Stereotype vermeiden

Als die omanische Romanautorin Johka Alharti zu Beginn dieses Monats für ihren Roman "Celestial Bodies" den angesehenen internationalen Man-Booker-Preis erhielt, waren die Literaturexperten der Region verblüfft. Marcia Lynx Qualey hat sich mit ihr unterhalten.

Von Marcia Lynx Qualey

Celestial Bodies (Himmlische Körper) von Johka Alharthi ist der erste arabische Roman, der jemals den internationalen Man-Booker-Preis gewinnen konnte. Das Buch, das von Marilyn Booth hervorragend ins Englische übersetzt wurde, handelt vom Leben dreier omanischer Schwestern und reist dabei vor- und rückwärts durch die jüngste Geschichte.

Obwohl das Urteil der Preisrichter über Celestial Bodies angeblich einstimmig war, kam der Sieg des Romans doch sehr überraschend, da er auf Arabisch keinen großen, regionalen Preis gewinnen konnte. Und tatsächlich gelingt dies bis heute nur wenigen omanischen Werken. Von den über 200 Romanen, die es im Laufe der Jahre auf die Auswahlliste des Internationalen Preises für Arabische Belletristik geschafft haben, wurde nur einer von einem Omaner geschrieben: Earth Weeps, Saturn Laughs von Abdulaziz Al Farsi. Dies war auch der erste omanische Roman, der ins Englische übersetzt wurde. Celestial Bodies ist nun der zweite.

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Im Mittelpunkt von "Celestial Bodies" steht die omanische Geschichte der Sklaverei, die 1970 im Land offiziell abgeschafft wurde. Wie haben Sie für das Buch das Leben der versklavten Menschen erforscht?

Buchcver "Celestial Bodies"; Verlag: Sandstone Press
Trotz der Tatsache, dass Alharthi allgemein nur wenig Aufmerksamkeit bekam, arbeitet sie stetig weiter. Ihre erste Sammlung von Kurzgeschichten veröffentlichte sie 2001, und Dreams (Träume), ihren ersten Roman, im Jahr 2004. Ihren Doktortitel an der Universität von Edinburgh erhielt sie 2010 – und im selben Jahr veröffentlichte sie Sayyidat al-Qamr, den Roman, der dann zu Celestial Bodies wurde.

Jokha Alharthi: Der Roman beruht auf zwei Arten von Quellen: Die erste bestand einfach darin, Menschen zu treffen. Um Material für den Roman zu bekommen, habe ich keine formalen, geplanten Interviews geführt. Stattdessen habe ich mich mit alten Leuten unterhalten, die solche Dinge noch miterlebt haben – und dabei ein paar unglaubliche Geschichten gehört. Diese Menschen waren meine Hauptquelle. Und als ich dann über die Erzählungen der Menschen nachdachte, erkannte ich, dass ich nicht in der Lage war, sie mit der älteren Generation [ehemaliger Sklaven] in Verbindung zu bringen. Diese Menschen sind Omanis, sie leben bereits seit Generationen in Oman, aber wo liegt eigentlich ihr Ursprung?

An diesem Punkt habe ich mit meinen akademischen Forschungen begonnen. Ich fand heraus, wie die Menschen in den Oman kamen und was damals geschehen ist. Einige von ihnen kamen aus Afrika, einige aus Belutschistan oder anderen pakistanischen Regionen, oder aus dem Iran, also musste ich das recherchieren und versuchen, es in meinen Roman zu integrieren. Ich will damit aber nicht den Eindruck erwecken, Geschichte lehren zu wollen. Ich habe zwar Quellen verwendet, aber das Endergebnis ist rein fiktional.

Wie konnten Sie sicher sein, dass Sie im Roman nicht nur Stereotype bedienen? Beispielsweise habe ich von dem Vorurteil gehört, dass die omanischen Schwarzen immer singen. Und im Buch habe ich gelesen, dass die Stimme der versklavten Romanfigur Habib, wenn er singt, freudlos ist, also "mehr weinend als singend".

