Zünglein an der Waage?
Obwohl Präsident Mubarak die Armee eingesetzt hat, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, übt diese sich in Zurückhaltung gegenüber den Demonstranten. Welche Rolle spielt das mächtige Militär im gegenwärtigen politischen Machtpoker zwischen dem Regime und der aufbegehrenden Bevölkerung? Antworten von Loay Mudhoon
Der ehemalige Luftwaffenchef und Noch-Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Hosni Mubarak, regiert Ägypten seit 30 Jahren unter Notstandsgesetzen. Bis zum jetzigen Volksaufstand galt die Armee als die wichtigste Stütze seiner Macht.
Doch die unerwartete Wucht des Volkszorns hat den Präsidenten dazu genötigt, nicht nur die offenbar überforderte Regierung aufzulösen, sondern auch enge Vertraute in Schlüsselpositionen zu bringen: Am Samstag (29.1.) hat er den bisherigen Geheimdienstchef Omar Suleiman zum Vizepräsidenten und den Luftfahrtminister und früheren Luftwaffen-Kommandeur Ahmed Shafik zum neuen Regierungschef ernannt. Beide haben mehr oder weniger deutliche Verbindungen zu den ägyptische Streitkräften – am Nil hat offenbar die Stunde der Armee geschlagen.
Die Armee als "Hüterin der Nation"
Aber welche Rolle die Armee im ägyptischen Machtkampf genau spielt, darüber gibt es widersprüchliche Prognosen und Spekulationen – bis hin zur These, dass der größte Einfluss auf die Militärs derzeit aus Washington kommt. Oder wird die Armee doch dem verhassten und auch international immer stärker unter Druck geratenen Mubarak die Treue halten?
Talat Musallam, ägyptischer Ex-General und Militäranalyst in Kairo, glaubt dies nicht. Er sieht die Armee als "Hüterin der Nation": "Die Rolle der ägyptischen Armee besteht in erster Linie darin, die öffentliche Ordnung zu sichern und keinesfalls darin, bestimmte politische Kräfte zu unterstützen", so Musallam. "Die Ereignisse von gestern und heute machen auch deutlich: Die Streitkräfte befolgen die Befehle der Armeeführung nicht konsequent. Deshalb glaube ich nicht, dass sie den Präsidenten Mubarak unterstützen wird."
Längst stehen Panzer der Armee vor den wichtigsten öffentlichen Gebäuden in Kairo wie dem Fernsehgebäude am Nil, dem Nationalmuseum und dem Präsidentenpalast. Die Armeeführung versucht zu verhindern, dass das Land in totales Chaos und Anarchie versinkt, nachdem es den verhassten Sicherheitskräften der Polizei in den letzten Tagen nicht gelungen ist, der unübersichtlichen und zunehmend chaotischen Lage Herr zu werden. Am Sonntag rückte die ägyptische Armee auch in Teile der Touristenhochburg Scharm al-Scheich am Roten Meer ein.
Hohes Ansehen bei den Ägyptern
Im Gegensatz zu den oftmals als korrupt geltenden Polizeikräften genießt die Armee bei den meisten Ägyptern einen guten Ruf. Die meisten Demonstranten haben die einrückenden Militäreinheiten in Kairo bislang sogar begrüßt, teilweise kam es zu Verbrüderungsgesten zwischen jungen Protestierenden und Soldaten, Demonstranten konnten ungehindert Anti-Mubarak-Parolen auf Panzer schreiben.
Politische Beobachter sind sich in diesem historischen Augenblick in einem Punkt einig: Die Generäle haben in jedem Falle genügend Macht, um über das Schicksal Mubaraks zu bestimmen. Experten halten inzwischen auch eine vom Militär geführte Übergangsregierung für möglich.
Es bleibt jedoch schwer einzuschätzen, wie sie sich letztendlich entscheiden werden und wie viel Einfluss Mubarak innerhalb der Armee noch hat. Auch der ägyptischer Ex-General Talat Musallam ist diesbezüglich ratlos: "Es ist sehr schwer zu sagen, wie sich die Armeeführung verhalten wird, zumal sich Verteidigungsminister Hussein Tantawi bis jetzt nicht positioniert hat. Wir wissen derzeit auch nichts über das Verhältnis zwischen ihm und Präsident Mubarak."
Loay Mudhoon
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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