Den Täter ins Haus geholt

In vielen arabischen Ländern gibt es Gesetze, die Tätern Straffreiheit versprechen, wenn sie ihre Opfer nach einer Vergewaltigung heiraten. Nun hat auch Jordanien erste Schritte unternommen, die umstrittene Gesetzeslage zu ändern. Von Dunja Ramadan

Von Dunja Ramadan

Die 16-jährige Amina Filali aus Marokko hatte sich mit Rattengift umgebracht, wenige Monate nachdem sie ihren Vergewaltiger heiraten musste. Ihre Familie und ein Richter sollen das Mädchen zur Heirat gedrängt haben, um sie vom gesellschaftlichen Stigma einer vergewaltigten Frau zu "befreien".

Dieser Fall aus dem Jahr 2012 schockierte nicht nur Marokko, sondern sorgte weltweit für Aufsehen und machte auf die frauenfeindliche Praxis aufmerksam, die in vielen arabischen Ländern gesetzlich verankert war und teilweise noch ist: Es sind Gesetze, die den Tätern Straffreiheit versprechen, wenn sie ihre Opfer im Nachhinein heiraten. Zwei Jahre nach der Selbsttötung von Amina Filali wurde der besagte Artikel 475 im marokkanischen Strafgesetzbuch abgeschafft.

"Ein jordanischer Traum, der wahr geworden ist"

Nun hat auch Jordanien erste Schritte unternommen, die umstrittene Gesetzeslage zu ändern. Vor Kurzem sprach sich das Kabinett dafür aus, Artikel 308 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Die Entscheidung des Kabinetts muss allerdings noch von den Abgeordneten des Parlaments abgesegnet werden. Doch viele Aktivisten werten das bereits als Erfolg. "Das ist ein jordanischer Traum, der wahr geworden ist", sagte Aktivistin der Arab Women Organisation, Laila Naffa, der Jordan Times.

Campaign poster produced by Lebanese NGO Abaad against Article 522 (source: abaadmena.org)
"Ein weißes Kleid verdeckt nicht die Vergewaltigung": Mitte April stellten Aktivisten am Strand von Beirut Hochzeitskleider aus. Auf diese Weise wollten sie Abgeordneten der Nationalversammlung dazu ermutigen, für die Aufhebung des Artikels 522 des libanesischen Strafgesetzbuches zu stimmen. Auch dieser Paragraph sieht vor, dass der Vergewaltiger sein Opfer heiraten muss - gewissermaßen als "Entschädigung".

Jahrelang hatten Aktivistinnen mit dem Slogan "Vergewaltige und heirate dann umsonst" auf den Missstand aufmerksam gemacht und für die Abschaffung des Artikels gekämpft. Mindestens drei Jahre sollte die Ehe bestehen, damit der Vergewaltiger straffrei bleiben konnte. Im vergangenen Jahr wurde das Gesetz geändert: So konnte ein Vergewaltiger nur dann auf Straffreiheit hoffen, wenn sein Opfer zwischen 15 und 18 Jahre alt gewesen ist. Überzeugt hat das die Frauen in Jordanien nicht, sie kämpften weiter.

Die Befürworter des Gesetzes argumentierten jahrelang, dass man nur durch eine Heirat für die Sicherheit des Opfers garantieren könne. Immerhin könne man so Ehrenmorde verhindern und auch der Täter könne sein Verbrechen "wiedergutmachen", indem er auf diese Weise die Verantwortung für seine Tat übernehme. Auch in Italien gab es 1978 noch die sogenannte Wiedergutmachungshochzeit. Der Sexualtäter blieb straffrei, wenn er sein Opfer heiratete. Diese patriarchalischen Strukturen brechen nun, Land für Land, auf.

Die Nichtregierungsorganisation Equality Now sprach mit einigen Opfern. Eine 20-jährige Jordanierin wurde von ihrem 55-jährigen Chef vergewaltigt. Statt Kopfschmerztabletten habe er ihr Betäubungsmittel gegeben, erzählt sie. Erst als sie schwanger wurde, weihte sie ihre Familie ein. Ihr Chef bot ihr an, sie zu heiraten - unter Berufung auf Artikel 308.

"Obwohl ich ihm gegenüber so viel Hass im Herzen verspürte, drängte mich meine Familie zur Heirat." Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass ihr Kind als ehelich und mit dem Namen des Vaters registriert wird. Doch kurz darauf kam es zur Scheidung, sie konnte es nicht ertragen, mit ihrem Vergewaltiger zu leben. Er willigte ein, aber erkannte das Kind nicht als seines an.

Laut einer Umfrage des jordanischen Instituts für die Solidarität unter Frauen gehen 62 Prozent der Jordanierinnen davon aus, dass die Täter die Opfer nur deshalb heiraten, um ihrer Strafe zu entgehen. Nur neun Prozent der befragten Frauen glauben, dass die Männer ehrliche Reue für ihre Tat empfinden.

Ähnliche Gesetze auch im Irak und in Tunesien

Auch im Libanon kämpfen derzeit Aktivistinnen für die Abschaffung des Artikels 522. An der berühmten Strandpromenade von Beirut flatterten kürzlich 31 weiße Brautkleider aus Spitze, aufgehängt an Palmen. Geschaffen hat die Installation die libanesische Künstlerin Mireille Honein, die eine ähnliche Aktion bereits in Paris gemacht hat.

Diese Art von Gesetz nehme den Frauen "ihr Wesen, ihre Identität", sagte Honein der Nachrichtenagentur AFP. An der Aktion nahm auch der libanesische Minister für Frauenangelegenheiten, Jean Oghassabian, teil. Das Gesetz stamme aus der "Steinzeit", es sei an der Zeit, es abzuschaffen, sagte Oghassabian.

Der Protest flammt immer wieder auf: Vor einigen Monaten zogen Frauen in Brautkleidern durch die Straßen von Beirut. "Ein weißes Kleid verdeckt nicht die Vergewaltigung", riefen sie. Der Hashtag lautet seitdem #Undress522. Das Thema wurde am 15. Mai auch im libanesischen Parlament verhandelt. In Ländern wie dem Irak oder Tunesien gibt es laut der NGO Equality Now noch ähnliche Gesetze. Das Königreich Bahrain verhandelt derzeit über eine Reform.

In Ägypten wurde ein ähnliches Gesetz bereits 1999 abgeschafft. Seitdem droht Vergewaltigern dort sogar die Todesstrafe. Vor allem das Urteil gegen die "zehn Wölfe" aus dem Jahr 2009, wie es die ägyptische Presse nannte, sorgte in der arabischen Welt für Aufsehen: Eine 28-Jährige aus einer Stadt im Nildelta wurde aus ihrer Wohnung entführt und von zehn Männern auf einem abgelegenen Feld vergewaltigt. Die zehn Männer wurden daraufhin zum Tode verurteilt.

Dunja Ramadan

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