Nahe bei den Menschen

Die meisten der in Marokko tätigen NGOs haben ihren Sitz in Rabat oder in Casablanca. Die bedeutende Menschenrechtsorganisation "Droits des Gens" hat sich jedoch bewusst in Fes niedergelassen. Beat Stauffer erklärt warum.

Fes, Marokko; Foto: Beat Stauffer
Menschenrechtserziehung und -sensibilisierung stehen im Mittelpunkt der Arbeit von "Droits des Gens", die ihren Sitz in der marokkanischen Stadt Fes hat.

​​Das Zentralsekretariat der Organisation "Centre Droits des Gens" (CDG) liegt in einem unscheinbaren Mehrfamilienhaus in der Neustadt von Fes.

Wie die Büros der allermeisten NGOs in Marokko, deren Zahl auf rund 7.000 geschätzt wird, ist auch dasjenige von CDG bescheiden und zweckmäßig eingerichtet. Gleichzeitig ist ein starkes Engagement der Menschen spürbar, die hier zusammen kommen und ehrenamtlich arbeiten.

Die Bedeutung der eigenen Unabhängigkeit

Die Organisation "Centre Droits des Gens" ist eine der großen Menschenrechtsorganisationen in Marokko. 1999 gegründet, verfügt sie heute über 93 Sektionen im ganzen Land und rund 1.900 Mitglieder, davon etwa 800 Frauen.

Im Gegensatz zu anderen Organisationen, die in diesem politisch schwierigen Bereich tätig sind, lege die CDG großen Wert auf ihre Unabhängigkeit von Parteien und auf ihre politische Neutralität, erklärt ihr Präsident, Jamal Chahdi.

In der Tat gelten zahlreiche NGOs in Marokko entweder als regierungsnah oder aber als Sammelbecken von Aktivisten von Linksparteien. Dabei besteht die Gefahr, dass Menschenrechtsfragen politisch instrumentalisiert werden.

Dieser Politisierung will die CDG bewusst einen Riegel vorschieben, um sich dafür umso mehr der konkreten Arbeit zu widmen. An Herausforderungen mangelt es nicht, denn die Organisation hat sich sehr ambitionierte Ziele gesteckt.

Die Idee der unveräußerlichen Grundrechte

Der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten liegt nach Auskunft von Jamal Chahdi auf der Menschenrechtserziehung und -sensibilisierung. In Schulen im ganzen Land, aber auch in Gefängnissen, Gerichten, Gewerkschaften und Jugendzentren wollen die Verantwortlichen der CDG die Idee der Menschenrechte verbreiten.

Eine Arbeit, die sehr viel Beharrlichkeit und einen langen Atem verlangt - eine Arbeit auch, bei der sich kaum kurzfristige Erfolge vorweisen lassen.

Jamal Chahdi; Foto: Beat Stauffer
Jamal Chahdi: "Wir bekämpfen jede Form von Integrismus, Extremismus und Gewalt und setzen uns für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein!"

​​Doch Chahdi, der während langen Jahren als Mathematiklehrer gearbeitet hatte und sich nun hauptberuflich der Menschenrechterziehung widmet, ist überzeugt davon, dass nur dieser Weg langfristigen Erfolg verspricht.

Denn nur wenn es gelingt, den Gedanken von unveräußerlichen Grundrechten in die Herzen der Menschen einzupflanzen, erklärt Chahdi, könnten in diesem Bereich auch dauerhaft Erfolge erzielt werden.

Einen wichtigen Stellenwert nimmt die Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit an marokkanischen Gymnasien und Berufsschulen ein.

Zwar hat das zuständige Ministerium ein Konzept erarbeitet und einzelne Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt. Doch die konkrete Ausbildung der Lehrkräfte hinsichtlich der Menschenrechte liegt in den Händen der CDG.

Kooperationen und Partnerschaften

Über 2.000 Lehrerinnen und Lehrer haben bis bislang Kurse der CDG absolviert, in denen sie in das Thema Menschenrechtserziehung eingeführt worden sind. Diese Kurse sind sowohl finanziell wie auch inhaltlich maßgeblich von der Friedrich Naumann Stiftung unterstützt worden.