Alharthi: Ich habe mich bewusst bemüht, Stereotype zu vermeiden. Mein Hauptgrund, warum ich schreibe, ist aber nicht, gegen Stereotype zu kämpfen. Sich über Vorurteile bewusst zu sein, ist etwas anderes, als nur zu schreiben, um sie in Frage zu stellen. Ich bringe allen meinen Romanfiguren Empathie entgegen. Ich versuche, ihre Einstellung, ihre Denkweise und ihre Entscheidungen im Leben zu verstehen.

In "Celestial Bodies" gibt es eine enorme Vielzahl von Romanfiguren. Haben Sie einen großen Plan, der Ihnen hilft, den Überblick über die Charaktere und ihre jeweilige persönliche Geschichte zu behalten?

Alharthi: Nein, das habe ich alles im Kopf. Aber ich schreibe nicht vom ersten Kapitel bis zum letzten durch. Manchmal schreibe ich beispielsweise am zehnten Kapitel und komme dann zum dritten zurück.

Wie fließt Ihre akademische Arbeit über klassische arabische Poesie, beispielsweise über die Ghazal Udhri, in Ihren Roman ein? Ds Märchen "Madschnun Laila" ist in "Celestial Bodies" sehr präsent.

Alharthi: Die Sache mit der klassischen arabischen Literatur ist die, dass ich mit ihr aufgewachsen bin. Bereits lang vor meiner Dissertation habe ich sie gelesen. Als ich 13 oder 14 Jahre alt war, habe ich "Madschnun Laila" auswendig gelernt. Ich war ein großer Fan. Also ist meine Liebe für die Ghazal Udhri schon sehr alt. Vielleicht beeinflusst sie, wie ich schreibe, aber ob es da eine direkte Verbindung gibt, weiß ich nicht.

In einem Interview mit "The National" sagten Sie: "Ich bin glücklich, wenn die Menschen "Celestial Bodies" lesen, aber ich hoffe, sie wollen auch andere arabische Literatur und andere Autoren aus den Golfstaaten lesen." Welche anderen Autoren sollen wir lesen?

Alharthi: Ich hoffe, die Menschen verzeihen mir, dass ich vergessen habe, sie zu erwähnen! Was omanische Literatur betrifft, habe ich kürzlich Zahran al-Qasimis Roman Ju'a al-'Asl (Hunger auf Honig) aus dem Jahr 2017 gelesen. Diesen Roman habe ich wirklich sehr genossen. Er spielt in einer einmaligen Umgebung in den Bergen, und ich mag Zahrans poetische Sprache wirklich sehr gern. Außerdem liebe ich die Werke von Sulaiman al Maamari, Bushra Khalfan, Hoda Hamed und Azhar Ahmed, um nur einige zu erwähnen.

Sie schreiben auch Kinderbücher. Oder zumindest haben Sie das getan…

Alharthi: Ja, aber jetzt nicht mehr, weil ich für meine letzte Geschichte keinen Verlag gefunden habe. Also habe ich aufgehört.

Was hat Sie dazu veranlasst, für Kinder zu schreiben?

Alharthi: Meine eigenen Kinder.

Welche Art von Geschichten haben Sie geschrieben?

Alharthi: Ich wollte etwas Unterhaltsames schreiben, etwas völlig anderes als das, was sie in der Schule gelesen haben. Diese Bücher in der Schule sind so langweilig! Mein Sohn ist zehn Jahre alt, und über das, was sie ihm in der Schule beibringen, kann er nur lachen. Ich wollte etwas anderes schreiben, Szenen mit viel Fantasie, vielleicht etwas Märchenhaftes, weil ich Märchen liebe, und auch mit einer Spur unseres arabischen Kulturerbes. Nicht zu viel davon, aber etwas. Dies ist also mein Traum für die Kinder.

Woran arbeiten Sie im Augenblick?

Alharthi: Ich arbeite an einem neuen Roman, aber sehr langsam.

Das Interview führte Marcia Lynx Qualey.

© Qantara.de 2019

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff