Wo sind die Frauen?
Es ist eine Frage, die sich wohl nicht beantworten lässt: Wie viele Frauen "sollten" auf den Longlists für den "Internationalen Preis für den arabischen Roman", auch "Arab Booker-Prize" genannt, stehen? Für gewöhnlich wird die Frage mit Schulterzucken beantwortet, mit Verweisen auf Prozentangaben oder mit dem Hinweis darauf, dass sich eine solche Frage von selbst verbietet. Denn schließlich gehe es bei einem Literaturpreis um Bücher, nicht um Autoren.
Der "Internationale Preis für den arabischen Roman" (IPAF) ist mittlerweile in seinem achten Jahr und hat sich als der renommierteste gesamtarabische Literaturpreis durchgesetzt. Der "Arab Booker-Prize" ist wohl auch der einzige, über den am meisten diskutiert wird. Im vergangenen Januar wurde bereits die Tatsache gefeiert, dass sich fünf Frauen auf der 16 Namen umfassenden Longlist für den Preis befanden – die bislang höchste Zahl von Frauen überhaupt. Dabei ist das noch immer weniger als ein Drittel!
In den ersten beiden Jahren (2008 und 2009) fanden sich auf der Longlist so gut wie gar keine Bücher von Frauen. Angesichts all der anderen Kontroversen um den begehrten, von Abu Dhabi gesponserten Preis fiel dieser Umstand jedoch kaum jemandem auf.
Im darauffolgenden Jahr kam es zu neuerlichen Konflikten: Die Namen der Juroren, die eigentlich erst bekanntgegeben werden sollten, wenn auch die Shortlist veröffentlicht wird, sickerten bereits im Vorfeld durch. Ebenfalls wurde vor der offiziellen Bekanntgabe publik, dass der Roman "It's called Love" von Alawiya Sobh den Preis bekommen würde.
Doch letztlich kam Sobhs Roman nicht auf die Shortlist. Bei der Bekanntgabe erklärte schließlich eine der weiblichen Juroren ihren Rücktritt aus der Jury. Sie begründete ihren Schritt damit, dass ihre Stimme während des Abstimmungsprozesses nicht berücksichtigt worden sei. Letztlich fand sich nur eine Frau unter den Namen auf der Shortlist: die ägyptische Schriftstellerin Mansura Eseddin sowie – der bislang wohl zweifelhafteste Gewinner in der Geschichte des Preises – Abdo Khal mit seinem Roman "Throwing Sparks".
Frauen im Schatten der Literatur
Im gleichen Jahr fiel den Beobachtern das Fehlen weiblicher Autoren erstmals wirklich auf. "Wo sind denn die Frauen?", lautete daraufhin die Frage. In einem Interview aus dem Jahr 2010 bemerkte die Literaturkritikerin und Wissenschaftlerin Samia Mehrez, sie stimme dem Argument zu, dass zu wenige Frauen auf den Auswahllisten für den IPAF stünden. "Ich denke, dass man schon erwarten darf, dort mehr weibliche Namen zu finden, denn schließlich entspricht das auch ihren literarischen Leistungen. Von daher scheint es doch mehr als gerechtfertigt, dass dort mehr als nur eine einzige Frau vertreten ist."
Im nachfolgenden Jahr befanden sich auf der Longlist dann gleich viele Frauen wie Männer. Dies veranlasste den Präsidenten der Jury dazu, seine außerordentliche Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass es in jenem Jahr doch so viele Frauen auf die Longlist geschafft hätten. Das sorgte wiederum für neue Spekulationen: Dieses Mal wurde darüber sinniert, ob es die Frauen womöglich gar nicht wegen des literarischen Werts ihrer Bücher auf die Longlist geschafft hätten, sondern es sich vielmehr um einen Fall von "political correctness" handele, denn schließlich werde der Preis von London aus verwaltet.
Damals meldeten sich auch weibliche Autoren zu Wort. So meinte die bereits mit der Nagib Mahfouz-Medaille ausgezeichnete Romanautorin Amina Zaydan, es sei ein guter erster Schritt gewesen, mehr Frauen auf der Longlist für den IPAF zu sehen. Dennoch rechne sie aber nicht damit, dass eine Frau jemals diesen Preis gewinnt. Auch wenn weibliche Literatur in arabischer Sprache von hoher Qualität sei, werde sie nicht so ernst genommen wie die von Männern.
Raja Alems Durchbruch
Entgegen der Vorhersagen Zaydans gewann im Jahr 2011 eine Frau zum ersten und bislang einzigen Mal den Preis, nämlich Raja Alem, die sich die Auszeichnung für ihr Werk "The Dove's Necklace" mit Mohammed Achaari ("The Arch and the Butterfly") teilte.
