Zwischen Unterdrückung und Selbstermächtigung

Auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung stellten muslimische Frauenorganisationen aus Europa, Nahost und Afrika ihre Arbeit vor und diskutierten über die Rolle des Islam in ihren Gesellschaften. Von Abdul-Ahmad Rashid

Auf einer zweitägigen Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Köln stellten muslimische Frauenorganisationen aus Europa, Nahost und Afrika ihre Arbeit vor und diskutierten über die Rolle des Islam in ihren Gesellschaften. Abdul-Ahmad Rashid informiert.

Verschleierte afghanische Frau; Foto: AP
Trotz beachtlicher Fortschritte haben es Frauen in der islamischen Welt noch immer ungleich schwerer als ihre Geschlechtsgenossinen im Westen.

​​Die Idee für die Tagung "Frauen im Islam – zwischen Unterdrückung und Selbstbestärkung", die Ende vergangener Woche in Köln stattfand, stammte von der Kölner SPD-Politikerin Lale Akgün.

Und für viele muslimische Frauen ist die Tochter türkischer Eltern ein Vorbild: Als promovierte Psychologin und als Abgeordnete des deutschen Bundestages ist sie beruflich erfolgreich und nimmt gleichberechtigt ihre Rechte wahr.

Doch die 53-Jährige weiß auch, dass diese Situation für viele ihrer muslimischen Geschlechtsgenossinnen nicht selbstverständlich ist. Für die Politikerin liegt daher in der Erziehung eine Schlüsselfrage für die Gleichberechtigung – nämlich, dass Töchter sowohl in der Familie als auch im öffentlichen Leben genau die gleichen Rechte besitzen und genauso behandelt werden wie Söhne.

Doch die Realität sieht in vielen islamisch geprägten Ländern anders aus: Hier sind die natürlichen Rechte der Frau oft kein Thema, sondern werden meist verletzt. Daran sei, so Akgün, aber nicht die Religion Islam an sich schuld, die oft dazu benutzt werde, Frauen zu unterdrücken.

Neuinterpretation des Korans?

Weitere Gründe sieht die Türkin mit dem deutschen Pass auch in der schlechten ökonomischen Lage vieler Länder sowie in dem unterentwickelten Grad ihrer Demokratisierung. Deswegen waren auf der Veranstaltung auch solche Gruppen eingeladen, die ein anderes Gesicht des Islam sowie einen neuen Ansatz für seine Auslegung zeigen wollten.

Um die Rechte von muslimischen Frauen zu stärken, sei vor allem eine Neuinterpretation der heiligen Texte des Islam wichtig, so Akgün: "Es geht darum, das Ganze mit einem Blick der Frau zu lesen und einfach zu sehen, wie ist eigentlich die weibliche Rolle in der Religion, und wo ist eigentlich das Männliche etwas zu weit gekommen oder das Weibliche zu kurz", meint die SPD-Politikerin. "So gesehen kann man durchaus sagen: Es wird Zeit, dass Frauen sich die Frage stellen, welche Rolle sie in der Religion eigentlich spielen."

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Den Koran mit den Augen einer Frau lesen – das praktiziert beispielsweise die in Holland lebende ägyptische Journalistin Nahed Selim. Sie möchte den Koran von einer rein patriarchalischen Lesart befreien. Denn die Oberhoheit für die Auslegung der heiligen Texte liegt seit Jahrhunderten in den Händen von Männern.

Als Beispiel für ihre Methode führt die Ägypterin jene Verse im Koran an, die die Sklaverei sanktionieren: Da diese in den islamischen Ländern mittlerweile abgeschafft sei, käme auch niemand mehr auf die Idee, sie aufgrund der koranischen Aussagen wieder einzuführen. Das Gleiche müsse auch für andere Verse gelten, meint Nahed Selim.

Als emanzipierte Frau plädiert sie dafür, diejenigen Verse, die eine frauenfeindliche Botschaft beinhalten, nicht mehr zu beachten. Dies gelte für die Polygamie, die körperliche und seelische Züchtigung von Frauen und die Ungleichheit von Männern und Frauen vor Gericht, so Selim.

