Am Rande der Gesellschaft
Nach den Terroranschlägen von Madrid befürchten viele in Spanien lebende Marokkaner rassistische Übergriffe und Ausgrenzungen. Dabei fühlen sie sich ohnehin oft schon als "Bürger zweiter Klasse" behandelt und unerwünscht. Bettina Ambach mit einer Reportage aus Madrid.
Die Moschee an der Stadtautobahn M30 ist die größte Moschee in Madrid. Aber in diesen Tagen ist sie auffallend leer. Wo sonst bis zu 1.000 Menschen beten, knien jetzt nur ungefähr 50 Gläubige nieder. Im Madrider Viertel Lavapies, in dem viele Immigranten leben und in dem einer der mutmaßlichen Täter der Terroranschläge vom 11. März einen Telefonladen betrieb, ist es fast still geworden.
Viele Muslime bleiben dieser Tage in ihren Häusern. Sie haben Angst. Angst vor rassistischen Übergriffen. Die Fahndung konzentriert sich mittlerweile auf Marokkaner. Es gilt als sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Terroranschlag im marokkanischen Casablanca im Mai 2003 und dem in Madrid gibt.
Islam ist nicht gleich Saddam und Bin Laden …
Mustafa Bougrine ist empört: "Wenn die Leute das Wort Islam hören, denken sie an Bin Laden, Saddam Hussein, Gaddafi - das ist aber nicht der Islam. Ich bin gegen jede Form des Fanatismus, gegen die Selbstmordattentäter und das, was sie "Jihad" nennen. Die Muslime hier in Spanien glauben an Demokratie und an ein friedliches Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen." Der Marokkaner Bougrine lebt seit 19 Jahren in Spanien, ist mit einer Spanierin verheiratet und betreibt ein Restaurant. Er beschreibt dieses Gefühl der "Islamophobie", das nun droht, sich in der spanischen Bevölkerung auszubreiten.
Von den 600.000 in Spanien lebenden Muslimen stellen die Muslime aus den nordafrikanischen Maghreb-Ländern - allen voran Marokko - die große Mehrheit dar. Sie kamen in den 80er und verstärkt in den 90er Jahren und arbeiten vorrangig in der Landwirtschaft, in der Bauwirtschaft, im Gaststättengewerbe oder als Hausangestellte.
Sie sind die stumme Mehrheit unter den Muslimen in Spanien. Sind es doch eher die zum Islam konvertierten Spanier und einige von Saudi-Arabien finanzierte islamische Kulturzentren, die an die Öffentlichkeit treten und mit dem Staat über ihre Rechte und Pflichten verhandeln.
Saudischer Islamismus-Export
In unzähligen kleinen Assoziationen organisiert, kämpfen sie hauptsächlich ums wirtschaftliche Überleben - und oft für die Errichtung einer Moschee in ihrem Wohnviertel. Mohamed Chouirdi arbeitet für den "Verein der marokkanischen Arbeiter und Immigranten". Er findet es bedenklich, unter welch ärmlichen Umständen seine Landesgenossen ihre religiösen Pflichten erfüllen. Denn die Gefahr, einen finanzstarken Retter zu akzeptieren, ist groß:
"Wir vermuten, dass die kleinen marokkanischen Wohnzimmermoscheen, die es in den Randbezirken Madrids gibt, bereits Geld aus Saudi-Arabien bekommen", sagt Chouiridi. "Damit versucht Saudi-Arabien, seinen Islam und seine Praktiken, nämlich die des Wahhabismus, zu verbreiten. Das Problem ist, dass die marokkanischen Immigranten einen sehr niedrigen Bildungsstand haben und so die Gefahr dieser religiösen Praktiken nicht erkennen. Für sie bedeutet Islam fünf Mal am Tag beten und viele Regeln befolgen. Was immer von außen kommt - in diesem Fall von Saudi-Arabien - wird ohne kritische Prüfung akzeptiert", meint der Marokkaner.
Der Islam aus Saudi-Arabien mit seinen fundamentalistischen Zügen hat sich in Spanien in den letzten Jahren immer mehr ausgebreitet. Alle großen repräsentativen Moscheen in Spanien wurden mit saudischem Geld gebaut. Und oft schickte man den Imam, der im Sinne der Wahhabiten den Koran auslegt, gleich mit.
Der Wahhabismus lehnt jede Modernität, jeden Dialog zwischen den Religionen, jede Öffnung gegenüber anderen Kulturen ab. Hier könnte in den letzten Jahren ein Nährboden für die jetzigen Anschläge geschaffen worden sein. Denn sowohl die Attentäter von Casablanca als auch die mutmaßlichen Täter von Madrid gehören Terrorgruppen an, die von wahhabitischen Ideologen beeinflusst wurden.
Ceuta - das Tor zu Europa
Dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass eine Minderheit der muslimischen Gemeinde für islamistische Propaganda anfällig wurde, fragen sich jetzt auf einmal alle. Da ist ein Blick nach Ceuta, eine der beiden spanischen Städte an der marokkanischen Mittelmeerküste, aufschlussreich: Ceuta ist das Einfallstor nach Europa. Hier verläuft die Grenze zwischen Afrika und Europa, zwischen dem islamischen Land Marokko und dem katholischen Land Spanien.
Ceuta hat 72.000 Einwohner. Die eine Hälfte besteht aus Christen, die andere aus Muslimen - fast alle von ihnen sind marokkanischen Ursprungs.
Abdelselam Hamadi ist Vorsitzender der "Comunidad Islamica de Ceuta". Er erzählt, dass sich viele Muslime immer noch als Bürger "zweiter Klasse" fühlten, dass sie nicht die gleichen Chancen wie die Christen hätten: "Es muss noch viel getan werden. Nur wenige Muslime bekommen Arbeit in der staatlichen Verwaltung von Ceuta. Die Antwort ist immer dieselbe: Es fehle an beruflicher Qualifikation. Das stimmt natürlich nicht mehr, aber würden mehr Muslime zugelassen, gäbe es eines Tages mehr Muslime als Christen in der Verwaltung, und das macht den Christen natürlich Angst", meint Hamdi scherzend.
Tatsache ist, dass der Lebens- und Bildungsstand der muslimischen Einwohner Ceutas dramatisch niedriger ist als der der Christen. Sie leben vorrangig im Viertel "El Principe" - ein ärmliches, rein muslimisches Viertel, direkt an der Grenze zu Marokko.
Von Integration keine Spur. Hier trifft man auf junge Muslime, die in Spanien geboren sind, aber marokkanische Eltern haben. Sie fühlen sich weder marokkanisch, noch werden sie in der spanischen Gesellschaft voll akzeptiert. Verheißungen von der "wahren islamischen Botschaft" können da auf offene Ohren stoßen.
Bettina Ambach
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004