Experten glauben, wird es mit einer kompletten wirtschaftlichen Öffnung auch nicht werden. Der Grund liegt im iranischen Misstrauen gegenüber den USA. Zudem beruht die Legitimität des Regimes bei vielen seiner Anhänger im Iran darauf, dass es sich im Nahen Osten in Konfrontation zu Amerika und Israel befindet. Eine Abkehr von dieser Politik, die mehr als drei Jahrzehnte lang betrieben wurde, ist kurzfristig nicht vorstellbar.
Pragmatische Politikausrichtung
Trotz alledem ist der Iran eine pragmatische Macht, die vor allem überleben will und die sich bewegt, wenn es glaubt, in Gefahr zu sein. Deshalb unterzeichnet das Regime in Momenten der Gefahr auch Verträge. Aber trotz des Atomabkommens mit den USA bleiben viele andere Themenfelder mit Washington konfliktbelastet.
Deshalb ist auch nicht zu erwarten, auch wenn manche am Golf das glauben, dass Iran sich den Vereinigten Staaten in den Schoß werfen wird. Nicht nur wegen der Legitimität, die sich das Regime nur sichern kann, wenn es den USA im Nahen Osten entgegentritt, sondern weil die amerikanische Politik dem Teheraner Regime tatsächlich in mehrfacher Hinsicht Sorge bereitet.
Darüber hinaus gibt es strukturelle Hindernisse, die es erschweren, dass schnell Geld ins Land strömen kann. Denn 40 Prozent der iranischen Wirtschaft liegen in der Hand militärischer und religiöser Institutionen und von Sicherheitsbehörden. Diese Einrichtungen unterstehen keiner Kontrolle und sind steuerbefreit. Einige von ihnen beziehungsweise manche der dort tätigen Personen unterliegen noch immer internationalen Sanktionen, die trotz des Atomdeals in Kraft bleiben. Eine Privatisierung im chinesischen Stil wird im Iran daher an Grenzen stoßen, und der Optimismus der Straße wird hier schon bald einen Dämpfer erfahren. Für das Regime bedeutet dies wiederum eine Schwächung.
All dies führt auf Seiten des iranischen Regimes zu Vorsicht und Sorge vor langfristigen amerikanischen und israelischen Bestrebungen, in Teheran einen Regimewechsel herbeizuführen. Und so gibt es sowohl Konflikte wie auch Harmonie, Streit wie Gemeinsamkeiten, und dies kann bedeuten, dass die Vereinigten Staaten wegen der iranischen Rolle in der Region eines Tages wieder neue Sanktionen verhängen werden.
Die USA werden es nicht eilig haben, Iran soweit entgegenzukommen wie China, und Khamenei wird die Balance zwischen den Revolutionsgarden und den Konservativen - diese Kräfte stellen die Mehrheit des Regimes - sowie den Moderaten und Linken, für die Präsident Rohani steht, nicht aufs Spiel setzen.
Säkularer als jede arabische Gesellschaft
Aber die eigentliche Stärke Irans liegt mittel- und langfristig in seiner Gesellschaft, die wesentlich emanzipierter als das Regime und offener als die herrschenden Mullahs ist. Iran ist eine alte Kultur, und zugleich ist die iranische Gesellschaft nicht nur jung, sondern auch säkularer als jede arabische Gesellschaft. Sie glaubt an Reformen und allmähliche Veränderung und sie will einen transparenteren und weniger ideologischen Staat. Deshalb lebt Iran in einem seltsamen Gegensatz zwischen religiöser Ideologie, verbunden mit einer schwerfälligen Bürokratie, schwieriger Wirtschaftslage und begrenzter Entwicklung und einer pragmatischen, emanzipierten Öffentlichkeit, die mehr Offenheit will.
Iran ist bereit für weitreichende Reformen, aber nicht zu einer neuen Revolution gemäß dem Szenario von 1979. Wenn wir die Äußerungen vieler Söhne und Töchter der Revolutionäre von einst verfolgen, bis hin zu den Enkeln von Imam Khomeini, so stellen wir fest, dass die meisten von ihnen Reformisten sind und nicht mehr viel vom revolutionären Sicherheitsstaat halten.
Entsprechend ängstlich geht das Regime mit den beiden ehemaligen Präsidenten Khatami und Rafsandschani um. Der Letztere wurde in seiner Rolle im Iran stark eingeschränkt, und Khatami darf den Iran nicht mehr verlassen und die iranische Presse darf seine Äußerungen nicht verbreiten.
Einerseits werden die Vereinigten Staaten auch weiterhin ein Interesse an Veränderung in Teheran haben, wenn auch entsprechende Äußerungen weniger oft als bisher fallen werden und man eher auf einen allmählichen und langfristigen Wandel setzen wird. Andererseits wird der Oberste Geistliche des Iran sein Land nicht nach chinesischem Vorbild einer Privatisierungs- und Vermarktungsstrategie unterwerfen können. Dazu sind die Revolutionsgarden und andere staatliche Stellen, die die Wirtschaft dominieren, zu stark.
Das Reformtempo im Iran wird aber auch vom Willen des Volkes abhängen, das einen modernen Staat und mehr Bürgerrechte will, ohne den islamischen Glauben dabei aufzugeben. Es wird aber auch von der Stärke desjenigen abhängen, der Khamenei eines Tages ablösen wird.
Kurzfristig wird es im Iran daher Fortschritte geben, aber schon mittelfristig werden diese gehemmt sein. Die Zukunft des Landes hängt daher in erster Linie davon ab, in welche Richtung seine Bevölkerung gehen will.
Shafeeq Ghabra
© Qantara.de 2016
Aus dem Arabischen von Günther Orth
Shafeeq Ghabra ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kuwait. Der bekannte Publizist schreibt für führende arabische Tageszeitungen.