Verleugnet Córdoba den Islam?
Die Fähigkeit zu Selbstkritik ist eine hohe Tugend Europas. Manchmal aber paart sie sich mit dem fatalen Hang zu politischer Korrektheit. So in Spanien, wo eine Online-Petition Aufsehen erregt, die, verfasst Ende 2013 von Historikern, Juristen und Journalisten, mittlerweile von 91 000 Sympathisanten unterschrieben wurde.
Sie fordert, die Kathedrale von Córdoba unter staatliche Aufsicht zu stellen. Begründung: Der Bau, im Jahr 785 von Emir Abd ar Rahman I. als Hauptmoschee der seinerzeit maurisch regierten Stadt begonnen, bis 1009 zur drittgrößten Moschee der Welt erweitert und 1236 im Zug der christlichen Rückeroberung zur Kathedrale geweiht, werde durch den derzeitigen Bischof von Córdoba "juristisch, wirtschaftlich und symbolisch" vereinnahmt.
Das Kirchenoberhaupt, so heißt es, lasse stillschweigend islamische Symbole entfernen und habe die Bezeichnung Moschee aus der offiziellen Broschüre der "Mezquita Catedral" getilgt. Auch kämen die unlängst enorm erhöhten Eintrittspreise einzig der katholischen Kirche zugute. Dies alles missachte, dass die Mezquita 1986 von der Unesco als "Symbol der Eintracht verschiedener Zivilisationen und Religionen" zum Weltkulturerbe ernannt worden sei.
Region der architektonischen Palimpseste
Das Argument sticht. Zumindest, was die Toleranz des frühen Islam angeht: Die Architekten des Emir nämlich scheuten sich nicht, für den Bau der Moschee neunhundert antike, in damaliger Sicht "heidnische" Säulen aus Trümmern der Tempel und frühchristlichen Basiliken des römischen Corduba zu verwenden. Einige stammten aus der Sankt-Vinzenz-Kirche, dem Vorgänger der Moschee, der sowohl Christen wie Muslimen gedient hatte, ehe die christlichen Eigentümer ihn zugunsten der Moschee auf Abbruch verkauften.
Als im 10. Jahrhundert aus dem Emirat Córdoba ein Kalifat wurde, war die Stadt auf 500.000 Bewohner angewachsen. Muslime, Juden und Christen lebten in ihr, nutzten und pflegten die (bis heute erhaltene) Römerbrücke - und bauten ungehindert ihre Gebetsstätten. Was Wunder also, dass europäische Kunsthistoriker im 19. Jahrhundert die These vertraten, die Gotik Europas habe ihre Wurzeln in den Spitzbögen und Gewölben der maurischen Moscheen und Schlösser Spaniens.
Dafür stand nicht nur Córdobas Mezquita vor Augen, sondern eine Fülle weiterer Bauwerke. Das bekannteste ist die im 13. und 14. Jahrhundert als Lustschloss der Nasriden in Granada erbaute Alhambra; die schönsten bietet neben Córdoba die Stadt Toledo. Ihre meistbesuchte Kirche, Santa María la Blanca, entstand 1180 als Synagoge in maurischen Formen und wurde 1405, nach der Vertreibung der Juden, christlich umgewidmet. Ein weitere Attraktion ist die kleine El Cristo de la Luz, 999 als Moschee errichtet, 1085 zur Kirche deklariert - und im 12. Jahrhundert im andalusisch-maurischen Mudejar-Stil erweitert.
Faustschläge ins filigrane Baugewebe
Hundert Jahre später wäre eine solche maureske Erweiterung undenkbar gewesen. Je weiter die Reconquista voranschritt, desto fanatischer ging man gegen alles Maurische vor. 1227 schützte Toledos Hauptmoschee nicht einmal die Tatsache, dass sie ursprünglich Hofkirche der christlichen Westgoten-Könige gewesen war, vor der Vernichtung: König Ferdinand III., genannt der Heilige, forderte ein "unbeflecktes", christlich-gotisches Gotteshaus und ließ die Moschee abreißen. In Córdoba war er toleranter - die Mezquita wurde zwar christianisiert, blieb jedoch, abgesehen vom Einbau einiger kleiner Kapellen, unangetastet.
