Abseits des bereits Gesehenen
Die alle zwei Jahre stattfindende Biennale d'Arte in Venedig gehört neben der Documenta in Kassel und der Biennale in Sao Paolo zu den größten internationalen Festivals zeitgenössischer Kunst. Im Gegensatz zu anderen Festivals lebt Venedig von Länderpavillons: 89 Nationen sind dieses Jahr vertreten, so viele wie nie zuvor. Darunter sind auch einige Länder der arabischen Welt und des Nahen Ostens wie Ägypten, Armenien, Irak, Iran, Israel, Syrien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Nur ein kleiner Teil dieser Pavillons befindet sich in den Giardini, dem zentralen Ausstellungsgelände. Für alle anderen muss der Besucher Zeit und Entdeckerwillen mitbringen und wird mit über die Stadt verteilten Kleinoden belohnt.
Der Genozid im Blick der Diaspora
Besonders viel Aufmerksamkeit bekam in diesem Jahr die Beteiligung Armeniens. Dies liegt unter anderem daran, dass der Pavillon den Goldenen Löwen für die beste nationale Beteiligung bekam.
Darüber hinaus hat die Ausstellung mit ihrem Bezug auf die Erinnerung an den Genozid an den Armeniern in der Türkei vor 100 Jahren einen wichtigen tagesaktuellen politischen Fokus. Unter dem Titel "Armentiy" waren 16 Künstler der armenischen Diaspora eingeladen ihre Arbeiten zu präsentieren. Mit der Klosterinsel San Servolo hat sich die Kuratorin des armenischen Pavillons dabei für einen besonders abgelegenen und zugleich symbolträchtigen Ort entschieden. Das dort gelegene armenische Kloster ist ein zentraler Referenzpunkt für die armenische Kultur in der Diaspora.
Die Wurzeln allen Übels
Viele der Arbeiten bilden dabei eine großartige Symbiose zu den Räumlichkeiten des Klosters und zeigen vorbildlich, welche Wirkung Kunst entfalten kann, wenn die Präsentation in vorhandene Räume integriert wird. So fügen sich im Kreuzgang die an botanische Abhandlungen erinnernden Tafeln von Rosana Palazyans Arbeit "Why Seeds" perfekt in den Klostergarten ein. Geschickt spielt sie mit Aussagen aus botanischen Abhandlungen über als Unkraut angesehene Pflanzen – z.B. "They are invaders and need to be exterminated" – auf die Frage an, wie Menschen mit Andersartigkeit umgehen.
Mit Found Foutage aus dem Archiv des Klosters und Ausschnitten aus Zeitungen und Magazinen bestückten dagegen Rene Gabbri und Ayreen Anastas Vitrinen eines Raumes im Obergeschoss des Klosters, die ansonsten vermutlich ethnographische Objekte beinhalten. Ein wunderbarer visueller Parcour ist dort entstanden, im dem über hinzugefügte Kommentare wie "This is a state of exception" Fragen nach dem Verhältnis von Macht und Gewalt gestellt werden.
Unsichtbare Schönheit
Direkt am Canale Grande befindet sich der Palast, in dem im ersten Stock die Ruya Foundation den irakischen Pavillon mit dem Titel "Invisible Beauty" eingerichtet hat. Der Hauptraum ist dem irakischen Fotografen Latif Al Ani gewidmet, der auch als Gründervater der irakischen Fotografie gilt. Seine Bilder sind ein spannendes zeithistorisches Dokument des Lebens im Irak in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und stehen im krassen Gegensatz zu den journalistischen Bildern von Krieg und Gewalt die heutzutage aus dem Zweistromland kommen.
Als zeitgenössischer Counterpart fungieren die inszenierten Fotografien von Akam Shex Hady, der vor dem IS geflohene Iraker porträtierte, um die er eine schwarze Stoffschlange legte, um ihre Verletzlichkeit zu unterstreichen.
Einen bewegenden künstlerischen Ausdruck für die politische Gewalt in seinem Land fand Haider Jabbar. Seine Aquarelle zeigen stumme Gesichter von Geköpften, die dem Betrachter verstört die unmenschliche Grausamkeit dieses Akts entgegenschleudern. Mit dem gezeichneten Tagebuch "Letters from Baghdad" verarbeitet Salam Atta Sabri hingegen die Erfahrungen seiner Rückkehr nach Bagdad nach 16 Jahren Exil.
Die zum ersten Mal öffentlich ausgestellten Bilder stellen ungemein poetische Reflexionen seines künstlerischen Alltags dar. Leider etwas zu stark auf den Promi-Bonus setzte ein von der Ruya Foundation ins Leben gerufene und ebenfalls in Venedig gezeigtes Projekt mit Zeichnungen irakischer Flüchtlinge. Kein Geringerer als der chinesische Dissident Ai Weiwei wurde auserkoren, eine Auswahl zu erstellen. Auch ohne dessen Zutun hätten die Zeichnungen ihre Wirkung wohl nicht verfehlt.
Venedig als politischer Schauplatz
Nicht vermeiden lässt sich, die Ausstellungen der Länderpavillons in Venedig politisch zu lesen. Bis zu einem gewissen Grad ist schon alleine die Präsenz von Bürgerkriegsländern wie Syrien ein politisches Statement. Darüber hinaus regen dies die Inhalte der gezeigten Arbeiten und die kuratorischen Konzepte im Hintergrund an, die fast durchgängig auf aktuelle politische Fragen und Konflikte in der Region rekurrieren.
Während dies bei den Pavillons von Armenien und dem Irak funktionierte, wirkt es bei anderen eher willkürlich. Vor allem Syrien lieferte dabei zusätzlich eine schwache künstlerische Leistung ab, über die auch der hochtrabende Ausstellungstitel "Origins of civilization" nicht hinwegtäuschen konnte. Richtiggehend peinlich war die offizielle Präsentation des ägyptischen Regimes, die aus einer 3D Abbildung aus Kunstrasen des Wortes "Peace" bestand und mit einer App begehbar war. Das war dann doch etwas zu platt.
Felix Koltermann
© Qantara.de 2015
Die Ausstellungen in Venedig laufen noch bis zum 22. November. Zum irakischen Pavillon ist ein interessanter und hervorragend gestalteter Katalog bei Mousse Publishing (ISBN: 9788867491261, 200 Seiten) erschienen.