Kathrin Ehrenspeck, 05. Februar 2010
zu Der neue kalte Krieg von Stefan Weidner
Scheindebatte
Zur Aufklärung gehört auch eine aufgeklärte Moral. Und eine aufgeklärte Moral bedeutet Eigenverantwortlichkeit, bedeutet die Frage, „Wer bin ich und was tue ich gerade?“ Die Debatte um „den Islam“ hat keinen erkenntnisfördernden Zweck, sie dient der Vermeidung der Frage nach dem, was wir selbst zu verantworten haben. Lieber als unsere eigenen Fehler suchen wir die Fehler der Anderen, lieber als uns die Folgen unseres eigenen Handelns (als Kolonialherren zum Beispiel) wercfen wir den Anderen ihr Handeln vor. Und plötzlich stürzen sich Leute, die keine Ahnung von religiösen Fragen haben und auch keinerlei Lust, sich damit im Ernst zu befassen, auf „den Islam“. Auch Ex-Muslime, die zum Kreuzzug gegen den kollektiven Erzfeind rufen, vermeiden die Selbstkritik. Sicher, sie sind Opfer erlebter Gewalt, den Eindruck habe ich auch, aber sie sind auch Akteure ihrer eigenen Gewalt, einer rücksichtslosen und undifferenzierten Agitation, die, wenn sie sich gegen eine Religion richtet, die sie gar nicht kennen und auch nicht im Ernst reflektieren wollen(was fehlerhafte Koranzitate und ein vollkommen willkürlicher Umgang mit den Quellen beweisen), eben auch ihre Kompetenzen weit überschreitet. Man darf nicht ganz vergessen, dass die Erfahrung von Unrecht nicht jeden automatisch zum Kriegstreiber stempelt, es gibt auch solche, denen das ein Anlass ist, zu einem tieferen und genaueren Verständnis der Dinge vordringen zu wollen. Der Weg ist schmerzlicher, das Resultat weniger polarisierend und damit weniger medienwirksam und - das ist die Schande für eine sogenannte „aufgeklärte Gesellschaft“ – aus diesem Grund auch weniger bekannt.