Keine einheitliche "muslimische Stimme"

Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich konnte keiner der zwölf Kandidaten mit uneingeschränkter Unterstützung durch die islamischen Verbände rechnen. Auch bei der Stichwahl am 6. Mai dürfen sich weder Sarkozy noch Royal der Stimmen der Muslime sicher sein. Von Götz Nordbruch

Bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich konnte keiner der zwölf Kandidaten mit uneingeschränkter Unterstützung durch die islamischen Verbände rechnen. Auch bei der Stichwahl am 6. Mai können sich weder Sarkozy noch Royal der Stimmen der Muslime sicher sein. Von Götz Nordbruch

Die Kandidaten Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal; Fotol: Graphik DW
Wen werden die muslimischen Franzosen am 6. Mai wählen: Nicolas Sarkozy von der regierenden UMP oder die Sozialistin Ségolène Royal?

​​"Geht wählen!" – mit dieser Devise wandten sich die Vertreter islamischer Organisationen in den letzten Tagen vor dem ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen an die muslimische Bevölkerung Frankreichs. Dabei konnte keiner der insgesamt zwölf Kandidaten für das Präsidentenamt die Fürsprache der großen islamischen Verbände für sich gewinnen.

Auch im zweiten Wahlgang am 6. Mai, für den sich neben Nicolas Sarkozy, dem Kandidaten der regierenden "Union pour un Mouvement Populaire" (UMP), auch Ségolène Royal, die für die oppositionelle "Parti Socialiste" (PS) antritt, qualifiziert hat, kann sich keiner der beiden Kandidaten der Zustimmung der muslimischen Wähler sicher sein.

Der mit großer Spannung erwartete Wahlgang am vergangenen Sonntag wurde auch von den etwa vier Millionen Muslimen des Landes mit spürbarem Interesse verfolgt. Die regen Debatten im Vorfeld der Wahlen haben die schätzungsweise ein- bis eineinhalb Millionen muslimischen Wähler angesteckt – sofern dies überhaupt nötig war.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP von Dezember 2006 über die Parteienpräferenzen der französischen Muslime zeigte, wie sehr sich auch die muslimischen Wähler in ihrer politischen Orientierung von aktuellen Ereignissen beeinflussen lassen.

Unruhen in Frankreichs Vorstädten; Foto: AP
Für die Kandidaten aus dem rechten Lager waren die Unruhen in französischen Vorstädten ein Wahlkampfthema

​​So stieg die Zustimmung für die Sozialisten unter Muslimen in Folge der Unruhen in den Banlieues im November 2005 um 9 Prozentpunkte von 44,8 Prozent auf 53,8 Prozent. Im November 2006 erklärten sich schließlich sogar 55,2 Prozent der "Parti Socialiste" (PS) am ehesten verbunden.

Deutlich abgeschlagen lagen dagegen die Parteien auf der rechten Seite des politischen Spektrums, die zusammen auf kaum über 10 Prozent kamen.

Unruhen in Vororten Wahlkampfthema bei Rechten

So eindeutig diese Zahlen scheinen mögen, die Wahlentscheidung der muslimischen Wähler war bei den Präsidentschaftswahlen alles andere als vorhersehbar. Von vielen der Wahlkampfthemen sind die französischen Muslime oft unmittelbar betroffen.

Hohe Arbeitslosigkeit und die katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt sind dabei nur zwei der wichtigsten.

Für muslimische Wähler geht es aber vor allem auch um jene Fragen, die mit der unverändert schlechten Situation in vielen Banlieues einhergehen. Die Unruhen in den französischen Vororten dienten gerade den Kandidaten aus dem rechten politischen Spektrum als willkommenes Mittel, um die Themen Immigration und nationale Identität in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken.

Muslimische Mutter mit ihrem Schulkind; Foto: AP
Manche Muslime in Frankreich vermuten eine Verleumdungskampagne gegen ihre Religion

​​Hierzu zählt auch die Frage nach dem Status des Islam in der französischen Republik. Ganz bewusst wurde daher das Motto des diesjährigen Jahrestreffen der "Union des Organisations Islamiques de France" (UOIF), das in der Woche vor dem erstem Wahlgang in Le Bourget in der Nähe von Paris stattfand, gewählt: "Stolz, Erinnerung, Identität. Islamophobie, Diskriminierungen und Extremismen".

