Raus aus der Exotik-Ecke?
Indische Autoren sind international heute eher ein Begriff als vor zwanzig Jahren, als sich Indien im Jahr 1986 zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte: Von Vikram Seth, Arundhati Roy oder Salman Rushdie haben viele zumindest gehört oder sogar etwas gelesen.
Das ist allerdings nicht unbedingt "die" indische Literatur - denn eins haben alle diese international prominenten Autoren gemeinsam: Sie schreiben auf Englisch und nicht in einer der mehr als zwanzig regionalen Literatursprachen.
Die Münchner Indologin Ira Sharma hat sich in deutschen Buchläden umgesehen und untersucht, welche Titel den Kunden dort als Indien-Literatur angeboten werden: "Indische Literatur wird vor allen Dingen wahrgenommen als Literatur von Autoren, die in Englisch schreiben. Regional-Literaturen werden völlig ausgeblendet."
Hinzu komme die Literatur, die in Indien spiele. Die Autorinnen und Autoren seien selbst keine Inder, schrieben aber Romane, meist Trivial- oder Kitsch-Romane -, die vor indischem Hintergrund spielten.
'1001-Nacht-Schmelztiegel'
"Indischer Hintergrund" - das hat für viele Leser etwas aufregend Fremdes, und deswegen entscheiden sie sich für diese Bücher im Laden, sagt Ira Sharma:
"Indien wird vom Publikum in Deutschland leider immer noch als 'exotisch' wahrgenommen. Es wird in einen geographischen Schmelztiegel geworfen, in dem auch arabische Literatur ist. Ich nenne das '1001-Nacht-Schmelztiegel'."
Indien-Bücher werden dementsprechend von den Verlagen häufig gezielt "exotisch" vermarktet. So etwa die Mitternachtskinder von Salman Rushdie, hat Ira Sharma beobachtet. Auf der neu erschienenen Taschenbuchausgabe prangt jetzt das Taj Mahal:
"Das würde ungefähr entsprechen einer Ausgabe von Günter Grass mit Neuschwanstein auf dem Cover. Das hat mit dem Inhalt des Buches nichts zu tun, aber die Leser springen einfach darauf an - glaubt der Verlag zumindest!"
Kaum Übersetzungen aus Originalsprachen
Ein Hauptproblem mit der Publikation indischer Literatur aus den Regionalsprachen ist natürlich, dass die professionellen Übersetzer einfach fehlen. In der Regel sind es vorwiegend sprachkundige Akademiker, die Hindi- oder Bengali-Literatur ins Deutsche übersetzen.
Denen aber fehlt manchmal der richtige Blick für den deutschen Buchmarkt, glaubt Ira Sharma. Die Deutschen seien Romanleser, diese Gattung verkaufe sich hier am meisten. In Indien hingegen habe man viele Kurzgeschichten-Erzähler und sehr viele Lyriker.
"Akademiker neigen natürlich dann dazu, die hervorragenden Kurzgeschichten und Gedichte in Anthologien, in Sammlungen zusammenzufassen, um sie zu bewahren. Es gibt einfach keine Leser für solche Gattungen! Man muss einfach ab und zu mal seine Ideale über Bord werfen und pragmatischer denken - auch als Akademiker!"
Die Frankfurter Buchmesse wird trotz all dieser Probleme reichlich Gelegenheit bieten, die alten Indien-Klischees zu überprüfen und über Bord zu werfen:
Dutzende indische Autoren werden in Frankfurt aus ihren Werken lesen und an Diskussionsrunden teilnehmen. Und so mit Sicherheit einen Beitrag dazu leisten, Indien aus der Exotik-Ecke herauszuholen.
Thomas Bärthlein
© DEUTSCHE WELLE 2006