"Lösch die YouTube-Videos!"

Anhand von Videofilmen über die letzte Parlamentswahl in Jordanien untersuchte Deena Dajani den Zustand von Demokratie und Zivilgesellschaft in ihrem Land – und stieß dabei schnell selbst an die Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Wahlhelfer vor Wahlboxen in Jordanien; Foto: AP
Trotz des geringen Vertrauens in Jordaniens Parlamentarier herrsche in der Bevölkerung dennoch großes Interesse an Wahlen und Politik, so Dajani.

​​Das Haschemitische Königreich Jordanien ist noch weit entfernt davon, eine Demokratie nach westlichem Muster zu sein. Und doch beobachten wir dort seit Jahrzehnten einen Grad an politischer Freiheit, der das Land positiv von seinen arabischen Nachbarländern Syrien, Irak und Saudi-Arabien unterscheidet.

Selbst ein den arabischen Staaten gegenüber kritisch eingestellter Historiker wie Bernard Lewis meint, dass es die 'reformierten Autokratien“ der arabischen Welt sind, wie eben auch Jordanien, in denen die Entwicklungschancen der Demokratie am größten sind.

Die Leistung des Landes in Hinblick auf die Erhaltung eines – wenn auch mit Grenzen gehaltenen – Freiraums für Kritik und Debattenkultur erscheint umso größer, wenn man sich vor Augen hält, mit welchen Problemen das Land seit Beginn des Irakkrieges zu kämpfen hat: Bomben in Amman, regionale Konflikte und Spannungen – und nicht zuletzt die Zuwanderung Hunderttausender irakischer Kriegsflüchtlinge.

Gleichzeitig werden die Grenzen der Freiheit immer enger – und nicht selten auch inkonsequenter – gezogen als dies in vielen anderen Staaten der Fall ist, die von einer Mischung aus strengen, formalen Vorschriften und deren informellen Auslegungen geprägt sind.

Dies wurde mir besonders deutlich vor Augen geführt, als ich im November 2007 im Rahmen meines Forschungsprojektes für eine englische Universität durch Jordanien reiste, recherchierte und dafür auch Filmaufnahmen machte.

Eine Frage des Vertrauens

Meine Reise fiel zusammen mit den jordanischen Parlamentswahlen im November 2007, bei denen 110 neue Abgeordnete ins Parlament gewählt wurden. Die Abstimmung fand in einem Umfeld statt, das von Mohammed Al-Masri, dem Direktor des "Centre for Strategic Studies" (CSS) an der Universität von Jordanien als "Vertrauenskrise zwischen den Bürgern und dem Parlament" beschrieben wurde.

Eine Umfrage des CSS belegt, dass 80 Prozent der Befragten glaubten, dass die Abgeordneten in der vorangegangenen Legislaturperiode sich vor allem aufgrund persönlichen Nutzens und der Aussicht auf materiellen Gewinn hatten wählen lassen.

Als ich durch das Land reiste, waren meine Eindrücke und Erfahrungen im Vorfeld der Wahlen und danach jedoch sehr viel positiver. Was ich dabei sah (und mit meiner Videokamera festhalten konnte), war eine Vielzahl an Gemeindeinitiativen, Diskussionen an so unterschiedlichen Orten wie Dörfern, Beduinenzelten, Flüchtlingslagern, aber auch städtischen Siedlungen.

Die Menschen, die ich traf, beeindruckten mich mit ihrer Beharrlichkeit, ihrem Drang nach konkreter Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse und ihrer Suche nach konstruktiven Lösungen – und auch ihrer Bereitschaft, große Strecken zu Fuß zurückzulegen, um an Gemeindeversammlungen teilzunehmen.

Lethargie und politische Abkehr

Doch auch eine von Mohammed Al-Masri konstatierte Vertrauenskrise war zu spüren. Wenn es dabei auch regionale Unterschiede gab, so war doch die politische Enttäuschung allgemein und überall anzutreffen: Gewählte Gemeindevertreter, die schon bald nach der Wahl ihre Gemeinde im Stich lassen, in die Hauptstadt Amman gehen und sogar ihre Handynummern wechseln, um nicht gefunden zu werden.

Dabei werden diese Politiker zusehends reicher, während die Menschen, die sie repräsentieren sollten, zum Beispiel mit dem Wegfall staatlicher Subventionen für den Benzinkauf zurechtkommen müssen.

Die Aufnahmen, die von dieser Mischung aus Frustration und Hoffnung zeugten, waren, so befand ich, einfach zu eindrucksvoll, um lediglich für eine langfristig angelegte, wissenschaftliche Arbeit ausgewertet zu werden

Ich entschloss mich daher, das einzige in meiner Macht stehende zu tun, um diesen jordanischen Bürgern Gehör zu verschaffen: Ich begann damit, kurze Aufnahmen von den öffentlichen Diskussionen bei YouTube einzustellen.

Eine Stimme, die zum Schweigen gebracht wird

Vier solcher Clips hatte ich dort "gepostet", als berichtet wurde, dass dem jordanischen Sender Al-Balad fortan die Berichterstattung von den Parlamentssitzungen untersagt werden sollte.

Der Grund hierfür war, dass der Hauptnachrichtensprecher den Kommentar eines Hörers verlesen hatte, den die neu gewählten Abgeordneten als beleidigend ansahen. Doch handelte es sich hierbei nicht um Schmähungen, als vielmehr um eine Kritik an Korruption und Verschwendungssucht unter Parlamentariern.