Dreihundert Jahre später war alle Duldsamkeit zerstoben. Der Bischof von Córdoba legte 1523, immerhin gegen den Protest des Stadtrats, den Grundstein für eine neue Kathedrale mitten in den Höfen der Moschee. Als Kaiser Karl V. die fast fertige Kirche besichtigte, soll er gesagt haben: "Ihr habt etwas erbaut, was es andernorts schon gibt - und dafür habt ihr etwas zerstört, was einmalig in der Welt war." Das aber hinderte ihn nicht, in der Alhambra einen bunkerartigen Palastwürfel bauen zu lassen, der wie ein Faustschlag ins filigrane Gewebe der maurischen Höfe und Pavillons fährt.
Verleugnung der eigenen Landesgeschichte
Aus diesem Blickwinkel erscheint der heutige Bischof von Córdoba, Demetrio Fernández, als ein ebenbürtiger Nachfahre seines verbissenen Amtsvorgängers von 1523. Zwar sind die Petitionäre bisher den Beweis der angeblichen Entfernung islamischer Symbole schuldig geblieben. Doch dass der Bischof die Moscheetradition als bedeutungslose Episode behandelt und immer wieder öffentlich verkündet, das Bauwerk sei "zweifellos eine Kathedrale", ist für jedermann nachprüfbar.
Dass Mezquita, der untilgbare uralte Name der Kathedrale (offiziell heißt sie "Kathedrale der Empfängnis Unserer Lieben Frau"), das spanische Wort für Moschee ist, ändert nichts daran, dass Versuche, die Erinnerung an ihren maurischen Ursprung zu löschen, verwerflich sind. Aber auch lächerlich: Wer in unseren Tagen das maurische Erbe Spaniens leugnet, verleugnet fast fünfhundert Jahre kulturprägende Landesgeschichte - und fällt zurück in den Fanatismus der Franco-Ära, die alles Maurische ignorierte oder als marginal abtat.
Ein globaler Trend
Der Hinweis der Petition, dass Córdobas Mezquita nicht allein der katholischen Kirche gehört (2006 ließ Demetrio Fernández sie im Grundbuch auf seinen Namen eintragen), sondern zum Kulturbesitz der Menschheit zählt, muss also bei den Beratungen der andalusischen Regionalregierung, die sich derzeit damit befasst, den Ausschlag geben.
Freilich: Im Eifer der Petitionäre schwingt auch blauäugiger Idealismus mit. Denn die vorbildliche "Eintracht verschiedenster Kulturen", von der sie schwärmen, weicht international zunehmend engstirniger Konfrontation: Als 2001 hirnlose Taliban in Bamiyan die beiden zum Weltkulturerbe zählenden gigantischen Buddhastatuen des 6. Jahrhunderts, die in ihrer Mischung griechisch-antiker und regionaler Kunst eineinhalb Jahrtausende islamischer Herrschaft unbeschadet überstanden hatten, als Machwerke "Ungläubiger" in die Luft sprengten, hielt man dies noch für eine Ausnahme.
Inzwischen haben wir erleben müssen, wie in Kabul antike Kunst von Taliban als heidnisch zerstört oder öfter noch geraubt und verhökert wurde, haben erfahren, dass amerikanische Panzer im Irak über die Ruinen Babylons walzten, haben zugesehen, wie bei den Aufständen in Kairo altägyptische Kostbarkeiten im Nationalmuseum zerschlagen wurden, und hören seither, dass fundamentalistische Islamisten die Sprengung altägyptischer Denkmäler fordern.
Die gemeinsame Geschichte bröselt wie eine Wanderdüne
Längst sind die Stimmen wohlmeinender deutscher Archäologen, die Ägyptens Forderungen nach Rückgabe der Nofretete-Büste unterstützten, verstummt. So wie die aktuelle Forderung im türkischen Parlament, die Hagia Sophia solle wieder eine Moschee werden, in Europa nicht viel mehr als betretenes Schweigen ausgelöst hat. Ein Schweigen, in dem auch die spanische Forderung verhallen könnte. Denn allmählich macht sich die Erkenntnis breit, dass das gemeinsame, von der Unesco pausenlos honorierte zivilisatorische Fundament, das alle Glaubensrichtungen und Ideologien überspannt, mittlerweile so bröselt wie eine Wanderdüne.
Dieter Bartetzko
© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018