Historische Einordnung des Koran

Dies ist eine problematische Forderung, denn für Muslime ist der Koran das wörtlich offenbarte Wort Gottes und somit unantastbar. Auch Nehide Boskurt geht dies zu weit. Die Professorin an der Theologischen Universität in Ankara plädiert daher für einen anderen Weg. Sie favorisiert eine historische Einordnung der Verse:

"Man kann die Verse nicht missachten. Ich bin Historikerin, und der Text liegt vor mir. Wie kann ich ihn somit dann nicht beachten?", fragt sich die Wissenschaftlerin und fügt hinzu: "Ich denke, es ist eine Frage der Interpretation. Daher bin ich dafür, den historischen Kontext mehr herauszuarbeiten."

Boskurt bringt in diesem Zusammenhang das Beispiel, dass die Zeugenaussage von zwei Frauen der eines Mannes entspräche: "In diesem Zusammenhang sagt der Koran, wenn es um Geldgeschäfte geht, sollen zwei Frauen aussagen, damit die eine die andere erinnern kann. Damals waren die Frauen unerfahren, doch heute gibt es viele Frauen in Wirtschaftsunternehmen. Wie kann man da heute noch behaupten, die Aussagen zweier Frauen entsprächen der eines Mannes?"

Gleich, ob die Verse des Korans weggelassen oder historisch eingebettet werden sollten – eines wurde auf der Kölner Tagung deutlich: Es gibt viele Ansätze, um Frauen in der islamischen Welt im Kampf um ihre Rechte und gesellschaftliche Gleichstellung zu bestärken.

Anwesend waren nicht nur religiöse Organisationen, sondern auch säkulare Gruppen, wie zum Beispiel die "Vereinigung säkularer Muslime Großbritanniens" oder die Schweizer Initiative "Forum für fortschrittlichen Islam".

Diese mehrheitlich aus Frauen bestehende Institution verfolgt einen recht strikten Ansatz, wie ihre Vorsitzende, die Tunesierin Saida Keller-Messahli, erklärt: "Die eine Säule ist die Demokratie, die zweite Säule ist das internationale Recht und die dritte Säule ist die universelle Deklaration der Menschenrechte. In diesem Dreieck sehen wir einen riesigen Nachholbedarf in Bezug auf das Verständnis vom Islam oder in Bezug auf die Auslegung des heiligen Koran."

Emanzipation im modernen, gesellschaftlichen Kontext

Die Mitglieder akzeptierten daher nur solche religiösen Normen, die in dieses Dreiecks-Schema hineinpassten und ihnen nicht widersprächen, so Keller-Messahli. Dabei produzierten sie auch Positionen, die nicht immer konform seien:

"Wenn es heißt, kleine Mädchen werden aus religiösen Gründen vom Schwimmunterricht freigestellt, dann beziehen wir auch öffentlich Stellung und zeigen, wir sind dagegen, weil dies dem Menschenrecht widerspricht, dass jedes Kind besitzt – nämlich, sich körperlich zu entfalten und gleichberechtigt zu sein", so Keller-Messahli.

Andere muslimische Frauenorganisationen setzen dagegen auf Aufklärung und Aktionen in ihren Gesellschaften. So sucht "Rahima" in Indonesien das Gespräch mit Führern der islamischen Basisgemeinschaften, um sie für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu sensibilisieren. Das "Women and Memory-Forum" aus Ägypten hat eine Website eingerichtet, in der Frauen Fragen zum Tabuthema "Sexualität" stellen können. Und die Organisation "Baobab" aus Nigeria setzt sich auf kommunaler Ebene für die Interessen von Frauen ein.

Doch immer noch haben diese Frauen es ungleich schwerer als ihre westlichen Geschlechtsgenossinnen. Daher ist der Weg in Richtung Emanzipation in der islamischen Welt noch lang.

Doch die Journalistin Nahed Selim ist optimistisch, wenn sie sagt: "Wenn man die Frauen mehr unterstützt, dann stärkt man damit auch den Islam, denn schließlich stellen Frauen etwa die Hälfte aller Muslime. Wenn sie zufrieden sind und ihnen Gerechtigkeit widerfährt, dann wird die ganze islamische Gemeinschaft und auch die Religion gerecht behandelt."

Abdul-Ahmad Rashid

© DEUTSCHE WELLE 2007

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