Hierzu muss man wissen, dass ein Posten im Parlament tatsächlich äußerst lukrativ sein kann. So bezieht ein Abgeordneter ein lebenslanges monatliches Einkommen von 1.500 Jordanischen Dinar (rund 1.340 €). Zum Vergleich: Der Mindestlohn in Jordanien liegt bei etwa 130 €.

Die Behörden in Jordanien waren jedoch sehr viel weniger an der Redefreiheit interessiert oder daran, zu überprüfen, inwieweit die Anschuldigungen des Anrufers berechtigt sein könnten: Stattdessen wird auf Bürger wie Medien eingeschlagen:

Deena Dajani; Foto: © Loughborough University, Leicestershire
Deena Dajani: "Sobald die Abgeordneten gewählt sind, vergessen sie jeden und alles, was sie zuvor versprochen haben."

​​Schon bald nachdem Al-Balad die Berichterstattung zu den Parlamentssitzungen entzogen worden war, reichte der Verantwortliche in der Medienaufsichtsbehörde ein Ermittlungsverfahren gegen den Sender ein. Der Tatbestand: "Beleidigung" des Parlaments.

Darüber hinaus stellte sich heraus, dass dieses Vorgehen der Parlamentarier sogar vom Strafrecht des Landes gedeckt war, dessen Artikel 191 vorsieht, dass jede Beleidigung des ganzen Parlaments oder eines einzelnen Abgeordneten mit einer Gefängnisstrafe zwischen drei Monaten und zwei Jahren geahndet werden kann.

Selbstzensur unvermeidbar?

Der Kolumnist und Blogger Batir Wardam hat darauf hingewiesen, dass das jordanische Parlament bereits mehrfach den Versuch unterbunden hatte, eine Klausel im Presserecht des Landes abzuschaffen, die die Inhaftierung von Journalisten für alles, was er schreibt oder sendet, vorsieht.

Erst der persönlichen Initiative König Abdullahs II. ist es zu verdanken, dass der Zusatz schließlich doch verabschiedet werden konnte. Noch bemerkenswerter aber ist vielleicht der "Hinweis an sich selbst", den Wardam an den Beginn seiner Kolumne gestellt hat und in dem er sich daran erinnert, nur „sehr vorsichtig auf das Thema Redefreiheit einzugehen“.

Die politische Freiheit in Jordanien war noch nie grenzenlos, doch liegt die Absurdität dieses Vorgangs darin, dass ein gewähltes Parlament (und damit eben keine anmaßende Exekutive oder ein Geheimdienst) dabei ist, hart erkämpfte Reformen zurückzudrehen. Wie es ein jordanischer Blogger ausdrückt: "In Jordanien sind die schlimmstmöglichen Szenarien inzwischen die wahrscheinlichsten geworden."

Angst vor Konsequenzen

Diese Kontroverse – und besonders der Kommentar dieses Bloggers – veranlassten mich, noch einmal über die von mir in das Internet gestellten Videoclips nachzudenken. Die großzügigen und liebevollen Jordanier, die ich getroffen und gefilmt habe, nahmen einfach am politischen Leben ihres Landes teil und kritisierten dabei ihre Repräsentanten; sie handelten damit auf natürliche Weise, als einfache Bürger.

Doch was, wenn ich diese Menschen in Gefahr brächte, nur weil ich damit sagte: "Sobald die Abgeordneten gewählt sind, vergessen sie jeden und alles, was sie zuvor versprochen haben." Meine Filme waren sicher nicht beleidigender als der Kommentar bei Al-Balad, doch nach dem, was mit dem Sender passiert war, machte ich mir wirklich Sorgen über die Konsequenzen, die es haben konnte, wenn man Jordanier zeigt, die sich wie normale Bürger verhielten.

Das ließ mir keine Ruhe. Einerseits dachte ich, dass die Meinung dieser Menschen es verdient, gehört zu werden. Auf der anderen Seite wollte ich unter keinen Umständen ihre Sicherheit gefährden. Da ich mich zwischen diesen Möglichkeiten einfach nicht entscheiden konnte, machte ich, was wohl jeder 22-Jährige in dieser Situation gemacht hätte: Ich fragte die Besucher meines Facebook-Profils um Rat.

"Lösch die Filme!"

Die Antworten zeigten ein fast einmütiges Bild: Ich sollte die Filme löschen. Einige schrieben auch, dass ich ja nicht nur die Menschen in den Filmen, sondern auch mich selbst in Gefahr brächte. Ich wartete auf einen Kommentar, der mich dazu drängte, noch mehr diese Clips in das Internet zu stellen, um die Aufmerksamkeit für das Thema politische Freiheit zu erhöhen. Doch ich wartete vergeblich.

Radio Al-Balad entschuldigte sich für den Vorfall und versprach, sich neu zu organisieren. Einige Tage später löschte ich die YouTube-Videos. Leider kann diese Geschichte über die Demokratie in Jordanien kein "Happy End" haben. Zumindest noch nicht.

Deena Dajani

© Deena Dajani / openDemocracy / Qantara.de 2008

Übertragen aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Die Nutzungsrechte des Artikels unterliegen einer Creative Commons Licence.

Qantara.de

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