Kreativität kontra Gewalt
Die niederländische Prinz-Claus-Stiftung für Kultur und Entwicklung unterstützt das Buch "Syria Speaks" seit Anfang an. Sie veranstaltete die Buchvorstellung in Den Haag am 25. März im Theater aan het Spui im Rahmen des Filmfestivals "Movies that Matter", das jährlich von Amnesty International ausgetragen wird. Am darauffolgenden Tag wurde das Buch in Amsterdam im American Book Center vorgestellt.
Mitherausgeberin von "Syria Speaks" ist die in London ansässige Herausgeberin und Schriftstellerin Malu Halasa. Sie war zudem Kuratorin der wegweisenden Amsterdamer Ausstellung "Culture in Defiance" im Jahr 2012. Viele Arbeiten aus dieser Ausstellung fanden Eingang in das 312 Seiten starke Buch, an dem insgesamt mehr als 50 syrische Künstler mitwirkten. In ihrem Vorwort zu "Syria Speaks" schreiben Halasa und ihre Mitherausgeberin, die syrische Forscherin und Schriftstellerin Zaher Omareen: "Kreativität ist – einfach gesagt – nicht nur ein Weg, um Gewalt zu überleben, sondern ein Mittel, ihr etwas entgegenzusetzen. Seit Beginn des syrischen Aufstands im Jahr 2011 hat sich alles im Land radikal geändert – ausgenommen dessen künstlerische Identität."
"Syria Speaks" auf Tour
"Syria Speaks" wurde vergangenen Sommer in London von Saqi Books veröffentlicht. Hauptsponsor war die Prinz-Claus-Stiftung; weitere finanzielle Unterstützung kam vom Dänischen Zentrum für Kultur und Entwicklung (CKU). Das Buch gewann den Förderpreis des englischen PEN im Rahmen dessen Programms "Writers in Translation". Auch dank dieser Fördermittel konnte eine Lesereihe in Großbritannien unternommen werden.
"Syria Speaks" wurde anschließend auf dem Internationalen Literaturfestival in Edinburgh vorgestellt und ging dann im letzten Dezember in den USA auf Tour. In der Zwischenzeit veröffentlichte Saqi eine arabische Ausgabe, denn die Mehrzahl der Texte der englischen Ausgabe ist ohnehin eine Übersetzung aus dem Arabischen, die ein Team aus fünf Übersetzern erstellte.
Als Mitherausgeberin von "Syria Speaks" moderierte Malu Halasa auf dem Filmfestival "Movies that Matter" einen Abend, der dem Werk gewidmet war. Zaher Omareen zeigte dazu Kurzfilme vom ersten syrischen "Mobile Phone Film Festival", das sie mitveranstaltete. Mobiltelefone und die damit erstellten Videos sind ein weitverbreitetes Mittel der Dokumentation und des kulturellen Widerstands seit Beginn des syrischen Aufstands vor vier Jahren.
Das "Mobile Phone Film Festival" fand vom 15. bis 17. Oktober an fünf Orten in Syrien statt: Kafranbel, Aleppo, Atareb, Jabal al-Zawiya und Daraa. Eine geplante Filmvorführung in Kobanê musste aufgrund von Angriffen des IS in dieser Region abgesagt werden.
An der Veranstaltung "Syria Speaks" nahmen der bekannte Autor und Intellektuelle Yassin Al-Haj Saleh, die Journalistin und Autorin Rasha Abbas sowie ein nicht namentlich genannter Vertreter des anonymen syrischen Künstlerverbandes "Al-Shaab al-Suri Aref Tariqahu" (Das syrische Volk kennt seinen Weg) teil, der sich durch eindrucksvolle Plakatentwürfe seiner Mitglieder einen Namen gemacht hat. Ein Motiv daraus ziert auch den Buchumschlag.
