Eindimensionale Sicht
Hamed Abdel Samads Kindheit in seinem ägyptischen Dorf war traumatisch: Von frühster Kindheit an erlebte er Gewalt: Er selbst wurde zweimal von verrohten Jugendlichen vergewaltigt, seine Schwester qualvoll beschnitten und seine Mutter vom Vater, den er gleichermaßen verehrte und verabscheute, verprügelt. Gerade dieser Vater vereint für Abdel Samad jene "Mischung aus Güte, Gewalt, Verwirrung und Hoffnung" in sich, die "man überall in Ägypten sieht".
In seinem stark autobiografischen Roman: "Mein Abschied vom Himmel: Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland", der jetzt auch auf deutsch erschienen ist, sucht er Antworten auf die Frage, wie die seiner Meinung nach äußerlich so fromme ägyptische Gesellschaft in Wirklichkeit so lüstern und gewalttätig sein kann.
Ein "Gefühl der Ohnmacht gegenüber Europa"
In der Sinnbildlichkeit, mit der Abdel Samad seinen Vater beschreibt und die er für ganz Ägypten ausmacht, liegt allerdings auch das Problem des Buches: Ohne je zwischen Stadt und Land, Ausbildungsgrad und Einkommensklasse zu differenzieren, skizziert er eine gesamtägyptische, letztlich sogar eine gesamtmuslimische Befindlichkeit.
Und die scheint, auch was die Rezeption der Religion angeht, vor allem von Gewalt geprägt: "Generationen von schlecht ausgebildeten, perspektivlosen jungen [Muslimen sind] eine leichte Beute für Demagogen", schreibt er in seinem neuen Buch. Zudem, so seine Feststellung, verspüre die arabische Welt ein "Gefühl der Ohnmacht gegenüber Europa", betrachte sich aber zur gleichen Zeit als "Träger einer Hochkultur": Und wenn diese Mischung aus "Minderwertigkeit und Allmacht" in Europa auf "Demütigung und Isolation" stoße, so heißt es weiter in dem Roman, dann "wird sie zum Problem." Generationen von "schlecht ausgebildeten, perspektivlosen jungen Muslimen" als leichte Beute für Demagogen? - Abdel Samads Thesen sind verallgemeinernd und nicht unumstritten.
Gefährlich undifferenziert
Mit solchen Aussagen mag der Autor in Einzelfällen Recht haben, doch versäumt er es, zu hinterfragen, wie viele der Millionen Muslime in Europa tatsächlich als gewaltbereit einzustufen sind, und indem er dies unterlässt, bedient er islamophobe Klischees: Besonders fatal wird dies, wenn Abdel Samad nicht nur als Romanautor, sondern sich auch als Politikwissenschaftler so äußert, denn er lehrt seit Jahren am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München, und hat als solcher in deutschsprachigen Medien "die Muslime" bereits als "arrogant und aggressiv" anprangert – ohne zu präzisieren, wen er aufgrund von was anklagt. Auch hat er islamische Reformer schon auf eine Stufe mit dem Terroristen Osama Bin Laden gestellt, denn beide suchten, so glaubt er, nur nach Koranpassagen, die ihre Ideologien untermauerten und verliehen so dem Koran immer neue Autorität.
Eben das will Abdel Samad nicht, da laut seinem Reformverständnis der Koran letztlich "neutralisiert" werden müsse, "weil der Koran meiner Meinung nach nicht reformierbar ist, muss man sich innerlich von diesem Buch lösen". Eine Ansicht, die in einem religionswissenschaftlichen Kontext Berechtigung hat. Der aber fehlt hier. Vielmehr scheint es, als bestimme Abdel Samads Islam-Bild vor allem das, was ihm persönlich angetan wurde. Dies aber hilft weder den Debatten um Integration in Europa, noch denen um konstruktive Selbstkritik unter den Muslimen des Nahen Ostens. Doch wie reagierten diese auf das Werk, das im vergangenen Jahr zunächst auf Arabisch in Ägypten erschien?
Geteilte Reaktionen in Ost und West
Tatsächlich verurteilten zwei fundamentalistische Gruppierungen sein Buch als "unislamisch" - wobei die selbsternannten Rechtssprecher von islamweb.net dazu schrieben, es nur überflogen zu haben. Abdel Samad kritisierte dies daraufhin, denn beim vollständigen Lesen hätten sie erkennen müssen, dass er nicht intendiere, "jemanden oder die Religion anzugreifen".
Vielmehr handle es sich um seine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Geschichte und Kultur, so Abdel Samad. Damit vergrößert er letztlich die Konfusion: Will er kritisieren oder nicht? Und wenn ja, was? Will er es in Romanform tun oder doch mit übergreifendem akademischen Anspruch? Auf soviel Glatteis begab sich die seriöse linksliberale libanesische Tageszeitung Al-Akhbar gar nicht erst, sondern behandelte das Buch in der Kategorie, in der es angetreten war: als einen Roman, dessen literarisches und inhaltliches Niveau zu wünschen übrig lässt.
Das gelte für viele moderne arabische Romane – die Zeiten, in denen der Leser auf Neues hoffen dürfe, seien wohl vorbei, resümierte ein Journalist in einem Artikel vom Januar 2009. Für mehr Aufsehen sorgt das Buch offensichtlich im deutschen Sprachraum: Seit Monaten besprechen es nahezu allen wichtigen Medien. Das ist auch gut so, und sei es, um zu dem Schluss zu kommen, dass in Zeiten von Anti-Moschee-Kampagnen und Minarett-Verboten eine so populistische Islamkritik fehl am Platze ist.
Mona Sarkis
© Deutsche Welle 2009