Martina Sabra, 29. Juni 2006
zu: Marokkos verschleierte Feministinnen, von Fatima Sadiqi
Liebe Frau Sadiqi, liebe Redaktion,
vielen Dank für den interessanten Artikel. Ich habe die Familienrechtsdebatte und die Reform in Marokko über viele Jahre aus der Nähe miterleben dürfen, und war fasziniert, wie pragmatisch und zugleich entschlossen die Frauenrechtsaktivistinnen in Ihrem Land sich für einen Kompromiss zwischen muslimischer Identität und universellen Frauen- und Menschenrechtsidealen einsetzten.
Man muss aber festhalten, dass die Frauen, die aktiv an dieser Debatte beteiligt waren und die jahrelang für die Reformen kämpften, weder den Islamismus als politische Ideologie noch den Schleier als notwendiges Symbol weiblicher muslimischer Identität befürworteten.
Viele Frauen, mit denen ich im Lauf der Jahre zu tun hatte, plädierten privat für eine Trennung von Staat und Religion. Öffentlich konnten sie diese Ansicht nicht äußern. Sie argumentierten deshalb aus pragmatischen Gründen für Familienrechtsreformen im islamischen Rahmen. Andere Frauen aus der Frauenbewegung waren zwar gegen den Schleier, sie wollten aber nicht so weit gehen, Staat und Religion strikt zu trennen. Sie fanden es wichtig, den Islam als Teil der marokkanischen Identität zu bewahren.
Der Titel und einige Passagen Ihres Textes vermitteln nach meinem Empfinden den Eindruck, verschleierte Frauen oder gar Islamistinnen hätten aktiv zur Reform des marokkanischen Familienrechtes beigetragen. Meines Wissens war das Gegenteil der Fall. Die größte islamistische Partei, die PJD, einschließlich der weiblichen Abgeordneten, hat die Familienrechtsreform von 2003/2004 allenfalls zähneknirschend akzeptiert.
Ähnlich verhielt es sich mit der außerparlamentarischen Bewegung Al-Adl wal Ihsan. Dennoch gibt es eine interessante Tendenz, die in Ihrem Beitrag ja auch anklingt: Obwohl die Islamisten der PJD bei der Parlamentswahl 2002 nur an dritter Stelle landeten, schickten sie proportional die meisten Abgeordneten ins Parlament. Das sollte zu denken geben.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Sabra