Schön konservativ
Glänzende weiße Seide umhüllt den Oberkörper, enge Röhren-Jeans die schmalen Beine, darüber ein taillierter Ledermantel mit Pelzbesatz, kniehohe Lederstiefel mit himmelhohen Absätzen. Es ist Samstagabend in Istanbul, vor dem Eingang zur angesagten Black Lounge, einer Restaurant-Bar unweit des Bosporus. Die Frau in dem auffälligen Look heißt Gülbahan – und sie trägt Kopftuch. "Vorschreiben lasse ich mir nichts – und der Hijab, das Kopftuch, macht meinen Style noch eleganter."
Entweder religiös gekleidet mit Kopftuch – oder westlich mit offenem Haar. Bislang glaubte man, muslimische Frauen müssten sich zwischen diesen beiden Varianten entscheiden. In der Türkei von heute aber vermischen sich Tradition und Moderne nun auch modisch. "Ala", was soviel heißt wie "Erhabenheit", heißt die erfolgreiche Mode-Zeitschrift, die diesen Stil nun seit fast zwei Jahren propagiert.
Und "Ala" spaltet die öffentliche Meinung. Vor allem islamistische Kreise sind empört: Der berüchtigte islamische Prediger Fethullah Gülen wirft ihr in der Zeitung "Zaman" vor, die tieferen Werte des Islam für die schnöde Oberflächlichkeit des schönen Scheins zu verraten. Linksliberale Kritiker der Zeitung "Radikal" dagegen mokieren sich eher darüber, dass in der Zeitschrift "Ala" immer noch zu wenig Bein zu sehen sei.
Kulturschock mal andersrum
Auch die meisten Europäer dürften erstaunt sein, wenn sie die türkische Zeitschrift "Ala" durchblättern würden. Die Models in den Foto-Strecken präsentieren nicht nur die neuesten Kopftuch-Varianten, sondern auch eng anliegende Bleistift-Röcke und punkige Lederjacken. Umso erstaunlicher ist, dass das Hochglanz-Magazin seine Leserinnen vor allem in den Kreisen des neuen türkischen Mittelstands findet, welcher politisch der islamisch orientierten AKP nahe steht.
Im Gegensatz zu anderen Magazinen aus dem islamischen Spektrum findet man in der "Ala" nur selten religiöse Erbauungs-Texte, eher präsentiert man Karriere-Stories muslimischer Frauen oder durchaus differenzierte Porträts konservativer Leitfiguren.
Gerade in der Mode, die "Ala" präsentiert, scheint sich aber die gesellschaftliche Entwicklung der Türkei in den letzten zehn Jahren widerzuspiegeln. Zwar steht für die "New York Times" die Zeitschrift für einen Kulturkampf zwischen religiösen und weltlichen Türken, vielleicht ist die "Ala" in Wirklichkeit aber eher Ausdruck einer Annäherung zwischen den verschiedenen Welten der heutigen Türkei.
Vor ein paar Jahren noch waren die westlich gelegenen Stadtteile Istanbuls wie Kadiköy die stilvolle Trutzburg der westlich orientierten Eliten. Durch den Wirtschafts-Boom der Türkei hat sich aber auch das ökonomische Gefüge der Gesellschaft verändert. Wohlstand ist nicht mehr nur der Oberschicht vorbehalten, kleine und große Luxus-Güter des Alltags sind mittlerweile auch für Teile der Mittelschicht erschwinglich. Status-Symbole drücken Wohlstand und Erfolg aus – auch für religiös orientierte Türken.
Osmanischer Prunk en vogue
In der Istanbuler Innenstadt, aber auch in Ankara oder Kayseri, gibt es teure Möbelgeschäfte, die islamisches Wohnungsdesign offerieren: goldverzierte Koransuren, in italienischen Marmor gemeißelt.
Osmanischer Prunk ist wieder en vogue und mischt sich mit westlichem Glamour – dieser Trend geht einher mit fragwürdigen historischen Verweisen der Erdogan-Regierung auf die vor-republikanische Zeit. Die Zeitschrift "Ala" stieß genau in diese Marktlücke sozialer Neuorientierung. Zuvor war der türkische Illustriertenmarkt beherrscht von freizügigen Showbiz-Magazinen mit Schwerpunkt auf Film- und Soap-Schauspielerinnen sowie von Ablegern westlicher Titel wie "Vogue".
Das Konzept von "Ala" aber bestand von vornherein darin, der reinen Adaption westlicher role-models das Bild einer türkischen Frau entgegenzusetzen, die sowohl traditionell ist als auch weltgewandt: "Hijab & Heels", wie es "Ala"-Herausgeber Mehmet Volkan Atay kurz und prägnant auf den Punkt bringt.
Die junge türkisch-deutsche Modedesignerin Ayse Kilic, die regelmäßig ausdrucksstarke und avantgardistische Illustrationen für "Ala" zeichnet, meint, dass der religiöse Türban, der das Haar ganz abdeckt, überhaupt kein Hindernis für Modebewusstsein, Stil und Eleganz darstelle. Vielmehr sei es so, dass das religiöse Element zusätzliche Inspiration für modische Kombinationen erzeuge: "Ich hoffe, dieser Form der modernen, islamischen Mode mit Kopftuch steht eine große Zukunft bevor, Insch'Allah!"
Zugehörig zur Tradition und zur Moderne
Es scheint tatsächlich so, als gäbe es nicht nur in der Türkei, sondern auch in den europäischen Migranten-Communities einen sehr großen Markt für Zeitschriften wie "Ala". Dr. Reyhan Sahin – auch bekannt als Rapperin "Lady Bitch Ray" – hat gerade ihre Doktorarbeit zum Thema Hijab-Mode verfasst. Sie meint, dass der Stil-Mix aus sehr weiblicher Kleidung und dem Kopftuch ein Phänomen sei, das auch bei jungen Türkinnen in Deutschland stetig im Wachsen begriffen sei. Die Frauen wollten damit ihre doppelte Zugehörigkeit ausdrücken: zur Tradition und zur Moderne.
So überrascht es nicht, dass inzwischen nicht nur in türkischen Zeitschriften die First-Ladys Emine Erdogan und Hayrünissa Gül zu neuen Stil-Ikonen prachtvoller Eleganz erklärt werden: Sie kombinieren bei ihren öffentlichen Auftritten sehr figurbetonte und hochgeschlossene Business-Kostüme mit seidenen Kopftüchern, Plateau-Heels der Trend-Marke Louboutin und klassischen Accessoire-Highlights wie Handschuhen. Ein Look also, der an die westlichen Film-Diven der 40er Jahre erinnert, angereichert mit orientalischem Touch.
Die islamische Mode hat eine ganz neue Ästhetik hervorgebracht, die neuen Wohlstandsschichten im Mittleren Osten rezitieren in ihrem klassischen Bezug die alte europäische Bürgerlichkeit. Neue Labels entstehen auch in Europa – wie das Genfer Atelier New Hijab.
Firmengründerin Maryam Saeedynejad möchte mit ihren Kollektionen die "moderne islamische Frau" ansprechen: "Wir möchten Klassik mit Klasse verbinden, so wie man es früher aus Frankreich oder Italien kannte. Es kommt darauf an, orientalische Traditionen modern zu formen."
Marcel Malachowski
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de