Planlose Solidarität
Zu komplex sei die Lage in Syrien, um dort zu intervenieren, hieß es jahrelang. Doch dies scheint unter dem Eindruck der Anschläge in Paris vergessen. Eine Flugverbotszone, immer wieder verworfen, schien westlichen Staaten zu riskant, weil sie sich in Syrien nicht militärisch engagieren wollten.
Doch angesichts einer terroristischen Bedrohung vor der eigenen Haustür scheint eben jenes Räsonieren und Erwägen ausgelöscht. In großer Eile werden militärische Maßnahmen gegen ISIS diskutiert. So wurde erst in Großbritannien, nun auch in Deutschland beschlossen, den Einsatz militärisch zu unterstützen.
Solidarität mit Frankreich, ja, das Bestreben, eine möglichst breite Front gegen den Terrorismus zu haben, ist an sich nicht falsch. Dennoch ist bei der langen politischen Freundschaft beider Länder erstaunlich, dass gerade die Suche nach einer politischen Antwort, die das Problem an der Wurzel angehen würde, hinter hastigen Beschlüssen zu einem militärischen Einsatz zurückstehen muss.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte zwar, das militärische Vorgehen sei in einen breiten politischen Prozess eingebettet, der die Befriedung Syriens anstrebe. Doch bislang hat dieser Prozess lediglich auf dem Papier Fortschritte gemacht.
Fehlende politische Konfliktlösungskonzepte
Es ist noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar, dass der UN-Sicherheitsrat die Absicht hat, auch nur Teile der Resolutionen zu Syrien tatsächlich umzusetzen. Hunderttausende befinden sich in belagerten Gebieten in einer immer verzweifelteren Lage und ohne Zugang zu humanitärer Hilfe. Fassbomben fallen auf Wohngebiete und lokale Waffenstillstände haben keine Fortschritte gemacht.
Gleichzeitig bleibt vage, wie Luftschläge gegen ISIS in Syrien die Sicherheit in Europa erhöhen sollen. Zunächst einmal ist ungeklärt, wie genau die Verbindung der Attentäter von Paris mit ISIS funktioniert hat. Weder dürften diese größere finanzielle noch logistische Unterstützung aus dem Nahen Osten gebraucht haben, um die Anschläge zu verüben. Sie mögen durch ISIS inspiriert oder gar von ihnen in Auftrag gegeben worden sein – doch das ist etwas, dem man mit Luftschlägen nicht beikommt.
Selbst wenn Bombardements ISIS schwächen und der Terrororganisation Territorien abgewinnen würden, würde sie dies noch lange nicht daran hindern, Täter in Europa zu inspirieren oder rekrutieren.
Abhängig von lokalen Akteuren
Hinzu kommt, dass innerhalb des vergangenen Jahres die Luftangriffe der Koalition gegen ISIS diese zwar geschwächt haben, die Landkarte jedoch nicht maßgeblich verändert haben. Ob Sindschar oder Kobanê: letztlich waren es Bodentruppen, die diese Orte befreit haben.
Da niemand Bodentruppen entsenden will, ist man auch weiterhin auf lokale Akteure angewiesen. Deswegen erscheint es besonders grotesk, wenn westliche Staaten sich zwar darauf verständigen können, die Luftschläge zu intensivieren, gleichzeitig aber zulassen, dass die syrische Luftwaffe und Russland gleichzeitig damit fortfahren, diejenigen zu schwächen, die genau das leisten könnten.
Dem Regime gelten nicht nur ISIS, sondern auch die Rebellen in ihrer Gesamtheit als Terroristen. Es konzentriert sich nach wie vor auf Angriffe in Gegenden, die von Rebellen, nicht von ISIS, beherrscht werden. Der gleichen Logik folgt offensichtlich auch Russland, das die meisten seiner Angriffe fernab von ISIS-kontrollierten Gegenden fliegt.
Solange sich daran nichts ändert, solange Rebellen in Syrien sich gegen ISIS und Assad gleichzeitig zur Wehr setzen müssen, solange sie durch die fortgesetzten Angriffe des Regimes genau daran gehindert werden, all ihre Kräfte gegen ISIS einzusetzen, so lange werden westliche Luftangriffe der Terrormiliz keinen entscheidenden Schlag beifügen können.
Unheilige Allianz mit Assad
Schlimmer noch: seit den Anschlägen von Paris geistert wieder die unselige Idee eines "Zweckbündnisses" mit Assad umher, als könne damit das Ganze gerettet werden. Noch formulierte Verteidigungsministerin von der Leyen es vorsichtig: eine Einbeziehung von Regimetruppen wolle sie nicht ausschließen.
Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Trotz massiver Unterstützung von außen behauptet sich die syrische Armee nur mühsam. Punktuelle Gewinne gegen Rebellen, ermöglicht durch die Hilfe der Hisbollah und anderen ausländischer Kämpfer in Nordsyrien, wurden als Erfolge gefeiert. Derweil verlor das Regime das zentralsyrische Palmyra an ISIS. Insofern ist rein technisch fraglich, wie viel man durch die Beteiligung von Regimetruppen gewinnen könnte.
Viel wichtiger jedoch ist, was man politisch verlieren wird, wenn man sich auf eine solch unheilige Allianz einlässt. Selbst wenn man die Debatte nicht eröffnen will, dass man damit einen Despoten bei seinem mörderischen Treiben unterstützen würde: rein pragmatisch wäre eine solche Kooperation keinesfalls zweckorientiert, sondern würde der Bekämpfung von ISIS im Wege stehen.
Den Großteil seines syrischen Territoriums haben die Dschihadisten von Rebellen erobert. Das heißt: zunächst haben Rebellen die Gebiete von den Kräften des syrischen Regimes befreit. Dann wurden sie von ISIS überrollt.
Wenn nun also das syrische Regime in den Kampf gegen ISIS eingebunden werden sollte, würde man ihm unter Umständen ermöglichen, genau dorthin zurückzukehren, wo selbst nachdem das Wüten der Armee und der mit ihr verbündeten Milizen am Boden beendet wurde, der Aufbau ziviler Strukturen mittels der Luftwaffe verhindert wurde.
Gefährliche Illusion
Eine Politik, die direkt oder indirekt das Regime stärkt, während man gleichzeitig genau auf seine Gegner angewiesen wäre, um ISIS zu besiegen, ist daher eine gefährliche Illusion.
Auch berücksichtigt die Diskussion über militärische Schläge gegen ISIS kaum den sozialen Kontext, in dem sie stattfinden. Man sollte hier nicht nur die zivilen Opfer der Angriffe bedenken, sondern auch, welche Konsequenzen zum Beispiel Angriffe auf den Ölhandel des "Islamischen Staates" hat, der jüngst in den Fokus der Debatte rückte, um der Terrormiliz die Pfründe abzugraben.
Zweifelsohne ist Öl eine wichtige Einnahmequelle, doch der Großteil wird weiterhin innerhalb Syriens konsumiert. Eine Verknappung würde die Preise in die Höhe treiben und die ohnehin gebeutelte Zivilbevölkerung mithin noch stärker in Mitleidenschaft ziehen.
So dringlich es erscheinen mag, der terroristischen Bedrohung etwas entgegenzusetzen, so wichtig ist es, genau zu überlegen, bevor man handelt. Sonst wird die Bekämpfung von ISIS nicht nur misslingen, sondern durch die Art, in der sie durchgeführt wird, weiteren unabsehbaren Schaden anrichten.
Bente Scheller
© Qantara.de 2015