Eine vergleichbare Sensibilisierungsarbeit leistet die CDG auch in anderen Berufsgruppen. Hunderte von Gefängniswärtern, Richtern, Anwältinnen, Jugendarbeitern sowie Kader von anderen Nichtregierungsorganisationen haben in den vergangenen Jahren Kurse absolviert, in denen sie auf Menschenrechtsaspekte im Rahmen ihrer beruflichen Arbeit sensibilisiert wurden.

Die Zusammenarbeit mit den Behörden erachtet die CDG als gesamthaft sehr positiv. Es handle sich um eine Art Partnerschaft, welche durch die Neutralität der Organisation erleichtert werde.

Trotz einiger "großer Fortschritte", welche die Behörden in Marokko in den vergangenen Jahren in Menschenrechtsfragen unternommen hätten, sieht Chahdi aber immer noch viele ungelöste Probleme und auch "Widerstände" bei manchen Funktionären.

"Doch bei der Mehrheit der Behörden stellen wir meist guten Willen fest", sagt Chahdi. Seine Organisation habe in den letzten Jahren die Möglichkeit erhalten, ihr Handlungsfeld auszuweiten.

Betreuung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen

Ein anderer, nicht minder wichtiger Schwerpunkt der Arbeit von "Droit des Gens" liegt in der Beratung von Menschen, welche Opfer von Übergriffen aller Art werden.

Dabei nimmt sich die Organisation vor allem zweier Gruppen besonders an: Frauen, die an ihrem Arbeitsplatz in ihren grundlegenden Rechten verletzt werden und Jugendliche, welche sich in schwierigen Situationen befinden.

CDG-Mitarbeiter verteilt Infobroschüren an zwei Arbeiterinnen in Fes; Quelle: Centre des Droits des Gens (CDG) 2004
Die Bedeutung der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte ins Bewußtsein der marokkanischen Bevölkerung rufen: CDG-Mitarbeiter verteilt Infobroschüren an Arbeiterinnen in Fes

​​Für beide Gruppierungen hat die CDG Zentren eingerichtet, in denen die Betreffenden angehört, psychologisch betreut, in ihren Rechten beraten und vor Gericht unterstützt werden.

"Al Karama" heißt das Zentrum für berufstätige Frauen, "Amane" dasjenige für Kinder und Jugendliche. Die Nachfrage nach einer derartigen Beratungsstelle scheint groß zu sein, denn in den vergangenen zwei Jahren haben jeweils zwischen 2.500 und 3.300 Frauen im Zentrum "Al Karama" angeklopft.

Dieses Zentrum dürfte in den allermeisten Fällen die einzige Möglichkeit sein, um zumindest ansatzweise Unterstützung und Betreuung zu erhalten. Auf diesem Feld arbeitet die CDG mit der international tätigen Organisation OXFAM zusammen.

Die Aktivisten der CDG sind zusätzlich in manchen anderen Bereichen tätig. So haben sie sich in den vergangenen Jahren im Kampf gegen die Korruption bei Gemeindewahlen, bei der Errichtung eines Observatoriums für die Gewalt gegenüber Frauen und an der Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe engagiert.

Modernistische, laizistische Grundhaltung

Mit anderen Nichtregierungsorganisationen ist die CDG laut eigener Darstellung gut vernetzt. Insgesamt bestehen 17 "Allianzen" mit anderen NGOs, so etwa mit der "Marokkanischen Allianz für Modernität, Demokratie und Menschenrechte", hinter der insgesamt 650 Organisationen stehen, oder mit der "Allianz gegen die Armut". Die CDG macht dabei keinen Hehl aus ihrer modernistischen, laizistischen Grundhaltung.

"Wir bekämpfen jede Form von Integrismus, Extremismus und Gewalt und setzen uns für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein ", sagt Chahdi mit Nachdruck. Mit den Islamisten, welche rechtsstaatliche Grundsätze akzeptieren, hätte die CDG kein Problem. Gewaltbereite Extremisten lehne sie aber kategorisch ab.

Dass sich die CDG gelegentlich auch für Islamisten einsetzt, welche Opfer von staatlichen Übergriffen werden, ist für Chahdi kein Widerspruch: Menschenrechte seien unteilbar, und es gelte sie auch gegenüber Menschen anzuwenden, deren Meinung man nicht teile.

Beat Stauffer

© Qantara.de 2009

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