Im Folgejahr schaffte es jedoch erneut nur eine Autorin auf die Longlist: eine kaum bekannte Schriftstellerin aus Dänemark. Auf der Shortlist fand sich schließlich kein Roman einer Frau. Auch in den darauffolgenden Jahren 2013 und 2014 gab es wieder jeweils nur zwei Autorinnen auf der Longlist, von denen es jeweils nur eine auf die Shortlist schaffen sollte. 2013 fiel besonders auf, dass die bedeutende libanesische Autorin Hoda Barakat für ihren von der Kritik gefeierten Roman "The Kingdom of This Earth" es noch nicht einmal auf die Shortlist des IPAF schaffte.
Doch abgesehen von Hoda Barakat: Könnte es sein, dass die von Frauen geschriebenen Bücher einfach nicht gut genug sind? Es gibt keinen Mangel an Stimmen von Autoren, darunter männliche wie weibliche, die behaupten, dass den männlichen Schriftstellern eigentlich ein noch größerer Anteil an den zu vergebenen Kandidatenplätzen zustünde, und auch, dass den Frauen unter den arabischen Autoren vom Westen ein Grad an Aufmerksamkeit geschenkt werde, der ihnen eigentlich gar nicht zukomme.
Weg vom Label des Feminismus
Viele Autoren, darunter die schon einmal auf die Shortlist gelangte Jana Elhassan, wollen den Fokus auch nicht auf ihre Identität, sondern ihre Bücher gerichtet wissen. Elhassan regte jüngst an, dass "wir Frauen uns beim Schreiben vom Label des Feminismus befreien sollten. Darin besteht die größte Herausforderung. Mich interessiert es nicht, 'wie viele Frauen auf der Liste' stehen oder 'welche Länder am meisten vertreten' sind", so Elhassan.
Doch wie verhält es sich mit den Auswahlkriterien? Bis auf ein einziges Mal war die Jury stets mehrheitlich von Männern besetzt. Und das Amt des Jury-Vorsitzenden hatte bislang noch nie eine Frau inne. Meistens folgten die Juroren laut eigenen Aussagen lediglich "rein literarischen Kriterien" oder gaben ihren "literarischen Geschmack" als einzigen Maßstab an.
2014 wurde IPAF-Juror Abdullah Ibrahim in einem jordanischen Online-Magazin zur Geschlechterungleichheit beim "Arab Booker-Prize" befragt, worauf dieser antwortete, dass diese Frage "unangebracht" sei, da "von den 160 eingereichten Romanen eine große Anzahl von Frauen verfasst worden sei. Allerdings habe dann der anschließende Auswahlprozess ergeben, dass Werke von geringerer literarischer Qualität durchgefallen seien. Dennoch sei ja eine Autorin auf der Shortlist vertreten gewesen [...]"
Hierauf antwortete die jordanische Dichterin Siwar Masannat in einem ihrer Essays:
"Wenn Gesellschaften ihre Bürger aufgrund ihrer Identität marginalisieren und diskriminieren, und ein beschränktes (also ein männliches, maskulines und heteronormatives) Identitätsmodell als 'Norm' oder 'Normalfall' ansehen, auf dessen Basis alle 'anderen' Identitäten bewertet, beurteilt und gemessen werden, wer kann dann sagen, ob Werke von Frauen nicht 'künstlerische Elemente' aufweisen, die ganz bewusst von den männlichen Kriterien abweichen, und zwar einfach aufgrund ihrer Lebenserfahrung und der Stellung ihrer Identität innerhalb ihrer Gesellschaft?"
In jedem Fall scheint es, dass die Auswahlkriterien der Jury jedes Jahr sehr stark variieren und von den jeweiligen Juroren abhängen.
Welche Frauen könnten denn noch auf den Auswahllisten für den IPAF stehen? Das Fehlen der Bücher von Radwa Ashour ist sehr augenfällig, doch hat die Genannte bereits öffentlich gesagt, dass sie eine Nominierung ihrer Werke nicht zulassen würde. Andere mögliche Kandidatinnen wären Dunia Ghali ("Orbits of Loneliness"), Sawsan Jamil Hassan ("Nabbashun"), Basma Abdel-Aziz ("The Queue"), Mansura Eseddin ("Emerald Mountain"), Alexandra Chrietieh ("Always Coca-Cola") sowie Iman Humaydan ("Other Lives"), um an dieser Stelle nur einige Autorinnen zu nennen.
Wie viele Frauen werden es in diesem Jahr auf die Shortlist schaffen? Bekanntgegeben wird sie, ebenso wie die Namen der diesjährigen Juroren, am Freitag, dem 13. Februar in Casablanca.
Marcia Lynx Qualey
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
© Qantara.de 2015