Israelis erinnern an Schicksal der Palästinenser
Für das palästinensische Volk ist das, was die Israelis in Bezug auf das kriegerische Geschehen des Jahres 1948 "Unabhängigkeitskrieg" nennen und als großen Sieg feiern, ein trauriges Kapitel.
Die militärische Niederlage der Palästinenser ging damals mit ihrer systematischen Vertreibung durch die israelischen Sieger einher. Viele Palästinenser verließen zu jener Zeit aber auch von sich aus ihre Heimatorte, wohl in der Annahme, nach Beendigung der Kampfhandlungen zurückkehren zu können.
Genau das blieb ihnen aber letztlich verwehrt: Die Israelis schlossen umgehend die Grenzen und wiesen diejenigen Palästinenser, die versuchten, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, zurück.
Im palästinensischen Kollektivgedächtnis wird dieses dunkle Geschichtskapitel als "Nakba" bezeichnet – arabisch: Katastrophe. Und diese Katastrophe endete für zahlreiche Palästinenser in einem bis heute andauernden Exil, für viele in einem Leben im Elend der heruntergekommenen Flüchtlingslager.
Vertreibung war mit der systematischen Zerstörung palästinensischer Dörfer durch israelische Bulldozer verbunden. Eine ganze Besiedlungsgeschichte wurde vorsätzlich ausgelöscht. Auf den Ruinen dieser zerstörten Dörfer entstanden häufig israelische Siedlungen – mit neuen, hebräischen Namen versteht sich.
Versuch, eine neue Gedenkkultur zu etablieren
Während die Palästinenser seit gut zwei Jahrzehnten öffentlich der Nakba gedenken und die Zerstörung ihres Lebensraums umfangreich dokumentieren, wollen die meisten Israelis an diese Ereignisse nicht erinnert werden.
Genau dies hat sich jetzt aber ein kleiner israelischer Verein zum Ziel gesetzt. "Nakba in Hebrew" heißt dieses mutige Gedenkprojekt, das palästinensische Erinnerungsinhalte dokumentieren, ins Hebräische übersetzen und öffentlich machen will.
Die Mitglieder des Vereins, allen voran dessen Gründer Eitan Bronstein, wollen die vernichtete Lebenswelt der Palästinenser vor 1948 wieder ins Bewusstsein der israelischen Öffentlichkeit rücken. Sie wollen durch Gedenktafeln, die in freier Landschaft und in israelischen Ortschaften auf den Ruinen früherer palästinensischer Dörfer aufgestellt werden sollen, an die Vergangenheit mahnen.
Der Verein nennt sich "Zochrot", was im Hebräischen so viel wie "die sich Erinnernden" heißt – und zwar in der femininen Form. Das Weibliche soll hier für einen Weg stehen, der eine Alternative zu der, wie Bronstein meint, aggressiven und hegemonialen, zionistischen Gedenkkultur bietet. Die Namenswahl impliziert aber auch die Aufforderung an die palästinensische Seite, gemeinsam mit dialogbereiten Israelis eine Kultur der Versöhnung zu schaffen.
Heftige Reaktionen in Israel
Der Lehrer und Friedenspädagoge Bronstein und seine Mitstreiter haben bereits jetzt den Zorn der rechtsgerichteten israelischen Öffentlichkeit auf sich gezogen. Bewusst provokativ präsentiert sich Zochrot auf seiner Internetseite:
Das Logo des Vereins enthält ein Schlüsselloch – eine Anspielung auf jenen Schlüssel, der für die Palästinenser zugleich Symbol für Exil und Rückkehr ist. Die damals Vertriebenen nahmen ihre Hausschlüssel mit, denn sie rechneten mit ihrer baldigen Heimkehr.
Allein dieses Logo, das Zustimmung zum Rückkehrrecht der Palästinenser nach Israel ausdrückt, war Grund genug zum Angriff: Als "Kollaborateure der palästinensischen Terrororganisation Hamas" wurden die Vereinsmitglieder von einem Kommentator der rechtsgerichteten israelischen Zeitung "Maariv" verunglimpft. Solche Attacken vermögen aber nicht, Eitan Bronstein und seine Kameraden einzuschüchtern.
Zum Gedenken zwingen
Am israelischen Unabhängigkeitstag marschierten die Vereinsmitglieder mit Transparenten, die an die palästinensische Vergangenheit dieser Orte erinnerten, durch israelische Ortschaften.
Die Gedenk-Aktivisten versammelten sich auf einem zentralen Platz der südlichen Küstenstadt Ashkelon, wo vor 1948 das palästinensische Städtchen Madschdal stand, und hielten ein Transparent, auf dem auf Hebräisch und Arabisch zu lesen war: "Von hier aus wurden die Bewohner von Madschdal 1948 nach Gaza vertrieben."
Die Reaktionen auf diese Kampagne ließen nicht lange auf sich warten. Wütende jüdische Passanten zerrissen die Transparente, und ein Schild mit dem Hinweis "Hier stand früher eine palästinensische Moschee" wurde nach kurzer Zeit demoliert.
Doch Eitan Bronstein gibt nicht auf: Er will das Oberste Gericht Israels anrufen, um die israelischen Lokalbehörden zu zwingen, solche Erinnerungsschilder und Gedenktafeln aufzustellen. Sollte ihm dies auch nur ansatzweise gelingen, wäre das eine Revolution innerhalb Israels Gedenkkultur.
Entschieden mehr Interesse an der Arbeit des Zochrot-Vereins zeigt die palästinensische Seite. Dort hat man sich zunächst gewundert, dass sich ein jüdischer Israeli wie Bronstein überhaupt für die palästinensische Nakba interessiert.
Das anfängliche Misstrauen hat sich inzwischen gelegt. Mehrere palästinensische Flüchtlinge haben sich über ihre Flucht und Vertreibung für das neue Gedenkprojekt befragen lassen. Diese Interviews werden auf der Internetseite des Vereins präsentiert.
Joseph Croitoru
© Qantara.de 2004