Das Motto der dreitägigen Veranstaltung, zu der nach Angaben der Organisatoren 150.000 Menschen erwartet wurden, sei "im Zusammenhang mit einem allgemeinen Klima zu sehen, das in Frankreich herrscht", erklärte der Präsident der UOIF, Lhaj Thami Brèze, in einem Interview mit der Zeitung Saphir-News.

"Es gibt eine Verleumdungskampagne gegen unsere Religion, und wir wollen die Gesellschaft an ihre gemeinsame Geschichte mit den Muslimen erinnern. Die französische Identität geht auf eine Mischung zurück, und wir sind Teil dieser französischen Nation. Die Muslime von heute sind die Erben derer, die Frankreich [in den Weltkriegen] gedient haben und die für das Vaterland gestorben sind."

Umso enttäuschter zeigten sich die Veranstalter darüber, dass weder Sarkozy noch Royal, noch François Bayrou, der Kandidat der christlich-sozialen UDF, die Einladung zur Teilnahme am Jahrestreffen angenommen hatten. Dabei hätten gerade Sarkozy und Royal einiges zu erklären gehabt.

Angriff auf den Islam durch Sozialisten?

Ebenso wie Royal, die mit dem Ruf zu kämpfen hat, ihre sozialistische Partei verfolge außenpolitisch einen pro-israelischen Kurs, hat sich auch Sarkozy mit seiner Unterstützung Israels während des Libanon-Kriegs im Sommer 2006 viele Sympathien verspielt.

Nicht weniger umstritten sind die innenpolitischen Positionen, mit denen die beiden Kandidaten im Wahlkampf aufgetreten sind.

Trotz der breiten Zustimmung, die die PS traditionell in der muslimischen Bevölkerung genießt, sahen vor allem die islamischen Verbände in der kritischen Haltung der Partei gegenüber dem Wirken des "Conseil Français du Culte Musulman" (CFCM), der Vertretung der islamischen Organisationen gegenüber dem Staat, einen Angriff auf den Islam.

Royals wiederholte Kritik der Diskriminierungen von Frauen, die mit islamischen Traditionen gerechtfertigt werden, trug ein Übriges dazu bei, Misstrauen bei den großen Dachverbänden zu schüren.

Sympathieverlust für Sarkozy

Deutlicher noch war die Abgrenzung gegenüber Sarkozy, der sich als Innenminister mit seiner rigiden Einwanderungs- und Sicherheitspolitik einen Namen gemacht hat. Trotz seines Engagements für den CFCM, das ihm große Achtung seitens der islamischen Verbände einbrachte, ist von den Sympathien kaum etwas geblieben.

Satirezeitschrift Charlie Hebdo
Die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo hatte die Mohammad-Karikaturen abgedruckt

​​Zuletzt hatte ihm seine entschiedene Verteidigung der Pressefreiheit im Karikaturen-Prozess gegen die Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" viel Kritik eingebracht. So machte in Le Bourget schnell das Wort vom "vote utile", der "nützlichen Wahl" die Runde. Nicht der beste, sondern der "weniger schlimme" sei die richtige Wahl.

Ganz ähnlich äußerte sich auch Ounis Qurqah, der Vorsitzende des Fatwa-Rates des UOIF.

Der beste Kandidat bei diesen Wahlen sei derjenige, "der den Muslimen nicht Extremismus oder Rückständigkeit vorwirft. Derjenige, der die muslimische Gemeinde in Frankreich nicht für die zahlreichen Probleme des Landes verantwortlich macht", erklärte Qurqah in einem Online-Chat mit Islam-Online anlässlich der Wahlen.

Von einer einheitlichen "muslimischen Stimme" kann daher keine Rede sein. Im Gegenteil, der Begriff stößt bei vielen muslimischen Wählern auf Unbehagen.

Ähnlich wie unter nicht-muslimischen Wählern gehen schließlich auch unter Muslimen die Meinungen darüber, welcher Kandidat am wenigsten Schaden anrichte, deutlich auseinander.

Götz Nordbruch

© Qantara.de 2007

Qantara.de

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