Kunst und Kultur von der Front
Das Buch enthält ein längeres Interview mit Al-Haj Saleh zum Thema "Über den Intellektuellen und die Revolution" sowie die Kurzgeschichte "An einer Lachsplatte klebt noch Blut" von Rasha Abbas. Das 18-seitige Kapitel "Die Überzeugungskunst" widmet sich dem Künstlerverband "Al-Shaab al-Suri Aref Tariqahu". Es enthält zahlreiche Abdrucke von Plakaten seiner Mitglieder sowie einen Kommentar der Kunsthistorikerin Charlotte Bank.
Yassin Al-Haj Saleh wurde 1980 unter Präsident Hafiz al-Assad – dem Vater von Baschar al-Assad – inhaftiert und verbrachte 16 Jahre im Gefängnis. Nach Beginn des Aufstands im Jahr 2011 tauchte Saleh in Syrien unter und floh 2013 in die Türkei. 2012 wurde ihm der Prinz-Claus-Preis verliehen, mit dem Personen geehrt werden, die sich in besonderer Weise um Kultur und Entwicklung verdient gemacht haben.
Al-Haj Saleh stellte den kulturellen Kampf in einen historischen Kontext, als er in seinem Interview in "Syria Speaks" sagte: "Die Folgen der Haft und der Tyrannei im Allgemeinen sind in der Kultur Syriens seit den 1970er Jahren evident. Seit dieser Zeit ist die Arbeit der syrischen Intellektuellen bestimmt von der Idee der Demokratie und den damit verbundenen politischen, rechtlichen und ethischen Themen. Auch in Literatur und Kunst setzen sich die Menschen stärker mit Unterdrückung, Inhaftierung und Freiheit auseinander."
Ziad Homsi gehört zur Fotografengruppe Lens Young, deren aufrüttelnde Bilder in "Syria Speaks" gezeigt werden. Bei ihrer Arbeit sind die Fotografen oft extremer Gefahr ausgesetzt. So geriet Homsi beispielsweise außerhalb von Raqqa in die Hände des IS und wurde erst nach 18 Tagen wieder freigelassen.
Inhaftiert wegen ihrer Kunst und ihres Widerstands
Nicht wenige Künstler aus "Syria Speaks" waren in Haft und sind es immer noch. Zwei Nächte vor der Vorstellung des Buchs in Den Haag veranstaltete der englische PEN eine Mahnwache an der Londoner Millennium Bridge und forderte die Freilassung von Mazen Darwish, Gründungsvorstand des "Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit" (SCM), sowie seiner Kollegen Hani Al-Zitani und Hussein Gharir.
Die drei sind seit ihrer Festnahme im Februar 2012 inhaftiert, als ihre Büros vom syrischen Sicherheitsdienst gestürmt wurden. Der Jurist, Journalist und Menschenrechtsverteidiger Mazen Darwish ist in "Syria Speaks" mit dem Beitrag "Letter for the Future" vertreten. Er konnte diesen Brief, den er 2013 nach Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises für Verdienste um die Menschenrechte geschrieben hatte, heimlich aus dem Zentralgefängnis von Damaskus herausschleusen.
Die Journalistin und Leiterin des SCM Yara Bader, Ehefrau von Darwish, ist ebenfalls Autorin von "Syria Speaks". Ihr Essay "Lifetimes Stolen" geht der Frage nach, wie es "zwei Generationen gelingt, die politische Gefangenschaft in Syrien zu überleben". Ihr Vater verbrachte zwölf Jahre im Gefängnis. Auch sie selbst wurde zusammen mit ihrem Mann sowie einigen Kollegen des SCM einige Zeit festgesetzt.
Die Sinnlosigkeit, mit der das Regime versucht, abweichende Meinungen dadurch zu unterdrücken, dass Mazen Darwish und viele andere weggesperrt werden, wurde im Oktober 2014 deutlich, als sich der PEN-Pinter-Preis-Gewinner Salman Rushdie entschied, seinen Preis mit Mazen Darwish zu teilen. Anfang April 2015 wurde an Mazen Darwish zudem der mit 25.000 US-Dollar dotierte Guillermo-Cano-Preis für Pressefreiheit der UNESCO verliehen.
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers