"Das System ist schmutzig - nicht die Frauen"
Schon der Verdacht des Ehebruchs reicht in Afghanistan zur Inhaftierung einer Frau. Die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale kämpft für die "schmutzigen“ Frauen.
Das "Welayat“-Gefängnis ist eine baufällige Baracke mitten in Kabul: 35 Frauen und Mädchen vegetieren hier auf dem nackten, nassen Boden. Dazwischen einige ihrer Kinder. Die Wände schimmeln, von der Decke fällt der Putz, es gibt kein sauberes Wasser und wenig zu essen.
Fast allen Frauen hier werden "moralische Verbrechen“ vorgeworfen: Ehebruch, Flucht vor einer Zwangsheirat, Ausbruch aus einer Gewaltbeziehung. Manche haben sich einfach nur einer Vergewaltigung widersetzt. Eine 14-Jährige musste ins Gefängnis, weil sie sich gegen die Hochzeit mit einem 60-jährigen Mann gewehrt hat. Sie haben die Ehre eines Mannes oder einer Familie "beschmutzt" und gelten daher selbst als "schmutzige“ Frauen.
Keine Polizeiakten
"Über die meisten Frauen gibt es noch nicht einmal eine Polizeiakte“, erklärt Monika Hauser von der Frauenorganisation Medica Mondiale. "Sie sitzen schon bis zu fünf Monate in Haft, ohne dass bisher ein Prozess angestrengt wurde.“
Die Frauenrechtsorganisation bemüht sich seit September 2003 vor Ort um Freilassungen oder Hafterleichterungen: "Jede Gefangene soll genaue Informationen über den Grund ihrer Inhaftierung und ihre Rechte bekommen“, so Hauser über die Ziele von Medica Mondiale.
"Eine Rechtsanwältin leitet einen fairen und transparenten Prozess ein und vertritt ihre Klientin dann bis zum Richterspruch. Nach Ende der Haftzeit sollen die entlassenen Frauen und Mädchen begleitet und beim Aufbau einer neuen Existenz unterstützt werden.“ Schon nach den ersten Wochen kann Hauser die ersten Erfolge vermelden. "Wir vertreten bereits 19 Frauen. Eine Frau ist mittlerweile frei.“
Raster für die Verteidigung entwickelt
Um die Betroffenen überhaupt in ihren engen Zellen besuchen zu können, waren gute Kontakte zu den Behörden und zum Personal notwendig. Die juristische Vertretung leisten afghanische Anwältinnen. Frauen, die im Exil oder heimlich unter den Taliban Jura studiert haben.
"Auch denen mussten wir bewusst machen, dass nicht die Frauen schmutzig sind, sondern dass sie in einem schmutzigen System leben. Wir haben mit ihnen ein Raster zur Verteidigung der Frauen entwickelt“, so Monika Hauser. "In den meisten Fällen reicht es schon aus, die betroffenen Familien von der Unschuld ihrer Töchter und Schwiegertöchter zu überzeugen.“
Gefängniswärterinnen geschult
Überzeugungsarbeit ist eine der wichtigsten Aufgaben, um den Gefangenen auch während der Haft zu helfen. Schlüsselfiguren sind dabei die Wärterinnen. Früher waren Schläge und Enteignungen an der Tagesordnung.
"Also haben wir die Wärterinnen geschult, Gefangene nach UN-Standards zu behandeln und ihnen den Wert ihrer Arbeit verdeutlicht", so Hauser. "Mittlerweile stehen die Wärterinnen auf Seite der Inhaftierten. Wenn die Frauen zu den Richtern vorgeladen werden, achten sie darauf, dass immer eine Anwältin dabei ist.“
Keine Zukunft ohne Nachsorge
Die ersten juristischen Erfolge geben Hoffnung. Wenn eine Frau aus der Haft entlassen wird, ist Nachsorge in der Familie wichtig: "Nur wenn sie von der Familie wieder aufgenommen wird, kann sie überleben."
Ob Medica Mondiale allen Frauen helfen kann, hängt auch von finanziellen Zwängen ab. Bis Dezember 2003 wird die Organisation vom Auswärtigen Amt unterstützt. Sollte die Unterstützung nicht verlängert werden, wäre man vollständig auf Spenden angewiesen.
Peter Wozny
© DW-online 2003